Das sechste Buch – Eine allgemeine Rede Hermetis Trismegisti an Asclepium
Hermes
1. Lieber Asclepi, alles, was bewegt wird, wird das nicht in etwas und von etwas bewegt?
Asclepius
2. Freilich.
Hermes
3. Muss nun nicht notwendig dasjenige, in welchem etwas bewegt wird, größer sein als dasjenige, welches bewegt wird?
Asclepius
4. Notwendig.
Hermes
5. So ist das Bewegende denn stärker als das Bewegte?
Asclepius
6. Ja freilich stärker.
Hermes
7. So muss dann dasjenige, in welches etwas bewegt wird, gegen ein solch bewegendes Ding eine ganz widerwärtige Natur haben?
Asclepius
8. Ja, gänzlich.
Hermes
9. Ist denn nicht die Welt so groß, dass kein größerer Leib ist als sie?
Asclepius
10. Das gesteht man.
Hermes
11. Wie auch ganz dicht, weil sie mit vielen andern und großen Leibern, oder vielmehr mit allen Leibern, die da auch sind, angefüllt und gleichsam ein Leib ist?
Asclepius
12. Das verhält sich also.
Hermes
13. So ist die Welt ein Leib und wird der Leib bewegt?
Asclepius
14. Freilich.
Hermes
15. Wie groß muss dann der Platz sein, in welchem selbige bewegt wird und wie groß die Natur? Muss dieselbe nicht größer sein, auf dass sie die stete Bewegung fassen könnte, damit dasjenige, was bewegt wird, von seinem dichten Wesen nicht beängstigt werde und die Bewegung aufhöre.
Asclepius
16. Gewiss ist es etwas sehr Großes, Tris-Megiste, aber von welcher Natur?
Hermes
17. Von einer widerwärtigen Natur, o Asclepi! Aber ist die widerwärtige Natur des Leibes unleiblich?
Asclepius
18. Das gesteht man zu.
Hermes
19. Daher ist der Platz unleiblich: Was demnach unleiblich ist, das ist entweder was Göttliches oder Gott.
20. Doch meine ich mit dem Göttlichen nicht etwas, das geboren sei, sondern was ungeboren ist, ist solches denn was Göttliches, so ist es ein Wesen, aber ist es Gott selber, so ist es über dem Wesen, sonst ist es auch begreiflich oder verständlich.
21. Denn Gott ist das Erste, das verständlich ist, nicht für sich selbst, sondern für uns, denn das verständlich ist, das wird dem, der es versteht, durch den Sinn beigebracht.
22. Darum ist Gott durch sich selbst nicht verständlich, weil er nicht unterschieden ist von dem, das verstanden wird, aber in Ansehung unser ist er unterschieden, darum wird er von uns verstanden.
23. Wenn demnach der Platz verständlich ist, so ist solcher nicht Gott, sondern ein Platz, ist er aber Gott, so ist es nicht wie ein Platz, sondern als eine befassende Kraft.
24. Daher alles, was bewegt wird, solches wird nicht bewegt in etwas, das selbst bewegt wird, sondern in etwas, welches fest steht, und was da bewegt, das steht fest, denn es ist unmöglich, dass es mitbewegt werde.
Asclepius
25. Wie werden denn die Dinge, die hier sind, lieber Trismegiste, mit denjenigen, die bewegt werden, zugleich mit bewegt? Denn du hast gesagt, dass die Wandel-Sterne oder Planeten bewegt werden von einem Kreise, der nicht wandelbar ist.
Hermes
26. Lieber Asclepi, dasselbe ist keine Mitbewegung, sondern eine Gegenbewegung, denn sie werden nicht auf eine gleiche, sondern auf ungleiche Weise gegeneinander bewegt. Es hat aber diese Gegendrehung einen feststehenden Widerstand der Bewegung. Denn das Widerstehen ist die Festigkeit des Umdrehens.
27. Nachdem nun die Wandel-Sterne auf eine dem unwandelbaren Kreise ganz entgegengesetzte Weise bewegt werden, so gibt dasselbige untereinander einen solchen Widerstand, der in sich selbst standfest ist, und kann nicht anders sein.
28. Denn diese (Nordstern), welche du weder unter- noch aufgehen siehst und die allezeit rundum dasselbe gewendet werden, meinst du, dass dieselben bewegt werden oder dass sie stille stehen?
Asclepius
29. Sie werden bewegt, Trismegiste.
Hermes
30. Durch was für eine Bewegung Asclepi?
Asclepius
31. Durch die, durch welche sie sich allezeit in sich selbst umdrehen.
Hermes
32. Diese stete Umdrehung nun wird begriffen von demjenigen, das fest steht; weil dasjenige, welches rund umgeht, von demjenigen, welches über ihm und standfest ist, beschlossen und also umgetrieben wird. Und also steht die entgegenstrebende Umführung fest, allezeit befestigt um den Gegensatz.
33. Ich will davon ein irdisch Beispiel, welches den Augen offenbar ist, von den irdischen Geschöpfen beibringen; vornehmlich von dem Menschen, gib Acht auf denselben, wenn er schwimmt, denn wenn das Wasser fortläuft, so macht das Gegenstehen der Füße und Hände des Menschen einen Stand, dass er nicht zugleich mit dem Wasser werde weggeführt oder untersinke.
Asclepius
34. Dies Beispiel, das du uns hast gegeben, Trismegiste, ist ganz klar.
Hermes
35. So wird nun eine jede Bewegung in jedem Stillstand und von dem Stillstand bewegt, darum geschieht die Bewegung der Welt und eines jeden materialischen Tieres nicht von den Dingen, die außerhalb der Welt sind, sondern von denen, die inwendig sind und in das Auswendige wirken, nämlich von der Seele oder von dem Geist oder von einem andern unleiblichen Ding.
36. Ein Leib kann nicht bewegen, was beseelt ist, ja es kann auch ein Leib nicht bewegen, was unbeseelt ist.
Asclepius
37. Wie sprichst du so, Trismegiste? Sind das keine Leiber, welche bewegen Holz, Steine und alle andern unbeseelten Dinge?
Hermes
38. Auf keinerlei Weise, Asclepi. Denn dasjenige, was im Leibe ist, und das Unbeseelte bewegt, ist kein Leib, welcher beides, den Leib, er sei dessen, der da trägt, oder auch den Leib, der getragen wird, bewegt, deswegen vermag dasjenige, welches seelenlos ist, etwas anders, welches auch seelenlos ist, nicht zu bewegen, sondern dasjenige, welches bewegt, dasselbe ist beseelt, indem es bewegt; so siehst du, dass die Seele, wenn sie zwei Leiber trägt, beschwert wird; dann ist es nun klar, dass die Dinge, die bewegt werden, in etwas und von etwas bewegt werden.
Asclepius
39. So müssen deshalb, Trismegiste, die Dinge, die bewegt werden, in etwas, dass da ledig ist, bewegt werden?
Hermes
40. Sage nicht so, o Asclepi! denn es ist nichts unter den wesentlichen Dingen ledig, außer dem, was gar nicht ist und der Wesenheit entbricht, solches ist ledig, aber alles, was da ist, das könnte gar nicht sein, im Fall es von der Wesenheit nicht ganz voll wäre, denn dasjenige, was Wesenheit hat, kann unmöglich ledig werden.
Asclepius
41. Sind denn nicht etliche Dinge ledig, Trismegiste? Als eine ledige Tonne, ein ledig Fass, ein lediger Brunnen, eine ledige Presse und andere dergleichen mehr?
Hermes
42. O wie weit irrst du, Asclepi! Das, was allermeist voll und überall verfüllt ist, meinst du wohl, dass dasselbe ledig sei?
Asclepius
43. Wieso, Trismegiste?
Hermes
44. Ist die Luft nicht ein Leib, und geht dieser Leib nicht durch alle Dinge, und füllt dieselbigen nicht alle an mit seinem Durchdringen, ist dieser Leib nicht aus den vieren vermischt? Deshalb sind alle Dinge, die du sagst, ledig zu sein, überall voll von der Luft: man muss aber solche, die du vorgibst, ledig zu sein, voll und nicht ledig nennen, denn sie haben Wesenheit und sind voll von der Luft und Geist.
Asclepius
45. Dieser Rede, Trismegiste, kann man nicht widersprechen; wie müssen wir denn den Platz nennen, in welchem diese alle zusammen bewegt werden?
Hermes
46. Unleiblich, Asclepi!
Asclepius
47. Was ist denn unleiblich?
Hermes
48. Das Gemüt und die Vernunft, welches ganz und gar sich selbst begreift, ist frei von aller Leiblichkeit, frei von Irrtum, unsichtbar, frei von den Zuneigungen (Passionen) des Leibes, selbst in sich selbst bestehend: Alles umfassend und alles unterhaltend, von welchem gleichsam als Strahlen sind das Gute, die Wahrheit, das ursprüngliche Licht, der Ursprung der Seelen.
Asclepius
49. Was ist denn Gott?
Hermes
50. Keines von diesen Dingen, doch gleich wohl die Ursache, dass dieselben und alles und jedes wesentlich sei; denn er hat nichts übrig gelassen, was da nicht wesentlich wäre.
51. Alle Dinge entstehen also aus wesentlichen Dingen und aus nicht wesentlichen Dingen nichts; denn nicht wesentliche Dinge haben nicht die Natur, dass sie können sein, und wiederum haben die wesentlichen Dinge die Natur nicht, dass sie nimmer sollten sein.
Asclepius
52. Was sagst du denn endlich, was Gott sei?
Hermes
53. Gott ist das Gemüt nicht, sondern die Ursache, dass das Gemüt ist, noch ein Geist, sondern die Ursache, dass der Geist ist; noch ein Licht, sondern die Ursache, dass das Licht ist.
54. Deshalb müssen wir Gott allein mit diesen zwei Namen ehren, welche ihm eigen sind und niemand anders:
55. Denn niemand von den Andern, die man Götter (Planeten) nennt, auch niemand von den Menschen, noch jemand von den Dämonen (ist ein von dem Leibe abgesonderter Geist) können auf einerleiweise gut sein, als nur Gott allein; und so ist es auch und nicht anders.
56. Alle anderen Dinge sind von der Natur des Guten unterschieden, denn der Leib und die Seele haben keinen Platz, der das Gute fassen könnte.
57. Denn die Größe des Guten ist so groß, als die Größe der Wesentlichkeit aller Dinge, es sei leiblich oder unleiblich, es sei empfindlich oder verständlich.
58. Dasselbe Gut ist nun Gott, derwegen siehe zu, dass du nichts anderes gut nennst, sonst tust du ungöttlich, auch dass du nichts anderes Gott nennst, denn allein das Gute, sonst vergreifst du dich wieder gegen Gott.
59. Das Gute wird wohl von einem jeden mit Worten genannt, es wird aber von einem jeden nicht verstanden, was es sei; sondern aus Unkenntnis nennen sie die (Planeten) Götter und etliche Menschen gut, welche doch niemals gut sind noch werden können.
60. Alle anderen Götter, die unsterblich sind, werden wohl mit dem Namen Gott verehrt, Gott aber ist das Gute, nicht durch Verehrung, sondern durch Natur. Denn das Gute ist die einige Natur Gottes, und sind beide von einerlei Geschlecht, daraus alle Geschlechter entstanden sind.
61. Denn der alles gibt und nichts nimmt, der ist gut, Gott aber gibt alles und nimmt nichts, darum ist Gott das Gute und das Gute ist Gott.
62. Der andere Name ist Vater, weil Er ein Gebärer aller Dinge ist, denn die Eigenschaft der Väter ist gebären.
63. Darum lassen sich die Weisen in diesem Leben mit der allergrößten und allerseeligsten Sorgfalt das Kinder-Zeugen angelegen sein.
64. Und das größte Unheil und Ungöttlichkeit ist, wenn jemand von den Menschen kinderlos stirbt und ein solcher wird nach dem Tode von den Geistern gestraft.
65. Die Strafe demnach ist diese: Die Seele dessen, der kinderlos ist, wird in einen Leib verurteilt, welcher weder Mannes noch Weibes Natur hat und welcher unter der Sonne verflucht ist.
66. Darum, Asclepius, musst du keinen Kinderlosen glücklich achten: sondern im Gegenteil, dich über sein Unglück erbarmen, weil du weißt, was für Strafe er zu erwarten hat.
67. Soviel und solches, Asclepius, sei dir gesagt zu einer vorhergehenden Erkenntnis von der Natur aller Dinge.