Das fünfzehnte Buch – Hermetis Trismegiste an Asclepium: Recht weise zu sein
1. Dieweil mein Sohn Tatius in deinem Abwesen die Natur der wesenden Dinge hat wollen lernen, und nicht zugelassen, dass ich es nicht aufschöbe (als der noch frisch zur Erkenntnis der Dinge ist gekommen), so bin ich dadurch bewegt worden, weitläufig zu reden, auf dass er dadurch desto leichter und fertiger zu der Beschauung möchte kommen.
2. Für dich aber habe ich die vornehmsten Hauptstücke dieser Rede ausgelesen, und in einen kurzen Begriff verfasst, solche dir zuzuschicken, solche auf eine noch verborgenere Weise erklärend, als vor einen, welcher schon bei Jahren ist, und die Natur wohl versteht.
3. Alle Dinge, die offenbar sind, dieselben sind, und werden noch geboren, was dennoch geboren ist, das wird nicht von sich selbst geboren, sondern von einem anderen.
4. Es sind aber viele Dinge (oder vielmehr alle sichtbare Dinge) geboren, welche doch alle voneinander unterschieden, und nicht gleich sind.
5. Was demnach wird, das wird von einem anderen, so ist da nun jemand, der solches macht, und derselbe ist ungeboren, und älter als die geborenen Dinge, denn ich sage, dass die geborenen Dinge von einem anderen werden.
6. Nachdem denn alle wesenden Dinge geboren sind, so ist es unmöglich, dass da etwas eher unter ihnen allen kann sein, als einzig und allein dasjenige, welches ungeboren ist.
7. Das ist derjenige, welcher so viel mächtiger ist, der Eine und der allein wahrhaftig alles weiß , als vor welchen nichts älter ist, denn er herrscht über die Vielfalt und über die Größe und über den Unterschied der Dinge, die geworden sind, und über den Band des gemachten Wesens und über die Wirkung.
8. Zudem sind die Dinge, welche geboren werden, sichtbar, aber er ist unsichtbar, denn darum macht er dieselben, auf dass er sichtbar sei, darum macht er dieselben allezeit.
9. Also ist es billig, dass man ihn erkennt, in der Erkenntnis verwundert, in der Verwunderung sich selbst selig schätzt, dass man den rechten Vater hat erkannt; denn was ist liebreicher, als der rechte Vater?
10. Wer ist nun dieser, und wie sollen wir ihn erkennen? Ist es recht, dass wir ihm allein den Namen Gott geben oder den Namen Schöpfer oder den Namen Vater: oder auch mit allen drei Namen?
11. Nämlich Gott wegen der Kraft, den Schöpfer wegen der Wirkung, den Vater wegen der Güte: denn es ist die Kraft unterschieden von den Dingen, die geworden sind, und die Wirkung; weil alles von ihm kommt.
12. Darum müssen wir (die eitlen und überflüssigen Reden zurücksetzend) diese beiden verstehen, das Geschaffene und den Schöpfer: denn es ist kein Mittelding oder Drittes zwischen diesen beiden.
13. Wenn du alle Dinge verstehst, so gedenke an diese zwei, und halte es dafür, dass dieselben alles seien, und ziehe nichts in Zweifel von den Dingen, die da oben, noch von den Dingen, welche unten sind, noch von denen, die verwandelt werden, noch von denen, die im Verborgenen sind.
14. Denn die Zwei sind alles, der Macher und das Gemachte, und das Eine kann von dem Andern nicht geschieden sein; denn es ist unmöglich, dass der Schöpfer ohne dasGeschöpfe könne sein.
15. Denn dieselben beide sind eben dasselbe, darum, wie eben dasselbe von sich selbst nicht abgesondert werden kann, also kann auch hier eines von dem Andern nicht geschieden werden.
16. Denn wenn der Schöpfer nichts anderes ist als ein Schöpfer, und dieser allein einzeln und ohne alle Zusammensetzung, so folgt notwendig, dass sein Schöpfen oder Machen einerlei sei mit ihm selbst, was er ist, aber die Geburt kommt von dem Schöpfer, und alles, was da geworden ist, ist auch daher.
17. Denn alles, was gemacht ist, ist notwendig von jemand anders gemacht.
18. Ohne Schöpfer wird nichts geboren, was geboren wird, ja es ist nichts ohne ihn, denn das Eine ohne das Andere verliert seine eigene Natur, wenn er von dem Andern sollte beraubt sein.
19. Obwohl nun das Gemachte und das, was da macht, unleugbar zwei sind, so sind sie dennoch eine Durchvereinigung, das Erste ist vorgehend und das Zweite nachfolgend, das Vorgehende ist der Schöpfer Gott, das Nachfolgende ist das Geschaffene, welcherlei dasselbe auch sei.
20. Und du musst dich nicht fürchten, als ob etwa der Unterschied der Dinge, die gemacht sind, sollten gedeihen zur Verkleinerung und Unehre Gottes: denn das ist seine eigene Ehre, dass er alles macht, und die Erschaffung ist gleichsam Gottes Leib.
21. Man muss aber nicht meinen, dass von dem Macher etwas Übles oder Schändliches geordnet sei, denn das sind Leidenschaften, welche der Geburt folgen, wie der Rost dem Eisen und die Hässlichkeit dem Leib.
22. Denn der Schmied hat den Rost nicht gemacht, noch der Macher die Hässlichkeit, noch Gott das Böse, sondern die Umwechslung der Geburt hat es gleichsam ausgespritzt, und um der Ursache willen hat Gott die Veränderung gemacht als eine Säuberung der Geburt.
23. Über das kann ein und derselbe Maler den Himmel, Planeten, Erde, Meer, Menschen, unvernünftige Tiere, Geschöpfe ohne Seele und Bäume machen, sollte es Gott denn unmöglich sein, diese Dinge zu machen?
24. O welch Unvernunft und Unkenntnis in göttlichen Dingen! Denn solchen widerfährt das Allertadelhaftigste.
25. Denn wenn sie sagen, dass sie Gott loben, weil sie ihm die Schöpfung aller Dinge nicht zueignen, so erkennen sie ihn nicht: Und über das, dass sie ihn nicht kennen, so sind sie auch höchst gottlos gegen ihn, indem sie ihm Leidenschaften zueignen, es sei Hoffart oder Unvermögenheit oder Unwissenheit oder Abgunst.
26. Denn wenn er nicht alles macht, so ist er entweder hoffärtig oder unmächtig, oder unwissend oder abgünstig, welches ungöttlich ist.
27. Denn Gott hat nur eine einzige Leidenschaft, nämlich das Gute, wer aber gut ist, der ist weder entweder hoffärtig, noch unmächtig, noch etwas anders dergleichen, denn dies ist Gott; denn das Gute ist die ganze Macht, und Gewalt, alle Dinge zu machen.
28. Alles, was geboren ist, dasselbige ist von Gott geboren, das ist von dem Guten, und das da mächtig ist, alle Dinge zu machen.
29. Siehe nun, wie er macht, und wie das Gemachte gemacht wird, und im Falle du lernen willst, so kannst du dessen ein sehr schönes und gleiches Ebenbild und Gleichnis sehen.
30. Betrachte den Ackermann, der in die Erde sät, wie er an diesen Platz Korn, an jenen Gerste, an einen andern Platz eine andere Saat sät, betrachte ihn, wie er Weingärten pflanzt, wie er Äpfel, Feigen und andere Bäume einsetzt.
31. Eben also sät Gott in den Himmel die Unsterblichkeit, auf die Erde die Verwandlung und in das ganze Wesen Leben und Bewegung.
32. Es sind aber der Dinge nicht viel, sondern wenig und leicht zu zählen; denn alle Dinge sind vier, Gott und die Geburt, in welchen alle Dinge begriffen sind.