Das fünfte Buch – Von der Gottseligkeit und Liebe zu der Weisheit
1. O Sohn! Ich beschreibe also dieses zum ersten Mal, aus Liebe gegen den Menschen und rechten Dienst gegen Gott.
2. Denn es geschieht fürwahr ein rechter Gottesdienst, wenn man Acht hat auf die Wesen und dafür demselben dankbar ist, der dieselben gemacht hat: dieses zu tun, will ich nicht unterlassen.
3. O Vater! Was soll man denn tun, dieweil (um das Leben ehrlich durchzubringen) hier nichts wahrhaftig ist.
4. O Sohn! Sei fromm; denn der fromm ist, der ist der größte Liebhaber der Weisheit: Denn ohne die Liebe zur Weisheit ist es unmöglich, zum meisten oder zum höchsten fromm zu sein.
5. Aber wer da gelernt hat, was dieselbe sei, wie sie geordiniret, von wem und zu was Ende; derselbe wird dem Werkmeister als einem guten Vater, nützlichen Unterhalter und getreuen Versorger dankbar sein.
6. Wer demnach dankbar ist, der wird auch fromm sein, und ein Frommer wird zugleich ergründen und erfinden, wo die Wahrheit ist und was dieselbe sei, und wenn er dieses gefunden, wird er auch viel frömmer sein.
7. Denn, o Sohn! Solange die Seele in dem Leibe ist und sich selbst hat erhoben zur Begreifung des guten und wahren Wesens, so kann sie im Gegenteil auch nicht verfallen.
8. Denn wenn die Seele ihren eigenen Ursprung gelernt hat, so hat sie heftige Liebe und Vergessenheit allen Übels und kann von dem Guten nicht mehr abfällig gemacht werden.
9. Und dieses, o Sohn! ist das Ende der Frömmigkeit, wirst du dazu kommen, so wirst du beides, wohl leben und glücklich sterben, deiner Seele wird nicht unbekannt sein, wohin sie soll auffliegen, und dieses, o Sohn! ist allein der einzige Weg zu der Wahrheit, welchen unsere Vor-Eltern auch gewandelt haben, und die denselben gegangen sind, haben das Gute bekommen.
10. Dieser Weg ist ehrlich und eben, doch schwer für die Seele, solange sie im Leibe ist, denselben zu wandern, denn sie muss fürwahr erstlich mit ihr selbst gestritten und eine große Scheidung gemacht haben und von dem einen Teil mehr überwunden sein.
11. Denn da geschieht ein Treffen Eines gegen Zwei, das eine Teil Fliehende, aber das andere Teil Sterbende entgegen zu halten, die Überwindung aber von beiden ist nicht gleich, denn das eine befleißigt wohl zu dem Guten, aber das andere wohnt der Bosheit bei.
12. Und obwohl das eine begehrt frei zu sein, so lieben die anderen die Dienstbarkeit, und obschon alle beide überwunden werden, so bleiben sie doch ohne Haupt oder Herrscher.
13. Aber wenn das Eine überwunden wird, so wird es von den Zweien geführt, gestraft zu werden von dem Richter, der darin herrscht. Dies ist, o Sohn! der Geleitsmann des Weges, der dahin leitet; denn, o Sohn! du musst erstlich den Leib verlassen und das sterbliche Leben überwunden haben und überwunden habend, alsdann aufsteigen.
14. Aber nun, o Sohn! Will ich die Wesen ins Kurze überlaufen; denn du sollst wohl verstehen dasjenige, was gesagt ist, und dich wiederum erinnern, was du gehört hast.
15. Alle Wesen werden bewegt: allein das Nicht-Wesen ist unbeweglich, alle Leiber sind veränderlich, aber alle Leiber sind nicht auflöslich, es ist nicht ein jedes Tier oder Geschöpf sterblich, noch ein jedes Geschöpf unsterblich.
16. Das Verderbliche ist auflöslich, was bleibt, ist unveränderlich, das Unveränderliche ist ewig, dasjenige, was allezeit wird, das verdirbt auch allezeit, aber das einmal geworden ist, verdirbt nimmermehr und wird nicht etwas Anderes.
17. Das Erste Gott, das Zweite die Welt, das Dritte der Mensch, die Welt um der Menschen willen, aber der Mensch um Gottes willen.
18. Das empfindliche Teil der Seele ist wohl sterblich, aber das vernünftige unsterblich, jedes Wesen ist unsterblich, ein jedes Wesen ist veränderlich.
19. Alles, was ist, ist zweierlei: keines von den Dingen, die da sind, bestehen, es wird nicht alles durch die Seele bewegt, alles, was bewegt wird, wird durch die Seele bewegt.
20. Alles, was leidet, das empfindet, alles, was empfindet, leidet, alles, was betrübt und erfreut wird, ist ein unsterbliches Geschöpf.
21. Es ist nicht ein jeder Leib der Krankheit unterworfen; alle Leiber, die der Krankheit unterworfen sind, sind auflöslich. Das Gemüt ist in Gott, die Überlegung der Vernunft ist im Gemüt, das Gemüt leidet nicht.
22. In dem Leibe ist nichts wahrhaftig, alles was in dem Unleiblichen ist, ist ohne Lügen: Alles was geworden ist, ist verderblich, es ist nichts Gutes auf Erden und nichts Böses im Himmel.
23. Gott ist gut, der Mensch böse, das Gute ist willig, das Böse unwillig; Götter (Regenten oder Planeten) erwählen das Gute als gut, die gute Beherrschung des Guten ist eine gute Beherrschung, die gute Beherrschung ist ein Gesetz, die Zeit ist göttlich, das Gesetz menschlich.
24. Die Bosheit ist der Welt Nahrung, die Zeit des Menschen Verderben, alles, was im Himmel ist, ist unveränderlich, alles was auf Erden ist, ist veränderlich.
25. In dem Himmel ist nichts dienstbar, auf Erden ist nichts frei. In dem Himmel ist nichts unbekannt, auf Erden ist nichts bekannt, das Irdische hat keine Gemeinschaft mit dem Himmlischen, alles, was in dem Himmel ist, ist alles untadelhaft, was auf Erden ist, ist tadelhaft.
26. Das Unsterbliche ist nicht sterblich, das Sterbliche ist nicht unsterblich, das Gesäte ist nicht auf einmal geworden, das auf einmal geworden ist, ist auch gesät, das Auflösliche hat zwei Zeiten, die eine Zeit ist von der Zeugung bis zu der Geburt, die andere Zeit von der Geburt bis an den Tod.
27. Es ist nur eine Zeit des ewigen Leibes, nämlich von der Geburt an, die auflöslichen Leiber wachsen und nehmen ab, die auflösliche Materie wird verändert in gegenstreitige Dinge, nämlich in Verderbung und Geburt, aber die ewige in sich selbst oder in ihresgleichen Dinge.
28. Die Geburt der Menschen ist Verderbung, die Verderbung des Menschen ist der Anfang der Geburt, was zuerst wird, hört auch auf zu sein, von den wesentlichen Dingen sind etliche in den Leibern, andere aber nur in Gestalten, die Kräfte sind im Leibe, das Unsterbliche wird des Sterblichen nicht teilhaftig, aber das Sterbliche wird des Unsterblichen teilhaftig.
29. Das Sterbliche geht nicht in einen unsterblichen Leib, sondern das Unsterbliche geht zu dem Sterblichen, die Kräfte gehen nicht aufwärts, sondern niederwärts.
30. Die Dinge, die auf Erden sind, helfen den Dingen nicht, die im Himmel sind, alles, was im Himmel ist, hilft dem, was auf der Erde ist, der Himmel begreift in sich ewige Leiber, die Erde begreift in sich verderbliche Leiber.
31. Die Erde ist unvernünftig, der Himmel vernünftig, die Dinge, die im Himmel sind, sind eine heruntergehende Stütze, und die auf Erden sind, sind eine aufstehende Stütze auf Erden, der Himmel ist das erste Element.
32. Die Vorsehung ist eine göttliche Ordnung, die Notwendigkeit ist eine dienstbare Vorsehung, das Glück ist eine Bewegung von der Unordnung, ein Bild der wirkenden Kraft, eine falsche Meinung.
33. Was ist Gott? Ein unveränderliches Gut. Was ist der Mensch? Ein unveränderliches Übel. Wenn du dieser Hauptstücke wirst eingedenk sein, so wirst du dich auch leicht erinnern der Dinge, welche ich dir mit vielen Worten erklärt habe, denn diese sind ein kleiner Begriff von jenen.
34. Meide den Umgang des Pöbels, nicht dass ich will, dass du neidisch sollst sein, sondern vielmehr, weil du von der Gemeinen würdest ausgelacht werden, denn gleich gesellt sich zu seinesgleichen, aber das Ungleiche hält auf keine Weise mit dem, das ihm ungleich ist.
35. Doch sind da wenig, welche diesen Reden Gehör geben, oder es mögen ungefähr künftig wenige darauf achten, dennoch halten sie etwas Sonderliches in sich: Den Bösen wecken sie mehr zur Bosheit, darum muss man sich vor dem Pöbel hüten, weil sie nicht verstehen die Kraft der Dinge, die gesegnet werden.
36. Vater, wie verstehst du das?
37. Also, Sohn! Ein jedes Tier ist zum Bösen mehr geneigt als die Menschen, und es wird damit erzogen, darum hat dasselbe seine Luft darin.
38. Doch im Fall dasselbe Tier hätte gelernt, dass die Welt wäre geworden und alles durch Vorsehung und Notwendigkeit wäre geschehen, weil das Schicksal alles regiert, so würde es desfalls nicht schlimmer sein, indem es alles Gewordene verachtet.
39. Aber indem es die Ursache des Bösen dem Notschicksal zuschreibt, so würde er sich von keiner bösen Tat enthalten.
40. Darum muss man sich vor solchen hüten, auf dass sie in der Unwissenheit bleibend weniger böse sind, aus Furcht vor dem, das ihnen verborgen ist.