Jakob Böhme – Christosophia oder der Weg zu Christo De Poenitentia Vera oder Von wahrer Buße

Christosophia oder der Weg zu Christo De Poenitentia Vera oder Von wahrer Buße

Jakob Böhme (1623)

Jakob_BoehmeDer eigentlich gelernte Schuhmacher Jakob Böhme hatte die Gabe ohne akademische Kenntnisse tiefe philosophische, astrologische, alchemistische und mystische Schriften zu formulieren. Jakob Böhme setzte sich auch für Religions- und Geistesfreiheit ein und erkannte ebenso wie die Rosenkreuzer zu damaligen Zeiten dass ein neues Zeitalter im Anbruch war. Er war der Überzeugung, dass jede übernatürliche Kenntnis von Gott käme. In „Christosophia“ beschreibt er die seine Erfahrungen zu den Stationen eines Einweihungsweges.

DAS ERSTE BÜCHLEIN
Wie sich der Mensch im Willen und Gemüte in sich selber erwecken müsse und was seine Betrachtung und ernster Fürsatz sein solle, wann er will kräftige Buße wirken, und mit was für einem Gemüte er solle vor Gott treten, wann er will von Gott Vergebung der Sünden bitten und erlangen.

Vorrede des Autoris an den gottliebenden Leser
St. Paulus sagt: Alles, was ihr tut, das tut im Namen des Herrn, und danket Gott und dem Vater in Christo Jesu.
Gottliebender Leser, wirst du dies Büchlein recht brauchen und dir lassen ein Ernst sein, du wirst seinen Nutzen wohl erfahren. Ich will dich aber gewarnt haben, ist dirs nicht ein Ernst, so lass die teuren Namen Gottes, in dem die höchste Heiligkeit damit genannt, gerügt und mächtig begehret wird, stehen, dass sie dir nicht den Zorn Gottes in deiner Seelen entzünden. Denn man soll den heiligen Namen Gottes nicht missbrauchen.
Dieses Büchlein gehöret allen denen, die da gerne wollten Buße tun und in Begierde zum Anfange sind. Sie werden es beiderseits erfahren, was darinnen für Worte sind und woraus sie geboren. Hiermit der ewigen Güte und Barmherzigkeit Gottes empfohlen!

1,1. Wann der Mensch will zur Buße schreiten und sich mit seinem Gebete zu Gott wenden, so soll er vor allem Gebete sein Gemüt betrachten, wie dasselbe so ganz und gar von Gott abgewandt stehet, wie es an Gott sei treulos worden, wie es nur in das zeitliche, zerbrechliche, irdische Leben gerichtet sei und keine rechte Liebe gegen Gott und seinen Nächsten führe und wie es also ganz wider Gottes Gebot lüstere (aufbegehre) und walle und nur sich selber in zeitlicher, vergänglicher Fleischeslust suche.

1,2. Zum anderen soll er betrachten, wie dieses alles eine Feindschaft wider Gott ist, welche ihm der Satan durch seinen Trug in unsern ersten Eltern (Adam u. Eva) erwecket hat, um welches Gräuels willen wir des Todes sterben und mit unsern Leibern verwesen müssen.

1,3. Zum dritten soll er betrachten die grausamen drei Ketten, daran unsere Seele die Zeit dieses irdischen Lebens feste angebunden ist: Als die erste ist Gottes strenger Zorn, der Abgrund und finstere Welt, welche das Centrum und kreatürliche Leben der Seelen ist. Die andere Kette ist des Teufels Begierde gegen der Seelen, damit er die Seele stets sichtet, versuchet und sie ohne Unterlass von Gottes Wahrheit in die Eitelkeit, als in Hoffart, Geiz, Neid und Zorn stürzen will und dieselben bösen Eigenschaften mit seiner Begierde stets in der Seele aufbläset und anzündet, dadurch sich der Seelenwille von Gott wendet und in eine Selbheit eingehet. Die dritte und allerschädlichste Kette, daran die arme Seele angebunden stehet, ist das verderbte und ganz eitle (nichtige), irdische sterbliche Fleisch und Blut, voll böser Begierde und Neiglichkeit (Haltlosigkeit). Allhier soll er betrachten, wie er mit Leib und Seele in dem Sündenschlamm, in Gottes Zorne im Rachen der Höllen Abgrund hart gefangen liege, wie Gottes Zorn in Seele und Leib in ihm brenne, und wie er der stinkende Säuhirte sei (Jesu Gleichnis vom verlorenen Sohn, Luk. 15,15), welcher seines Vaters Erbe habe mit des Teufels Mastsäuen in irdischer Wollust verpranget und verzehret, als Gottes Liebe und Barmherzigkeit, und nicht wahrgenommen habe des teuren Bundes und Versöhnung des unschuldigen Leidens und Todes Jesu Christi, welchen Gott aus lauter Gnaden in unsere Menschheit eingegeben und uns in ihm versöhnet hat; auch wie der des Bundes der Hl. Taufe, in welchem er seinem Heiland hat Glauben und Treu zugesagt, so ganz vergessen, und seine Gerechtigkeit, welche ihm Gott in Christo aus Gnaden geschenkt, so ganz in Sünden besudelt und verdunkelt, dass er nun jetzt mit dem schönen Kleide der Unschuld Christi, welches er beflecket hat, vor Gottes Angesicht stehe als ein kotiger, zerrissener, zerlumpter Säuhirte, der stets mit des Teufels Säuen die Treber (Schweinefutter) der Eitelkeit gefressen, und sei nicht wert, dass er ein Sohn des Vaters und Glied Christi genennet werde.

1,4. Zum vierten soll er ernstlich betrachten, dass der grimme Tod alle Stunden und Augenblick’ seiner wartet, und will ihn mit diesem Säuhirtenkleide in seinen Sünden und Gräueln ergreifen und in Abgrund der Höllen stürzen als einen Meineidigen und Glaubbrüchigen (der den Glauben und Treue bricht), welcher zum Gerichte Gottes in der finstern Todeskammer solle behalten werden.

1,5. Zum fünften soll er das ernste und strenge Gericht Gottes betrachten, da er soll lebendig mit seinen Gräueln vor das Gerichte gestellt werden und ihm alle diejenigen, welche er hat allhie mit Worten und Werken beleidiget und zum Übel verursachet, dass sie aus seinem Antrieb haben auch Sünde gewirkt, werden unter Augen treten, ihn verfluchen, und solches vor den Augen Christi, auch vor allen heiligen Engeln und Menschen. Und wie er allda werde in großen Schanden und Spotte, dazu in großem Schrecken und ewiger Verzweiflung stehen. Und wie ihn das ewig würde reuen, dass er um so einer kurzen Zeit Wollust willen habe eine so große ewige Seligkeit verscherzet und seiner nicht besser wahrgenommen, dass er auch möchte unter der Gemeinschaft der Heiligen sein und des ewigen Lichtes und göttlichen Kraft genießen.

1,6. Zum sechsten soll er betrachten, wie der Gottlose sein edles Bildnis, wie ihn Gott zu seinem Bilde geschaffen hat, verlieret und eine ungestalte Larva, gleich einem höllischen Wurm oder gräulichen Tier bekommt, da er dann ein Feind Gottes wider den Himmel und alle heiligen Engel und Menschen ist; und wie seine Gemeinschaft ewig in der grausamen Finsternis unter den Teufeln und höllischen Würmen ist.

1,7. Zum siebenten soll er ernstlich betrachten die ewige Strafe und Pein der Verdammten, wie sie in ewigem Schrecken in ihren hie (auf Erden) gemachten Gräueln sollen Pein leiden und das Land der Heiligen in Ewigkeit nicht schauen, auch keine Erquickung erlangen mögen wie bei dem reichen Mann zu sehen ist. (Luk. 16) Solches soll der Mensch ernstlich betrachten und denken, wie ihn Gott habe in ein solch schön und herrlich Bilde geschaffen, in sein Gleichnis, in dem er selber wohnen will, dass er ihn habe in sein Lob, zu seiner selbst ewigen Freude und Herrlichkeit geschaffen; dass er möge neben den heiligen Engeln mit den Kindern Gottes in großer Freude, Kraft und Herrlichkeit im ewigen Lichte wohnen, im Sange und Klange der Harmonie der englischen und göttlichen Freudenreich; dass er sich sollte mit den Kindern Gottes ewig freuen, ohne Furcht einiges Endes, da ihn kein böser Gedanke rühren könnte, auch kein Leid noch Kummer, weder Hitze noch Kälte, da man von keiner Nacht weiß, auch kein Tag noch Zeit mehr ist, sondern eine ewige Freude; da Seele und Leib in Freuden zittern und sich der unendlichen Wunder und Kräfte, in Schöne der Farben und Zierheit der unendlichen Gebärung in der Weisheit Gottes auf der neuen kristallischen Erden, welche als ein durchscheinend Glas sein wird, erfreuen sollte. Und wie er es also mutwillig verscherzen tue, um einer solchen kurzen, schnöden Zeit willen, welche doch in dieser Eitelkeit, in dem bösen Leben des wollüstigen Fleisches voll Jammer, Furcht und Unruhe ist, in eitel (nichts als) Quälen; und gehet doch dem Gottlosen als dem Frommen; wie einer sterben muss, also auch der andre‘; und da der Heiligen Tod doch nur ein Eingang in die ewige Ruhe ist und der Gottlosen Tod ein Eingang in die ewige Unruhe.

1,8. Zum achten soll er betrachten den Lauf dieser Welt, wie alles nur ein Spielwerk sei, damit er seine Zeit in Unruhe zubringet, und dass es dem Reichen und Gewaltigen gehet wie dem Armen, wie wir alle gleich in den vier Elementen leben und schweben, und dass dem Armen sein Bissen so wohl schmecket in seiner Mühe als dem Reichen in seiner Sorge. Dass wir alle in einem Odem (die gleich Luft atmen) leben, und dass der Reiche nichts als nur eine Mundleckerei und Augenlust zum Vorteil habe, sonst geht es einem wie dem anderen, um welcher Augenlust willen der Mensch eine solche große Seligkeit verscherzet und sich in solche große ewige Unruhe um des willen einführet.

1,9. In solcher Betrachtung wird sich der Mensch in seinem Herzen und Gemüte fühlen, sonderlich so er sich sein Ende stets fürmodelt (vor Augen führt), dass er wird ein herzlich Sehnen und Verlangen nach Gottes Barmherzigkeit bekommen, und wird anfangen, seine begangene Sünde zu bereuen, dass er seine Tage so übel zubracht hat und nicht wahrgenommen noch betrachtet, wie er allhie in dieser Welt in einem Acker im Wachsen stehe, entweder eine Frucht in Gottes Liebe oder Zorn; und wird sich erst besinnen, dass er noch nichts in Christi Weinberge gearbeitet habe (Matth. 20), und dass er ein dürrer Rebe am Weinstock Christi sei. Da dann in manchem, welchen der Geist Christi in solcher Betrachtung rühret, groß Jammer und Herzenleid, in sich selber Klagen überhaufen angehet über die Tage seiner Bosheit, welche er also ohne Wirkung in Christi Weinberge in der Eitelkeit verschoben (ungenutzt) und zugebracht hat.

1,10. Diesem nun, welchen der Geist Christi in Reue einführet, da sein Herz eröffnet wird, dass er kann seine Sünde erkennen und bereuen, ist gar leichtlich zu raten: Er braucht nur die Verheißungen Christi anziehen, dass Gott nicht den Tod des armen Sünders will, Ezech. 33,11, sondern heißet sie alle zu sich kommen, er will sie erquicken, Matth.11,28. Und dass große Freude im Himmel sei über einen Sünder der Buße tut, Luk. 15,7. Dieser ergreife nur die Worte Christi und wickele sich in Christi Leiden und Tod ein.

1,11. Aber mit denen will ich reden, welche zwar eine Begierde zur Buße in sich fühlen und können aber nirgends zur Erkenntnis noch zur rechten wahren Reu‘ über ihre begangene Sünde kommen, da das Fleisch immer zur Seele spricht: Harre noch, morgen ist es gut, und wann dann Morgen kommt, so spricht das Fleisch wieder: morgen; da die arme Seele ächzet und in Ohnmacht stehet und empfähet weder rechte Reue über die begangene Sünde noch einigen Trost. Denen sage ich, will ich einen Prozess schreiben, den ich selber gegangen bin, was ihm zu tun sei und mir es gegangen ist, ob es einen lüstere nachzufolgen, so wird er es erfahren, was hienach geschrieben ist.

Prozess der Buße
1,12. Wann der Mensch seinen Hunger durch solche obbenannte Betrachtung in sich findet, dass er gerne wollte Buße tun, und findet aber keine recht Reue über die begangene Sünde in sich und gleichwohl einen Hunger nach Reue, wie dann die arme gefangene Seele immerdar ächzet, sich fürchtet und vor Gottes Gerichte der Sünden sich schuldig geben muss, der kann es besser nicht machen, als er raffe Sinnen und Gemüte mit aller Vernunft zusammen in eines und mach sich zur selben Stunde alsbald in der ersten Betrachtung, wann er sich in Lust zur Buße fühlet einen gewaltigen Fürsatz (Entschluss zur Tat), dass der diese Stunde und diese Minute alsbald will in die Buße eingehen und von dem gottlosen Wege ausgehen, auch aller Welt Macht und Ehre nichts achten, und wo es sein soll alles um der wahren Buße willen verlassen und für nichts achten.

1,13. Und setze sich einen solchen harten und strengen Sinn für, dass er nimmermehr will wieder davon ausgehen und sollte er gleich aller Welt Narr darinnen sein, und dass er wolle mit seinem Gemüte aus der Schönheit und Wollust dieser Welt in das Leiden und Tod Christi in und unter sein Kreuz geduldig eingehen und seine ganze Hoffnung auf das zukünftige Leben richten und wolle nun in Gerechtigkeit und Wahrheit in Christi Weinberge eingehen und Gottes Willen tun, und in Christi Geiste und Willen alle seine Werk in dieser Welt anfahen und vollenden, und wolle um Christi Wort und Verheißung willen, indem er uns himmlische Belohnung zugesaget hat, alles Unglück und Kreuz gerne leiden und tragen, dass er nur möge unter die Gemeinschaft der Kinder Christi gezählet und im Blute des Lammes Jesu Christi in seine Menschheit eingeleibet und vereiniget sein.

1,14. Er soll sich festiglich einbilden und seine Seele ganz darein wickeln, dass er in seinem Fürsatze werde die Liebe Gottes in Christo Jesu erlangen und dass ihm Gott werde nach seiner treuen Verheißung das edle Pfand, den Hl. Geist, zu seinem Anfang geben, dass er in der Menschheit Christi nach himmlischen göttlichen Wesen werde in ihm selber neugeboren werden, und dass ihm der Geist Christi werde sein Gemüte in seiner Liebe und Kraft erneuern und seinen schwachen Glauben kräftig machen, auch dass er in seinen göttlichen Hunger werde Christi Fleisch und Blut in seiner Seelenbegierde, welche stets danach hungert und dürstet, zu einer Speise und Trank bekommen, Joh. 6,55, und mit der Seelendurst trinken aus dem süßen Brünnlein Jesu Christi das Wasser des ewigen Lebens nach Christi Verheißung und wahrhaftiger starker Zusage, Joh. 4,10.

1,15. Er soll sich auch gänzlich einbilden die große Liebe Gottes, dass Gott nicht den Tod des Sünders wolle, sondern will, dass er sich bekehre und lebe, Ezech. 33,11. Und wie Christus die armen Sünder also freundlich zu sich rufet, wie er sie will erquicken, Matth. 11,28. Und dass Gott seinen Sohn darum habe in die Welt gesandt, zu suchen und selig zu machen, das verloren ist, nämlich den armen, bußfertigen, wiederkehrenden Sünder, und wie er um des armen Sünders willen habe sein Leben in den Tod gegeben und für ihn in unserer angenommenen Menschheit gestorben sei.

1,16. Mehr soll er sich festiglich einbilden, dass ihn Gott in Christo Jesu viel lieber wolle erhören und zu Gnaden annehmen als er zu ihm komme und dass Gott in der Liebe Christi in dem hochteuren Namen Jesu nichts Böses könne wollen, dass kein Zornblick in diesem Namen sei, sondern er ist die höchste und tiefste Lieb und Treu, die allergrößeste Süßigkeit der Gottheit in dem großen Namen JEHOVA, welchen er in unserer verderbten und verblichenen Menschheit des himmlischen Teils, welches im Paradies durch die Sünde verblich, hat offenbaret und sich deshalben nach seinem Herzen beweget, dass er uns seine süße Liebe einflößete, auf dass des Vaters Zorn, welcher in uns entbrannt war, dadurch verlösche und in Liebe verwandelt würde; welches alles um des armen Sünders willen geschehen ist, dass der möchte wieder eine offene Gnadenpforte erlangen.

1,17. In solcher Betrachtung soll er sich festiglich einbilden, dass er diese Stunde und Augenblick vor dem Angesichte der Hl. Dreifaltigkeit stehe und dass Gott wahrhaftig in ihm und außer ihm gegenwärtig sei vermöge der Hl. Schrift: Bin nicht ich‘s, der alles erfüllet? Jer. 23,24. Desgleichen: Das Wort ist dir nahe als nämlich in deinem Munde und Herzen, Röm. 10,8. Desgleichen: Wir wollen zu euch kommen und Wohnung in euch machen, Joh. 14,23. Desgleichen: Ich will alle Tage bis an der Welt Ende bei euch bleiben, Matth. 28,20. Desgleichen: Das Reich Gottes ist inwendig in euch, Luk. 17,21.

1,18. Also soll er gewiss wissen und glauben, dass er mit seiner Seele feste vor dem Angesichte Jesu Christi vor der heiligen Gottheit stehe und dass sich seine Seele habe rücklings von Gottes Angesicht gewandt, und dass er jetzt diese Stunde wolle seiner Seelen Augen und Begierde gegen Gott wenden und mit dem armen verlorenen und wiederkehrenden Sohne zum Vater kommen. Er soll mit untergeschlagenen Augen seiner Seelen und Gemütes in Furcht und höchster Demut vor Gott nahen, seine Sünde und Unwürdigkeit zu beichten wie folget:

Eine kurze Form der Beicht‘ vor Gottes Augen
Diese Beichte mag sich ein jeder nach seinem Anliegen formieren und vermehren wie ihn der Hl. Geist wird lehren. Ich will nur eine kurze Anleitung geben.

1,19. O großer, unerforschlicher, heiliger Gott, Herr aller Wesen, der du dich in Christo Jesu aus großer Liebe gegen uns mit deinem heiligen Wesen in unserer Menschheit hast offenbaret. Ich armer, unwürdiger, sündiger Mensch komme vor dein geoffenbartes Angesichte, in der Menschheit Christi, wiewohl ich‘s nicht wert bin, dass ich meine Augen zu dir aufhebe und stehe vor dir; und bekenne dir, dass ich an deiner großen Liebe und Gnade, die du uns geschenket hast, bin treulos und brüchig geworden. Ich habe den Bund, welchen du aus lauter Gnaden durch die Taufe mit mir gemacht hast, in welchem du mich zum Kind und Erben des ewigen Lebens hast angenommen, verlassen, und habe meine Begierde in die Eitelkeit dieser Welt eingeführet und meine Seele damit besudelt und ganz viehisch und irdisch gemacht, dass sich auch meine Seele vor Sündenschlamm nicht kennet und ganz als ein fremdes Kind vor deinem Angesichte achtet, das nicht wert ist, dass es deiner Gnade begehren soll. Ich liege im Schlamm der Sünden und Eitelkeit meines verderbten Fleisches bis an den Gaumen meiner Seelen und habe nur noch ein klein Fünklein des lebendigen Odems in mir, welches deiner Gnaden begehret. Ich bin mir in der Eitelkeit also tot worden, dass ich auch in dieser Eitelkeit meine Augen nicht zu dir aufheben darf.
O Gott in Christo Jesu, der du um der armen Sünder willen bist Mensch worden, dass du ihnen helfen willst! Dir klage ich‘s, zu dir habe ich noch einen Funken der Zuflucht in meiner Seele. Ich habe dein erworbenes Erbe, das du durch deinen bitteren Tod uns armen Menschen erworben hast, nichts geachtet und mich der Erbschaft der Eitelkeit in deines Vaters Zorn im Fluche der Erden teilhaftig gemacht und bin in Sünden gefangen, und an deinem Reiche halb erstorben. Ich liege in Ohnmacht deiner Kraft und der grimmige Tod wartet meiner. Der Teufel hat mich vergiftet, dass ich dich meinen Heiland nicht kenne. Ich bin ein wilder Zweig an deinem Baum worden und habe mein Erbe an dir mit des Teufels Säuen verzehret (oben Vers 3). Was soll ich vor dir sagen, der ich deiner Gnaden nicht wert bin. Ich liege im Schlafe des Todes, der hat mich gefangen und bin mit dreien starken Ketten hart angebunden.
O du Durchbrecher des Todes! Komm mir doch zuhilfe. Ich kann und vermag nichts. Ich bin mir tot worden und habe keine Kraft vor dir, und darf auch meine Augen vor großer Schande vor dir nicht aufheben, denn ich hin der besudelte Säuhirte (Luk. 15), und habe mein Erbe mit der falschen buhlerischen Hure der Eitelkeit in Fleischeslust vertan. Ich habe mich in eigener Lust gesucht und nicht dich. Nun bin ich in meiner Selbheit zum Toren geworden und bin nackt und bloß. Meine Schande steht mir unter Augen. Ich kann sie nicht verbergen, dein Gerichte wartet meiner. Was soll ich vor dir sagen, der du aller Welt Richter bist? Ich habe nichts mehr, das ich dir fürtragen (zur Entschuldigung vortragen) kann. Hie stehe ich vor dir nackt und bloß und falle vor deinem Angesichte zu Boden und klage dir mein Elend und flehe zu deiner großen Barmherzigkeit, wie wohl ich‘s nicht wert bin. So nimm mich doch nur in deinen Tod und lass mich doch nur in deinem Tode meines Todes sterben. Schlage doch du mich in meiner angenommenen Ichheit zu Boden und töte durch deinen Tod meine Ichheit, auf das ich nicht mehr mir selber lebe, weil ich in mir selber nur Sünden wirke. So schlage du doch das böse Tier, voll falscher List und eigener Begierde, zu Boden und erlöse doch die arme Seele von ihren schweren Banden.
O barmherziger Gott, deine Liebe und Langmut ist‘s, dass ich nicht allbereit in der Hölle liege. Ich ergebe mich mit meinem ganzen Willen, Sinnen und Gemüte in deine Gnade und flehe zu deiner Barmherzigkeit. Ich rufe dir durch deinen Tod aus dem kleinen Fünklein meines Lebens, mit dem Tode und der Höllen umfangen, welche ihren Rachen gegen mich aufsperren und wollen mich gar im Tode verschlingen; der du zugesaget hast: Du willst das klimmende Docht nicht auslöschen (Jes. 42,3). Nun habe ich keine andere Straße zu dir als dein Leiden und Sterben, weil du unsern Tod durch deine Menschheit hast zum Leben gemacht, und die Ketten des Todes zersprenget. So ersenke ich meiner Seelen Begierde in deinen Tod, in die aufgebrochene Pforten deines Todes.
O großer Brunnquell der Liebe Gottes, lass mich doch meiner Eitelkeit und Sünde, in dem Tode meines Erlösers Jesu Christi sterben!
O du Odem der großen Liebe Gottes, erquicke doch meinen schwachen Odem in mir, dass er anfange nach dir zu hungern und zu dürsten!
O Jesu, du süße Kraft, gib doch meiner Seele aus deinem Gnadenbrünnlein deines süßen Wassers des ewigen Lebens zu trinken, dass sie vom Tode aufwache und nach dir dürste. Ach, wie gar matt ist sie doch an deiner Kraft!
O barmherziger Gott, bekehre du doch mich, ich kann nicht!
O du Ritter des Todes, hilf du mir doch ringen. Wie hält mich der Feind an seinen drei Ketten und will meiner Seelen Begierde nicht lassen vor dich kommen. Komm doch du, und nimm meiner Seelen Begierde in dich. Sei doch du mein Zug zum Vater und erlöse mich von des Teufels Banden! Siehe nicht an meine Ungestalt, dass ich vor dir nackt stehe und habe dein Kleid verloren. Bekleide doch nur meinen Odem (Seele), der noch in mir lebet und deiner Gnade begehret und lass mich noch einst sehen dein Heil!
O allertiefste Liebe, nimm doch meiner Seelen Begierde in dich. Führe sie doch aus des Todes Banden durch deinen Tod in deiner Auferstehung in dir aus! Erquicke mich doch in deiner Kraft, auf dass meine Begierde und Willen anfange neu zu grünen! Ach, du Überwinder des Todes und Zornes Gottes, überwinde doch du in mir meine Ichheit. Zerbrich ihren Willen und zerknirsche meine Seele, dass sie sich vor dir fürchte und stets vor dir zu Boden falle und sich ihres eigenen Willens vor deinem Gerichte schäme, dass sie als dein Werkzeug dir gehorsam sei. Beuge du sie in Todesbanden, nimm ihr die Gewalt, auf dass sie ohne dich nichts wolle!
O Gott, Hl. Geist in Christo meinem Heiland, lehre mich doch, was ich tun soll, dass ich mich möge zu dir wenden. Wende doch meinen Willen in mir zu dir. Zeuch (ziehe) doch du mich in Christo zum Vater und hilf mir, auf dass ich jetzt von nun an von der Sünden und Eitelkeit ausgehe und nimmermehr wieder darein eingehe. Erwecke du eine rechte Reue über die begangene Sünde in mir. Halt mich doch an deinem Bande und lass mich nicht von dir los, dass mich der Teufel nicht sichte in meinem bösen Fleisch und Blut, und wieder in den Tod des Todes führe. Erleuchte doch meinen Geist, dass ich die göttliche Bahn sehe und stets gehe. Nimm doch du von mir, was mich wendet von dir. Gib doch du mir, was mich stets wendet zu dir. Nimm mich mir und gib mich ganz zu eigen dir! Lass mich doch nichts ohne dich anfangen, wollen, denken noch tun. Ach, wie lange, Herr, bin ich’s doch nicht wert, dass ich von dir begehre. Lass doch meiner Seelen Begierde nur in den Toren deiner (Tempel-)Vorhöfe wohnen. Mache sie nur zu deiner Diener Knecht. Errette sie doch nur aus der grausamen Gruben, da kein Trost noch Erquickung innen ist.
O Gott in Christo Jesu, ich bin mir blind und kenne mich nicht vor Eitelkeit. Du bist mir in meiner Blindheit verborgen, der du doch nahe bei mir bist. Aber dein Grimm hat mich finster gemacht, welchen meine Begierde erwecket hat. Nimm doch nur den Odem meiner Seelenbegierde zu dir. Prüfe ihn Herr und zerschelle ihn, dass meine Seele möge einen Strahl deiner süßen Gnaden erreichen.
Vor dir liege ich als ein Toter, dessen Leben auf seinem Gaumen schwebet, als ein kleines Fünklein. Zünde du es doch an, Herr, und richte meiner Seelen Odem vor dir auf! Herr, ich warte auf deine Zusage, der du gesagt hast: So wahr ich lebe, ich habe nicht Lust am Tode des Sünders, sondern dass er sich bekehre und lebe. Ich ersenke mich in den Tod meines Erlösers Jesu Christi und harre deiner. Dein Wort ist Wahrheit und Leben.
Amen.

1,20. Auf solche oder dergleichen Art, wie sich ein jeder in seinem Gewissen fühlet, in welche Sünden er seine Seele eingeführet hat, mag er beichten, wiewohl, so der Fürsatz recht ernst ist, keine Formula nötig zu machen ist, dann der Geist Gottes, welcher bald im Willen des Gemüts ist, wird sie ihm im Gewissen wohl selber machen, denn er ist’s, der in einer rechten ernsten Begierde selber die Buße wirkt und die Seele durch Christi Tod vor Gott vertritt.

1,21. Dem lieben Leser, welcher in einem christlichen Fürsatz ist, will ich aber nicht verbergen, wie es gemeinlich in solchem harten Fürsatz pfleget zu gehen, zwar einem anders als dem anderen, nachdem der Fürsatz ernstlich und groß ist. Denn der Geist Gottes ist ungebunden und pfleget mancherlei Prozess zu halten, wie er einen jeden kennet. Jedoch der im Kriege gewesen ist, der kann vom Streite reden, ob’s einem auch also ging, zur Nachricht.

1,22. Es kommt, dass ein solch Herz mit strengem Fürsatze also vor Gott kommt und in die Buße eingehet. Es gehet ihm aber wie dem Kanaaneischen Weiblein (Matth. 15,22), als wollte Gott nicht hören. Sein Herze bleibet ohne Trost. Es treten ihm noch wohl seine Sünden und Unwürdigkeit unter Augen, als sei er’s nicht wert. Sein Gemüte ist, als wäre es stumm. Die Seele ächzet in der Tiefe. Das Herz empfähet nichts, kann auch wohl seine Beichte vor Gott nicht ausschütten, gleich als wären ihm sein Herz und Seele verschlossen. Die Seele wollte gerne, aber das Fleisch hält sie gefangen. Der Teufel decket feste zu und modelt ihm den Weg der Eitelkeit wieder vor und kitzelt ihn mit Fleischeslust und saget im Gemüte: Harre noch, tue erst dies und das. Sammle dir zuvorhin Geld, dass du der Welt nicht bedarfst, alsdann tritt in ein frommes Leben in die Buße; es ist Zeit genug.

1,23. O, wie viel hundert verderben in solchem Anfange, so sie wieder in die Eitelkeit eingehen; und geht ihnen als einem jungen Pfröpflein, das von Winden abgebrochen wird oder von der Hitze verdorret.

1,24. Höre liebe Seele, willst du ein Ritter des Todes und der Höhen in deinem Heilande Christo werden und willst, dass dein junges Pfröpflein ein Baum im Reiche Christi werden und wachsen, so musst du im ersten ernsten Fürsatz bleiben stehen, es kostet dein erstes väterliches Erbe, dazu dein Leib und Seele; entweder ein Engel in Gott oder ein Teufel in der Hölle. Willst du gekrönt werden, so musst du streiten (Tim. 2,3), du musst in Christo siegen und nicht vor dem Teufel unten liegen. Dein Fürsatz soll bleiben stehen. Du musst zeitliche Ehre und Gut diesem nicht vorziehen.

1,25. Wenn des Fleisches Geist sagte: Harre noch, es ist jetzt nicht angenehme, so muss die Seele sagen: Es ist jetzt meine Zeit und Stunde, dass ich wieder in mein Vaterland eingehe, daraus mich mein Vater Adam hat ausgeführet. Es soll mich keine Kreatur halten. Und solltest du irdischer böser Leib darum zu Trümmern gehen und verschmachten, so will ich anjetzo in den Rosengarten meines Erlösers Jesu Christi durch sein Leiden und Tod zu ihm mit meinem Willen und ganzer Begierde eingehen und dich, du irdischer Leib, der du mir meine Perle hast verschlungen, welche Gott meinem Vater Adam im Paradies gab, in Christi Tode dämpfen und den Willen deiner Wollust in der Eitelkeit brechen und dich, als einen bösen Hund, an die Kette meines ernsten Fürsatzes anbinden. Und solltest du gleich aller Menschen Narr darum sein, so sollst du doch meiner Seelen ernsten Fürsatz gehorchen. Von dieser Kette soll dich niemand auflösen als der zeitliche Tod. Dazu helfe mir Gott und seine Kraft! Amen.

Eine kurze Andeutung
Wie die arme Seele wieder vor Gott treten soll und wie sie um das edle Ritterkränzlein streiten solle, was für Waffen sie anziehen soll, wenn sie will wider Gottes Zorn, auch wider Teufel, Welt und Sünden, mit Fleisch und Blut, wider Sternen und Elementen und wider alle Feinde in Streit ziehen:

1,26. Liebe Seele, zu diesem gehöret Ernst. Es muss nicht nur eine Erzählung solcher Worte sein. Der ernste fürgesetzte Wille Muss das treiben oder wird nicht erlanget werden. Denn, will die Seele Christi Ritterkränzlein von der edlen Jungfrau Sophia erlangen, so muss sie in großer Liebesbegierde mit ihr darum buhlen. Sie muss sie bei ihrem allerheiligsten Namen darum bitten und in gar großer züchtiger Demut vor sie treten, nicht als brünstiger Stier oder geile Venus. Also lange sie solche sind, sollen sie solches nicht begehren, sie erlangen es nicht. Und ob was erlangt würde in dieser Zeit, so ist es bei solchen doch nur ein Glast (Schein und Trug) davon.

1,27. Aber ein züchtiges Gemüt mag es wohl erlangen, dass die Seele in ihrer edlen Bildnis, welche in Adam starb, lebendig gemacht werde, verstehet: in der himmlischen Leiblichkeit, nach dem inwendigen Grunde, und dass sie das Siegskränzlein aufsetze und als eine Krone beigeleget wird. Gleichwie man einen König krönet und hernach seine Krone verwahret, also geschieht auch der Seelen, weil sie noch mit dem Sündenhause umgeben ist, damit, ob sie wieder fiele, nicht ihre Krone besudelt würde. Hiermit den Kindern, so dieses wissen und erfahren haben, verständig genug geredet; kein Gottloser Saumensch ist dieses ferner zu wissen würdig.

Prozess
1,28. Hierzu gehöret ein nüchtern Gemüte, welches in ernstem Fürsatze und in höchster Demut, mit Reue seiner Sünden vor Gott also trete, da ein Fürsatz innen ist, dass der Mensch nicht mehr will in die alten Fußstapfen der Eitelkeit eintreten, und sollte ihn die ganze Welt darum für närrisch halten, er auch Ehre und Gut darum verlieren, dazu das zeitliche Leben, so wollte er dennoch darinnen verharren.

1,29. Ein solch Gelübde muss er der edlen Jungfrau Sophia in seinem Fürsatz und Gemüte tun, will er ihre Ehe und Liebe erlangen. Denn Christus sagte auch also: Wer nicht verlässt Weib, Kinder, Brüder, Schwestern, Geld, Gut und alles, was er hat, ja auch sein irdisch Leben, und folget mir nach, der ist meiner nicht wert. Solches versteht Christus auf das seelische Gemüte, dass, ob etwas wäre, welches das Gemüte hierinnen wollte aufhalten, wie schön und herrlich das in dieser Welt zu sein auch schiene, soll es doch das Gemüte nicht achten und lieber wollen entbehren als die Liebe der edlen Jungfrauen Sophiae im Gewächse der Blume Christi, in seiner zarten Menschheit in uns, nach himmlischer Leiblichkeit. Denn das ist die Blume zu Saron, die Rose im Tal, davon Salomon spielet (Hohelied 2,1) und seinen lieben Buhlen, seine züchtige Jungfrau nennet, welche er also liebete, wie wohl alle Heiligen vor und nach ihm je geliebet haben. Welcher sie hat erlanget, der hat sie seine Perle geheißen. Wie nun um diese zu bitten sei, folget hiernach eine kurze Anleitung. Das Werk aber wird dem Hl. Geiste befohlen in jedem Herzen, da sie gesucht wird. Derselbe formet ihm selber das Gebet.

Gebet
1,30. Ich armer, unwürdiger Mensch, komme abermal vor dich, o großer, heiliger Gott, und hebe jetzt meine Augen zu dir auf; ob ich es wohl nicht wert bin, so hat mich aber deine große Barmherzigkeit und deine teure Zusage in deinem Worte kühne gemacht, dass ich jetzt die Augen meiner Seelen Begierde zu dir aufhebe. Denn meine Seele hat jetzt das Wort deiner Verheißung in sich gefasset und mit diesem kommt sie zu dir. Und ob sie noch ein fremdes Kind vor dir ist, welches dir ungehorsam war, nun aber begehret, gehorsam zu sein, so windet sich aber meine Seele jetzt mit ihrer Begierde in das Wort ein, das Mensch worden ist, das Fleisch und Blut worden ist, das in meiner Menschheit die Sünde und den Tod zerbrochen hat, das in meiner Seelen den Zorn in Liebe verwandelt hat, das dem Tode seine Macht und der Höllen ihren Sieg in Seele und Leib genommen hat, welches meiner Seelen eine offene Pforten zu deinem klaren Angesicht deiner Kraft gemacht hat. In dieses allerheiligste Wort habe ich, o großer, allerheiligster Gott, meiner Seelen Hunger und Begierde eingeführet, und komme jetzt vor dich und rufe in meinem Hunger durch dein Wort, das Fleisch und Blut worden ist, in dich, du lebendige Quelle: Dieweil dein Wort ist das Leben in unserem Fleisch worden, so fasse ich es in meiner Seelenbegierde als mein eigen Leben und dringe mit meiner Seelenbegierde durch dein Wort im Fleische Christi, durch seine heilige Empfängnis in Maria der Jungfrauen, und durch seine ganze Menschwerdung, durch seine heilige Geburt, durch seine Taufe am Jordan, durch seine Versuchung in der Wüsten, da er in der Menschheit des Teufels und dieser Welt Reich überwand, durch alle seine kräftigen Wunderwerke, die er auf Erden tat, durch seinen Spott und Verachtung, durch sein unschuldig Leiden und Sterben, durch sein Blutvergießen, da Gottes Zorn mit in der Seele und Fleisch ersäufet ward, durch seine Ruhe im Grabe, da er unsern Vater Adam aus seinem Schlaf erweckte, da er war des Himmelreichs eingeschlafen, durch seine Liebe, die durch den Zorn drang und in der Seelen die Hölle überwand und zerstörete; und durch seine Auferstehung von den Toten; durch seine Himmelfahrt; durch die Sendung des Hl. Geistes in unsere Seele und Geist; und durch alle seine Worte und Verheißung, dass du Gott Vater willst den Hl. Geist geben denen, die dich in dem Namen und durch das Wort, das Mensch ward, bitten werden in dich.
O du Leben meines Fleisches und der Seelen, in Christo meinem Bruder! Zu dir flehe ich in meiner Seelen Hunger und bitte dich aus allen meinen Kräften, wiewohl sie schwach sind, gib mir doch, was du mir in meinem Heilande Jesu Christo geschenket und versprochen hast als sein Fleisch zur Speise und sein Blut zum Trank, meiner armen hungrigen Seelen zur Labung, auf dass sie in deinem Wort, das Mensch ward, möge kräftig werden und sich erquicken, dadurch sie recht lüsternd und hungrig nach dir werde.
O tiefe Liebe in dem allersüßesten Namen Jesu! Ergib dich doch in meiner Seelen Begierde ein. Hast du dich doch darum in der Menschheit beweget und nach deiner großen Süßigkeit offenbaret und rufest uns zu dir, die wir nach dir hungrig und durstig sind; und hast uns zugesaget, du wollest uns erquicken. Jetzt sperre ich meiner Seelen Gaumen gegen dich, o allerheiligste, süßeste Wahrheit, auf. Und ob ich unwürdig bin, von deiner Heiligkeit solches zu begehren, so komme ich aber durch dein bitter Leiden und Tod zu dir, da du meine Unreinigkeit hast mit deinem Blute besprenget und in deiner Menschheit geheiligt und mir eine offene Pforte durch deinen Tod zu deiner süßen Liebe in deinem Blute gemacht. Durch deine heiligen fünf Wunden, daraus du dein Blut vergossen, führe ich meiner Seelen Begierde in deine Liebe ein.
O Jesu Christ, Gottes und Menschensohn, nimm doch dein erworbenes Erbe, das dir dein Vater hat geschenkt, in dich. Ich rufe in mir durch dein heiliges Blut und Tod in dich, tue dich in mir auf, dass dich meiner Seelen Geist in sich erreiche. Greife du mit deinem Durst, den du am heiligen Kreuze nach uns Menschen hattest, in meinen Durst und tränke mich mit deinem Blute in meinem Durst, auf dass mein Tod in mir, der mich gefangen hält, in deinem Blute der Liebe ersäufe und mein verblichenes Bilde, das in meinem Vater Adam in der Sünden des Himmelreichs verblich, in deinem kräftigen Blute lebendig werde. Und ziehe es meiner Seelen wieder an als einen neuen Leib, der im Himmel wohnet, darinnen deine heilige Kraft und Wort, das Mensch ward, innewohnet, welches der Tempel deines Hl. Geistes ist, der in uns wohnet; wie du uns zugesaget hast: Wir wollen zu euch kommen und Wohnung in euch machen. (Joh. 14,23)
O große Liebe Jesu Christi! Ich kann nichts mehr, als ich ersenke meine Begierde in dich, ein Wort, das Mensch ward, ist die Wahrheit. Weil du mich hast heißen kommen, so komme ich jetzt. Mir geschehe nach deinem Worte und Willen. Amen.

Warnung an den Leser
1,31. Wohlmeinende will ich dir, lieber Leser, nicht verbergen, was mir hierbei ernstlich gezeiget ist: Ist dir noch in der Eitelkeit des Fleisches wohl und bist nicht in erstem Fürsatze auf dem Wege zur neuen Wiedergeburt, in willens, ein anderer Mensch zu werden, so lass die obgeschriebenen Worte in diesem Gebet ungenannt oder werden dir in dir zum Gerichte Gottes werden. Du sollst die heiligen Namen Gottes nicht missbrauchen. Sei treulich gewarnet, sie gehören der durstigen Seelen. Ist es ihr recht ernst, sie wirds erfahren, was sie sind.

Anleitung
Wie die Seele soll ihrem lieben Buhlen, wann derselbe im Centro, in der verschlossenen Kammer der Seelen, anklopfet, begegnen.
1,32. Liebe Seele, es muss Ernst sein ohne Nachlass. Die Liebe eines Kusses der edlen Sophia in dem heiligen Namen Jesu erlangest du wohl, denn sie stehet ohnedies vor der Seelen Tür und klopfet an und warnet den Sünder des gottlosen Weges. So er nun einmal also ihrer Liebe begehret, so ist sie ihm zu willen und küsset ihn mit den Strahlen ihrer süßen Liebe, davon das Herz Freude empfanget. Aber in das Ehebette leget sie sich nicht bald zur Seelen, das ist: sie wecket nicht bald das verblichene Himmelsbilde, welches im Paradies verblich, in sich auf. Es ist Gefahr bei dem Menschen; denn fiel Adam und Luzifer, so mag es noch wohl geschehen, dieweil der Mensch noch also stark in der Eitelkeit angebunden stehet.

1,33. Es muss ein treues Band deiner Zusage sein, soll sie dich krönen. Du musst von ehe versuchet werden. Sie nimmt ihre Liebe-Strahlen wieder von dir und siehet, ob du willst Treue halten. Sie lässet dich auch wohl flehen und antwortet dir nicht mit einem Blicke ihrer Liebe. Denn soll sie dich krönen, so musst du von ehe gerichtet werden, dass du das saure Bier, welches du dir hast eingeschenket in deinen Gräuel n, schmeckst. Du musst von ehe vor die Pforten der Höllen und deinen Sieg um und in ihrer Liebe in der Kraft, damit sie dich anblickete, wider des Teufels Angriff beweisen.

1,34. Christus ward in der Wüsten versuchet. Willst du ihn anziehen, so musst du durch seinen ganzen Prozess von seiner Menschwerdung an bis zu seiner Himmelfahrt, gehen. Ob du wohl nicht kannst noch darfst das tun, was er getan hat, so musst du doch gänzlich in seinen Prozess eingehen und der Seelen Eitelkeit in seinem Prozess immerdar sterben. Denn Jungfrau Sophia vermählet sich anderst gar nicht mit der Seelen als nur in dieser Eigenschaft, welche in der Seelen durch Christi Tod ausgrünet als ein neu Gewächse, das im Himmel stehet. Der irdische Leib ergreifet sie diese Zeit nicht, denn er muss von ehe der Eitelkeit absterben. Aber das Himmelsgebilde, welches in Adam verblich als der wahre Weibessame 1.Mose 3,15), darinnen Gott Mensch ward und seinen lebendigen Samen himmlischer Wesenheit dareinführete. Der ergreifet das edle Perlein auf Art wie in Marien im Ziel dieses Bundes geschahe.

1,35. Darum siehe zu, was du tust. Sagest du zu, so halt, sie wird dich lieber krönen als du es begehrest. Aber du musst standhalten, wenn der Versucher mit der Welt Wollust, Schöne und Herrlichkeit zu dir tritt, so muss es das Gemüte verwerfen und sagen: Ich soll Knecht im Weinberge Christi sein und nicht Herr dessen alles, was ich habe, bin ich nur ein Diener Gottes darüber und solle darmit tun, wie mich sein Wort lehret. Mein Herze soll zum Albern (Geringen) im Staub und stets demütig sein.

1,36. Du seiest in was Stande du wollest, so muss Demut an der Spitze stehen, sonsten erlangest du nicht ihre (Sophia) Ehe, wie wohl wahre Demut erst in ihrer Ehe geboren wird. Aber dein freier Wille der Seelen muss als ein Ritter stehen; denn so der Teufel nicht mag mit der Eitelkeit der Seelen obsiegen, dass sie ihm nicht will anbeißen, so kommt er mit der Unwürdigkeit, mit dem Sündenregister. Allda gilt es Kämpfens.

1,37. Allhie muss Christi Verdienst an die Spitze gestellet werden, anders kann die Kreatur nicht vor dem Teufel siegen, denn es gehet allhie mit manchem schrecklich zu, dass auch die äußere Vernunft meinet, dieser Mensch sei sinnlos (ohne Erkenntnis) und vom Teufel besessen. Also grausam wehret sich der Teufel in manchem, zumal so er hat ein groß Raubschloss in ihm gehabt, wann er soll weichen und sein Raubschloss verlassen. Allhie gilt es Kämpfens, da Himmel und Hölle miteinander streiten.

1,38. So nun allhie die Seele beständig bleibet und dem Teufel in allen seinen Angriffen obsieget und alles Zeitliche nichts achtet, um der Liebe ihrer edlen Sophia willen, so wird ihr das teure Ritterkränzlein zu einem Siegszeichen aufgesetzet. Allhie tritt die Jungfrau, welche sich aus dem teuren Namen Jesu mit Christo dem Schlangentreter (1.Mose 3,15) als dem Gesalbten Gottes offenbaret, zur Seele und küsset sie mit ihrer süßesten Liebe in der Essenz ganz innerlich und drückt ihr ihre Liebe zum Siegszeichen in ihre Begierde ein. Und allhie stehet Adam nach seinem himmlischen Teil vom Tode auf in Christo. Davon ich nicht schreiben kann, es ist keine Feder in dieser Welt dazu; denn es ist die Hochzeit des Lammes, da das edele Perlein gesäet wird, zwar mit großem Triumpf, doch ist es erstlich klein wie Senfkorn, wie Christus saget.

1,39. Wenn diese Hochzeit vorüber ist, soll die Seele nun zusehen, was sie ihrer Jungfrauen gelobet hat, dass das Perlen-Bäumlein wachse und zunehme; denn allda wird alsbald der Teufel mit seinem Sturmwetter mit gottlosen Menschen kommen, welche es verachten, verspotten und für eine Unsinnigkeit ausschreien. Allda muss der Mensch nun in Christi Prozess unter sein Kreuz treten. Allhie gilt es nun erst mit der Tat Beweisens, dass wir uns lassen Christen nennen. Da muss er sich lassen für einen Narren und gottlosen Menschen ausrufen, ja seine allerbesten Freunde, welche ihm zuvorhin in des Fleisches Lust haben geliebkoset, werden jetzt seine Feinde, und ob sie gleich nicht wissen warum, doch hassen sie ihn. Also gar deckt Christus seine Braut unterm Kreuze zu, dass sie in dieser Welt nicht erkannt werde. Auch tut solches der Teufel, dass diese Kinder der Welt verborgen bleiben, auf dass ihm nicht etwan viel solcher Zweige in seinem vermeintlichen Garten wachsen. Solches setze ich dem Leser christlichen Gemüts zur Nachrichtung, ob es ihm auch also träfe, was ihm zu tun sei.

Ein gar ernstes Gebet
in der Anfechtung, wider Gottes Zorn im Gewissen, auch wider Fleisch und Blut, wann der Versucher zur Seelen tritt und mit ihr ringet:

1,40. O allertiefste Liebe Gottes in Christo Jesu! Verlass mich nicht in dieser Not. Ich bin ja der Sünden schuldig, welche mir jetzt im Gewissen aufsteigen. Verlässest du mich, so muss ich versinken. Du hast mir ja in deinem Wort zugesaget: Ob eine Mutter ihres Kindes vergäße, welches doch schmerzlich zuginge, noch willst du meiner nicht vergessen (Jes. 49,15). in deine Hände hast du mich gezeichnet (Jes. 49,16), in deine, mit den scharfen Nägeln durchgrabene Hände, und in deine hohle Seite, daraus Blut und Wasser rann, hast du mich eingezeichnet. Ich armer Mensch, in deinem Zorn ergriffen, kann noch vermag jetzo vor dir nichts. Ich ersenke mich nur in deine Wunden und Tod ein.
O große Barmherzigkeit Gottes, erlöse mich doch von des Teufels Banden. Ich habe sonst keine Zuflucht in nichts als nur in deine heiligen Wunden und Tod. In dich ersinke ich in Angst meines Gewissens, mache du es mit mir wie du willst. In dir will ich jetzt leben oder sterben, wie du willst; lass mich doch nur in deinem Tode sterben und vergehen. Begrabe mich nur in deinem Tod, dass mich der Höhen Angst nicht rühre; Was soll ich mich vor dir entschuldigen, der du mein Herze und Nieren prüfest und mir meine Sünde unter Augen stellest? Ich bin ihr ja schuldig und ergebe mich in dein Gerichte. Führe doch du dein Gerichte durch den Tod meines Erlösers Jesu Christi über mich aus.
Ich flehe zu dir, o rechter Richter, durch die Angst meines Erlösers Jesu Christi, da er am Ölberge an meiner Statt blutigen Schweiß schwitzte, da er sich vor Pilato für mich geißeln und eine Dornenkronen zum Spotte auf sein Haupt drücken ließ, dass sein Blut von ihm floss.
O gerechter Gott, du hast ihn (Jesus Christus) ja an meine Stätte gestellt, war er doch unschuldig, und ich bin der Selbstschuldige, dafür er gelitten hat. Warum soll ich dann in deinem Grimm verzagen? Tilge doch nun deinen Zorn in mir durch seine Angst, Leiden und Tod. Ich ergebe mich ganz in seine Angst, Leiden und Tod ein, in seiner Angst und Leiden will ich dir stille halten. Mache es mit mir, wie du willst. Nur lass mich nicht von seiner Angst abweichen, hast du doch seine Angst mir geschenkt und deinen Grimm in ihm ersäufet. Und ob ich nun solches nicht habe angenommen, sondern bin von ihm abgewichen und treulos worden, so hast du mir doch dieses teure Pfand in mein Fleisch und Seele gegeben, indem er hat mein Fleisch und Seele an sein Himmlisches angenommen und hat den Zorn mit seinem himmlischen Blute in meinem Fleisch und Seele in ihm versöhnet. So nimm mich doch nun in seiner Versöhnung an und stelle seine Angst, Leiden und Tod in deinem Grimm, der in mir entbrannt ist, ein, und zerbrich dein Gerichte in mir in dem Blute seiner Liebe.
O große Liebe im Blute und Tode Jesu Christi! Zerbrich doch dem Teufel sein gemacht Raubschloss, das er in mir aufgebauet hat, da er mir auf dem Wege deiner Gnaden widerstehet. Treib ihn von mir aus, dass er mich nicht sichte, denn vor dir mag kein Lebendiger bestehen, so du deine Hand von uns abziehst.
O komm doch, du Durchbrecher des Zorns Gottes! Zerbrich ihm seine Gewalt. Hilf doch meiner armen Seele wider ihn streiten und siegen. Führe mich doch in deinen Sieg ein und erhalte mich in dir. Zerbrich ihm doch den Sitz in meiner entzündeten Eitelkeit in Seele und Fleisch. Töte doch du die Begierde in meiner Eitelkeit im Fleisch und Blut, welche mir der Teufel mit seiner falschen Begierde jetzt hat mit höllischer Angst und Verzweiflung angezündet. Lösche doch du sie mit deinem Wasser des ewigen Lebens und führe meine Angst durch deinen Tod aus. In dich ersinke ich ganz und gar. Und wenn mir gleich Leib und Seele sollten zu dieser Stunde verschmachten und in deinem Grimm vergehen, so will ich doch von dir nicht ablassen. Ob gleich mein Herz spricht lauter Nein, so soll meiner Seelen Begierde doch deine Wahrheit festehalten. Die soll mir kein Teufel noch Tod nehmen. Denn das Blut Jesu Christi, des Sohns Gottes, macht uns rein von allen Sünden (1.Joh. 1,7). Das fasse ich mir ein, und mache nun gleich Gottes Zorn mit meinen Sünden, was er will, und rausche gleich der Teufel, in seinem gemachten Raubschloss über meiner Seelen her, wie er wolle. Aus deinen Wunden soll mich kein Teufel, Tod noch Hölle reißen. Du stinkender Teufel, musst doch an mir zuschanden werden und dein Raubschloss verlassen, denn ich will es in die Liebe Jesu Christi versenken, so magst du alsdann darinnen wohnen, wo du kannst. Amen.

Unterweisung in der Versuchung
1,41. Günstiger Leser, es ist kein Scherz: Wer es nicht versuchet hat und hält es für Scherz, der ist noch ungerichtet. Und ob es gesparet würde bis an sein letztes Ende, welches doch gefährlich ist, so muss er doch durch dieses Gerichte. O wohl deme, welcher in früher Zeit, in seinen jungen Jahren, ehe der Teufel sein Raubschloss feste bauet, durchgehet durch die Prüfung. Dieser kann hernach einen Arbeiter in Christi Weinberge geben und seinen Samen in Christi Gärtlein säen. Er wird die Früchte wohl einernten zu seiner Zeit. Dieses Gerichte währet über manchen viel Zeit und Jahre, so er sich nicht mit Ernst in Christi Harnisch eingibt, wann ihn erst soll das Gerichte der Anfechtung zur Buße vermahnen. Welcher aber selber aus seinem ernsten Fürsatz kommt und gedenket von dem Gottlosen Wege auszugehen, dem wird es nicht so schwer, und währet auch nicht lange, ob er wohl muss den ritterlichen Sieg wider den Teufel bestehen. So wird ihm doch mächtig beigestanden, und gelanget ihm zum allerbesten, dass, wenn hernach die Morgenröte in der Seelen anbricht, er ein groß Lob Gottes daraus machet, dass der Treiber (Teufel) überwunden ist.

Eine kurze Formula des Gebets
wenn die edle Sophia mit ihrer Liebe die Seele küsset und ihr die Liebe anbietet.
1,42. O allerheiligste und tiefste Liebe Gottes in Christo Jesu! Schenke mir doch dein Perlein . Drücke es doch in meine Seele ein; nimm doch meine Seele in deinen Arm.
O du allersüßeste Liebe, ich bin wohl unrein vor dir. Zerbrich doch meine Unreinigkeit durch deinen Tod. Führe doch meinen Seelenhunger und Durst durch deinen Tod in deiner Auferstehung, in deinen Triumph aus. Schlage meine Ichheit in deinem Tode zu Boden. Nimm sie gefangen und führe nur meinen Hunger in deinem Hunger aus.
O höchste Liebe, bist du doch in mir erschienen, bleibe doch in mir und fasse mich in dich. Halte mich doch in dir, dass ich nicht von dir weichen kann. Erfülle doch meinen Hunger mit deiner Liebe. Speise doch meine Seele mit deinem himmlischen Wesen und tränke sie mit dem Blute meines Erlösers Jesu Christi. Tränke sie doch aus deinem Brünnlein.
O große Liebe, wecke doch mein verblichenes Bilde, welches in meinem Vater Adam am Himmelreich verblich, durch das Wort, das es in des Weibes Samen in Maria aufweckete, auf. Herr bewege du es doch.
O du Leben und Kraft der Gottheit, der du uns zugesaget hast, wir wollen zu euch kommen und Wohnung in euch machen! (1.Joh. 14,23) O süße Liebe, in das Wort deiner Verheißung führe ich meine Begierde ein. Du hast ja zugesagt, dass dein Vater will den Hl. Geist geben denen, die ihn darum bitten. So führe ich nun meiner Seelen Hunger in deine Verheißung ein und nehme dein Wort in meinen Hunger ein. Vermehre doch du meinen Hunger in mir, nach dir. Stärke mich doch, o süße Liebe, in deiner Kraft. Mache mich doch in dir lebendig, dass mein Geist deine Süßigkeit schmecke. Glaube doch du durch deine Kraft in mir, denn ohne dich kann ich nichts tun.
O süße Liebe, ich bitte dich, durch die Liebe, da du Gottes Zorn mit überwandest und den in Liebe und in die göttliche Freudenreich verwandeltest, verwandele doch auch den Zorn in meiner Seele durch dieselbe große Liebe, dass ich dir gehor sam werde und dass dich meine Seele ewig darinnen liebe. Verwandele doch du meinen Willen in deinen. Führe doch deinen Gehorsam in meinen Ungehorsam ein, auf dass ich dir gehorsam werde.
O große Liebe Jesu Christi, zu dir flehe ich. Führe doch meiner Seelen Hunger in deine Wunden ein, daraus du dein heiliges Blut vergossest und den Zorn in der Seelen löschetest. In deine hohle Seite, daraus Blut und Wasser rann, führe ich meinen Hunger ein und werfe mich ganz darein. Sei doch du mein und erquicke mich in deinem Leiden. Lass mich doch nicht von dir.
O mein edler Weinstock, gib doch deiner Reben Saft, dass ich in deiner Kraft und Saft in deiner Essenz grüne und wachse. Gebäre doch du durch deine Kraft in mir die rechte Kraft.
O süße Liebe, bist du doch mein Licht, leuchte doch du meiner armen Seelen in ihrem schweren Gefängnis, in Fleisch und Blut. Führe sie doch stets auf rechter Straße. Zerbrich doch du des Teufels Willen und führe meinen Leib durch den Lauf dieser Welt, durch des Todes Kammer, in deinen Tod und Ruhe ein, auf dass er am Jüngsten Tage aus deinem Tod in dir aufstehe und in dir ewig lebe. Lehre doch du mich, was ich in dir tun soll. Sei doch du mein Willen, Wissen und Tun, und ohne dich lass mich nirgends hingehen. Ich ergebe mich dir ganz und gar. Amen.

Ein Gebetlein um göttliche Wirkung, Schutz und Regierung
wie das Gemüte im Lebensbaume Christi mit und in Gott wirken soll.
1,43. In dir, o lebendige Quelle, erhebe ich meiner Seelen Begierde durch das Leben meines Heilandes Jesu Christi in dich.
O du Leben und Kraft Gottes, erwecke dich doch in meiner Seelen Hunger. Zünde doch du meiner Seelen Hunger mit deiner Liebe Begierde, durch den Durst Jesu Christi, den er am Kreuze nach uns Menschen hatte, an, und führe meine schwache Kraft durch deine mächtige Kraft in deinem Geiste aus. Sei doch du mit deiner Kraft das Wirken und Wollen in mir. Blühe du in der Kraft Jesu Christi in mir aus, auf dass ich dir möge Lob gebären als rechte Früchte in deinem Reich. Lass nur mein Herze und Begierde ewig nicht von dir weichen.
Weil ich aber in diesem Jammertal, in dem äußern irdischen Leib und Blut in der Eitelkeit schwimme und meine Seele und edle Bildnis nach deinem Gleichnis auf allen Seiten von Feinden umfangen ist, als mit des Teufels Begierde gegen mich, auch mit der falschen Begierde der Eitelkeit im Fleisch und Blut, sowohl mit dem Gegensatz aller gottlosen Menschen, welche deinen Namen nicht kennen, und schwimme mit meinem äußern Leben in Sternen und Elementen, da meine Feinde auf allen Seiten, innerlich und äußerlich, auf mich warten, auch der zeitliche Tod, welcher der Zerbrecher dieses eitelen Lebens ist, so fliehe ich zu dir, o heilige Kraft Gottes, weil du dich mit deiner Liebe in Gnaden in unserer Menschheit hast offenbaret durch den heiligen Namen Jesu und denselben zu unsern Gefährten in uns gegeben. So bitte ich dich, lass doch auch seine Engel, die ihm dienen, auf unsere Seele warten und sich um uns her lagern und uns bewahren vor den feurigen Pfeilen der Begierde des Bösewichts, welche er durch den Fluch Gottes Zornes, der in unserem irdischen Fleische erwecket ist, täglich in uns hineinschießt. Halte doch durch deine Kraft auf die Strahlen des Gestirnes in ihrer Widerwärtigkeit, in welche sich der Bösewicht mit seiner Begierde einflicht, uns in Seele und Fleisch zu vergiften und in falsche Begierde einzuführen, auch in Krankheit und Elend. Wehre doch du diesen Zornesstrahlen mit dem heiligen Namen Jesu in unserer Seelen und Geiste, dass sie uns nicht rühren, und lass deinen heiligen guten Engel bei uns sein, dass er diese Giftstrahlen unserm Leibe abtreibe.
O große Liebe und süße Kraft Jesu, du Quellbrunn der göttlichen Süßigkeit aus dem ewigen großen Namen Jehova. Ich rufe mit meiner Seelen Begierde in dich. Meine Seele rufet in den Geist ein, aus deme sie ist in Leib eingeblasen worden, der sie hat zum Gleichnis Gottes formieret und begehret in ihrem Durste des süßen Quellbrunnens Jesu aus Jehova in sich zur Labung in ihrem Feuerodem Gottes, der sie selbst ist, auf dass in ihrem Feuerodem aufgehe durch den Quel Jesu aus Jehova die süße Liebe Jesu und der Herr Christus in meinem verblichenen Bilde der himmlischen, geistlichen Leiblichkeit offenbar und Mensch werde und die arme Seele ihre liebe Braut wieder in ihre Arme bekomme, mit der sie sich mag ewig erfreuen.
O Immanuel, du Ebenbild Gott und Mensch, in deine Arme deiner Begierde gegen und in uns ergebe ich mich, deiner begehre ich. Tilge du doch deines Vaters Zorn mit deiner Liebe in mir und stärke mein schwaches Bild in mir, dass es möge die Eitelkeit im Fleisch und Blut überwinden und zähmen und dir dienen in Heiligkeit und Gerechtigkeit.
O großer, allerheiligster Name und Kraft Gottes, Jehova, der du dich im verheißenen Ziel des Bundes, mit Adam unserm Vater gemacht, im Weibessamen der Jungfrauen Maria, in unserer verblichenen himmlischen Menschheit hast mit deiner allersüßesten Kraft Jesu beweget und deine lebendige Wesenheit, deiner heiligen Kraft, in der jungfräulichen Weisheit Gottes (die göttliche Sophia) in unsere an dir verblichenen Menschheit eingeführet und uns zum Leben, Sieg und neue Wiedergeburt gegeben. Dich bitte ich aus allen meinen Kräften: Gebäre mich doch auch in deiner süßen Kraft Jesu zu einem neuen und heiligen Leben, auf dass ich in dir und du in mir seist und dein Reich in mir offenbar werde und meiner Seelen Wille und Wandel im Himmel sei.
O großer, unbegreiflicher Gott, der du alles erfüllest, sei doch du mein Himmel, in deme meine neue Geburt in Christo Jesu möge wohnen. Lass doch meinen Geist deines Hl. Geistes Saitenspiel, Klang und Freude sein. Spiele du in mir in deiner wiedergeborenen Bildnis und führe meine Harmonie in deinem göttlichen Freudenreich aus in großem Lobe Gottes, in den Wundern deiner Glorie und Herrlichkeit, in der Gemeinschaft der heiligen engelischen Harmonie und baue in mir auf die heilige Stadt Zion, in der wir als Kinder Christi alle in einer Stadt leben, welche ist Christus in uns. In dich ersenke ich mich ganz und gar. Tue du in mir, was du willst. Amen.

Ein Gebet in und wider die Anfechtung
unterm Kreuze Christi, in Zeit, wenn alle Feinde auf uns stürmen und wir im Geiste Christi verfolget, gehasset und als Übeltäter geschmähet und gelästert werden.
1,44. Ich armer Mensch, voll Angst und Trübsal wandere auf meiner Pilgramstraße wieder in mein ausgegangenes Vaterland und gehe durch die Disteln und Dornen dieser Welt wieder zu dir, o Gott mein Vater. Und werde allenthalben von den Dornen zerrissen und von Feinden geplaget und verachtet. Sie schmähen meine Seele und verachten sie als eines Übeltäters, welcher an ihnen treulos worden ist. Sie verachten meinen Weg zu dir und halten ihn für töricht. Sie meinen, ich sei unsinnig, dass ich auf diesem Dornenwege wandele und nicht ihre gleißnerische Straße mit ihnen gehe.
O Herr Jesu Christe, unter dem Kreuz fliehe ich zu dir, ach lieber Immanuel! Nimm doch und führe mich durch deine Pilgramstraße, die du in dieser Welt gewandelt hast, durch deine Menschwerdung und Armseligkeit, durch deine Verachtung und Spott, auch durch deine Angst, Leiden und Tod zu dir ein. Mache mich doch deinem Bilde ähnlich. Sende doch deinen guten Engel mit mir, der mir den Weg weise durch diese grausame dornige Wüsten der Welt. Stehe mir doch in meinem Elend bei. Tröste mich doch mit dem Troste, da dich der Engel im Garten, als du zu deinem Vater betetest und blutigen Schweiß schwitztest, tröstete. Erhalte du mich doch in meiner Angst und Verfolgung unter dem Spotte des Teufels und aller falschen Menschen, die dich nicht kennen und deinen Weg nicht gehen wollen.
O große Liebe Gottes! Sie kennen deinen Weg nicht und tun es aus Blindheit durch des Teufels Trug. Erbarme doch du dich über sie und führe sie aus der Blindheit ans Licht, auf dass sie sich lernen kennen, wie sie im Schlamm und Kote des Teufels in einem finstern Tal gefangen liegen, mit dreien Ketten hart angebunden. O großer Gott, erbarme dich doch über Adam und seine Kinder. Erlöse sie doch in Christo, dem neuen Adam.
Ich flehe zu dir, o Christe, Gott und Mensch, auf dieser Pilgramstraße, da ich im finstern Tal wandeln muss (Psalm 23,4) und allenthalben verspottet, geängstiget und für einen falschen gottlosen Menschen gehalten werde. Herr, es ist dein Gerichte über mich, auf dass meine Sünde und angeborene Eitelkeit auf dieser Pilgramstraße vor dir gerichtet und als ein Fluch schaugetragen werde, daran sich dein Zorn ergötzt und also dadurch den ewigen Spott von mir nimmt. Es ist dein Liebeszeichen, und führest mich dadurch in den Spott, Angst und Leiden und Tod meines Heilandes Jesu Christi ein, dass ich der Eitelkeit in meinem Heilande absterbe und in seinem Geiste, durch seinen Spott und Verachtung, durch seinen Tod, meines neuen Lebens ausgrüne.
Ich bitte dich, o Christe, du geduldiges Lamm Gottes, durch alle deine Angst und Spott, durch dein Leiden und Tod, durch deine Verachtung am Kreuzesstamm, da du an meiner Stelle verachtet wurdest, verleihe mir Geduld in meinem Kreuzwege und führe mich auch als ein geduldiges Lamm darauf zu dir in deine Überwindung ein. Lass mich mit und in dir leben und bekehre doch meine Verfolger, welche anjetzo mit ihrem Spotten sich ganz unwissend meine Eitelkeit und angeborene Sünde vor deinem Zorn aufopfern. Sie wissen ja nicht, was sie tun. Sie meinen es böse mit mir zu machen, aber sie machen mir es gut. Sie tun das vor dir, das ich tun sollte vor dir. Ich sollte täglich meine Schande vor dir aufdecken und bekennen und damit in den Tod deines lieben Sohns mich ersenken, dass sie in seinem Tode stürbe. Weil ich aber zu viel lässig bin, auch zu matt und schwach, so brauchest du sie in deinem Zorn dazu, dass sie meine Schande vor deinem Zorn aufdecken, welche dein Grimm ergreifet und in den Tod meines Heilandes ersenket.
O barmherziger Gott, mein eiteles Fleisch kann es nicht erkennen, wie du es so gut mit mir meinest, dass du lässest meine Feinde meinen Enkel von mir nehmen und dir aufopfern. Mein irdisch Gemüte meinet, du plagest mich also wegen meiner Sünde, und mir ist allenthalben bange. Aber dein Geist in meinem inwendigen neuen Menschen saget mir, dass es aus deiner Liebe gegen mich geschehe, dass du es so gut mit mir meinest, wenn du mich lässest meine Feinde verfolgen, dass mir es zum besten diene, dass sie an meiner Statt die Arbeit vollbringen und meine Sünde vor dir in deinen Zorn aufwickeln, dass sie derselbe verschlinge und sie mir nicht nachfolge in mein Vaterland. Dieweil sie noch in deinem Zorn stark und fett sind, so können sie das besser tun als ich, dieweil ich schon in dem Willen der Eitelkeit schwach und matt bin; das weißt du, o gerechter Gott.
Darum bitte ich dich, o gerechter Gott, weil du sie zu meinen Dienern brauchest, dass sie mir das Beste tun, ob es wohl meine irdische Vernunft nicht kennet, so wollest ihnen doch auch meinen Weg zu erkennen geben und ihnen auch solche Diener zuschicken und sie aber doch von ehe ans Licht führen, wie du mich geführet hast, dass sie dich erkennen und dir danken.
O barmherziger Gott in Christo Jesu, ich bitte dich in meiner Erkenntnis aus der Tiefe deiner Liebe gegen uns arme Menschen, die du in mir geoffenbaret hast nach dem verborgenen Menschen, rufe uns doch alle in dir zu dir. Bewege dich doch noch einmal in dieser letzten Trübsal, da dein Zorn in uns entbrannt ist, in uns. Widerstehe doch du deinem Zorn in uns, dass er uns nicht mit Leib und Seele verschlinge.
O du Morgenröte des Tages Gottes, gehe doch vollends hervor, bist du doch angebrochen. Offenbare doch deine heilige Stadt Zion, das heilige Jerusalem in uns.
O großer Gott, ich schlummere noch und sehe dich nicht in der Tiefe deiner Kraft und Macht. Wecke mich doch gar in dir auf, dass ich in dir lebendig werde. Zerbrich doch den Baum deines Zorns in uns und lass deine Liebe in uns grünen.
O Herr ich liege vor deinem Angesichte und bitte dich, strafe uns doch nicht in deinem Zorn, sind wir doch dein erworbenes Gut. Vergib uns doch allesamt unsere Sünde und erlöse uns von der Feindschaft deines Grimmes und des Teufels Neid, und führe uns unter deinem Kreuze in Geduld wieder in unser Paradies ein. Amen.
Ein Gebetlein oder Gespräche zwischen der armen verwundeten Seele und der edlen Jungfrauen Sophia in dem inwendigen Grunde des Menschen, als mit dem Geiste Christi in der neuen Geburt, aus seiner Menschheit in uns und der Seelen. Wie so große Freude im Himmel des neuen wiedergeborenen Menschen sei, wie holdselig sich die edle Sophia gegen ihren Bräutigam der Seelen stelle, wenn die Seele in die Buße eingehet, und wie sich die Seele gegen sie halte, wenn ihr Jungfrau Sophia offenbar wird.

Die Pforte des Paradiesischen Rosengartens
niemand als Christi Kindern, verstanden, welche diese erkannt haben.
1,45. Wenn sich der Eckstein Christus in dem verblichenen Bilde des Menschen, in seiner herzlichen Bekehrung und Buße beweget, so erscheinet Jungfrau Sophia in der Bewegung des Geistes Christi, in dem verblichenen Bilde vor der Seelen in ihrem jungfräulichen Schmucke, vor welcher sich die Seele in ihrer Unreinigkeit entsetzet, dass alle ihre Sünden erst in ihr aufwachen und vor ihr erschrecken und zittern. Denn allda gehet das Gerichte über die Sünde der Seelen an, dass sie auch wohl in ihre Unwürdigkeit zurück weichet und sich vor ihrem schönen Buhlen (Geliebten) schämet, in sich geht und sich vernichtiget als ganz unwürdig, ein solches Kleinod zu empfangen, den Unsern (Geistverwandten) verstanden, so dieses Kleinod geschmecket haben und sonst niemanden wissende. Aber die edle Sophia nahet sich in der Seelen Essenz und küsset sie freundlich und tingieret (färbt) mit ihrem Liebestrahl das finstere Feuer der Seelen und durchscheinet die Seele mit ihrem Liebeskusse. So springet die Seele in ihrem Leibe vor großen Freuden in Kraft der jungfräulichen Liebe auf, triumphieret und lobet den großen Gott kraft der edlen Sophia.
Dessen ich allhie eine kurze Andeutung stellen will, wie es zugehe, wenn die Braut den Bräutigam herzet. Dem Leser, so vielleicht noch nicht möchte sein an diesem Ort gewesen, zum Nachdenken, ob ihn lüstere, uns nachzufahren und auch an den Reigen zu treten, da man mit Sophia spielet.

Wenn nun dieses, wie oben gemeldet, geschiehet, so erfreuet sich die Seele in ihrem Leibe und spricht:
1,46. Nun sei dir, o großer Gott, in deiner Kraft und Süßigkeit, Lob, Dank, Stärke, Preis und Ehre, dass du mich von dem Treiber der Angst erlöset hast. O du schönes Lieb, mein Herze fasset dich, wo bist du so lange gewesen? Mich deuchte ich wäre in der Hölle und in Gottes Grimm. O holdseliges Lieb, bleib doch bei mir, sei doch meine Freude und Erquickung. Führe mich doch auf rechter Straße. In deine Liebe ergebe ich mich. Ach ich bin ja vor dir dunkel; mache mich doch lichte. O edles Lieb, gib mir doch deine süße Perle; lege sie doch in mich!
O großer Gott in Christo Jesu, nun preise und lobe ich dich in deiner Wahrheit, in deiner großen Macht und Herrlichkeit, dass du mir hast meine Sünde vergeben und hast mich mit deiner Kraft erfüllet. Ich jauchze dir in meinem Leben und lobe dich in deiner Feste (Wohnung Gottes), welche niemand aufschließen kann als dein Geist in deiner Barmherzigkeit. Meine Gebeine erfreuen sich in deiner Kraft, und mein Herz spielet in deiner Liebe. Dank sei dir ewiglich, dass du mich aus der Höllen erlöset und den Tod in mir zum Leben gemacht hast. Jetzt empfinde ich deine verheißende Wahrheit. O süßes Lieb, lass mich doch nicht wieder von dir weichen. Schenke mir doch dein Perlenkränzlein und bleib in mir. Sei doch mein Eigentum, dass ich mich ewig in dir erfreue.

Darauf spricht die Jungfrau Sophia zur Seele:
1,47. Mein edler Bräutigam, meine Stärke und Macht, bist mir zu vielen Malen willkommen. Wie hast du meiner so lange vergessen, dass ich in großem Trauren vor deiner Tür stehen müssen anklopfen? Habe ich dir doch allezeit geflehet und gerufen. Aber du hattest dein Antlitz von mir gewandt. Deine Ohren waren aus meinem Lande gegangen. Mein Licht konntest du nicht sehen, denn du wandeltest im finstern Tal. Ich bin nahe bei dir gewesen und habe dir stets geflehet, aber deine Sünde hielt dich im Tode gefangen, dass du mich nicht kanntest. Ich kam in großer Demut zu dir und rief dir, aber du warest in der Macht des Zornes Gottes reich und achtest meiner Demut nicht. Du hattest dir den Teufel zum Buhlen genommen. Der hat dich also besudelt und sein Raubschloss der Eitelkeit in dir aufgebauet und dich ganz von meiner Liebe und Treue abgewendet in sein gleißnerisches falsches Reich, darinnen hast du viel Sünde und Bosheit gewirket und deinen Willen von meiner Liebe abgebrochen, und hast mir die Ehe gebrochen und eine fremde Buhlschaft gepflogen und mich, deine dir von Gott gegebene Braut, lassen im verblichenen Wesen ohne Stärke deiner Feuersmacht stehen. Ich habe nicht können ohne deine Feuersmacht fröhlich sein, denn du bist mein Mann. Von dir wird mein Glanz offenbar. Du kannst meine verborgenen Wunder in deinem Feuerleben offenbaren und in Majestät einführen, und bist doch außer mir ein dunkel Haus, da nur Angst und Pein, dazu eine feindliche Qual innen ist.
O edler Bräutigam, bleib doch mit deinem Angesichte vor mir stehen und gib mir deine Feuerstrahlen. Führe deine Begierde in mich und zünde mich an, so will ich dir aus meiner Sanftmut deine Feuerstrahlen in ein weißes Licht verwandeln und meine Liebe durch deine Feuerstrahlen in deine Feueressenz einführen, und will dich ewig küssen.
O mein Bräutigam, wie ist mir so wohl in deiner Ehe. Küsse mich doch mit deiner Begierde, in deiner Stärke und Macht, so will ich dir alle meine Schöne zeigen und dich mit meiner süßen Liebe und hellem Licht in deinem Feuerleben erfreuen. Alle heiligen Engel erfreuen sich jetzt mit uns, dass sie uns wieder in der Ehe sehen. Nun mein lieber Buhle, bleib doch in meiner Treue und wende dein Angesichte nicht mehr von mir. Wirke du in meiner Liebe deine Wunder, dazu dich Gott erwecket hat.

Weiter spricht die Seele zu ihrer edlen Jungfrau Sophia als zu ihrer in ihr wiedergeborenen Buhlschaft:
1,48. Ach, meine edle Perle und eröffnete Flamme meines Lichtes in meinem ängstlichen Feuerleben, wie verwandelst du mich in deine Freude! O schönes Lied, ich bin dir ja in meinem Vater Adam brüchig worden und habe mich durch die Feuersmacht in Wollust und Eitelkeit der äußern Welt gewandt und eine fremde Buhlschaft angenommen und hätte also müssen ewig im finstern Tal, in fremder Buhlschaft wandeln, wenn du nicht wärest in großer Treu durch dein Durchdringen und Zerbrechung des Zornes Gottes, der Höllen und finstern Todes in das Haus meines Elendes zu mir kommen und hättest meinem Feuerleben deine Sanftmut und Liebe wiederbracht.
O süße Liebe, du hast mir Wasser des ewigen Lebens aus Gottes Brünnlein mitgebracht und mich in meinem großen Durste erquicket. In dir sehe ich Gottes Barmherzigkeit, welche mir zuvor in der fremden Buhlschaft verborgen stunde. In dir kann ich mich erfreuen. Du wandelst mir meine Feuerangst in große Freude. Ach holdseliges Lieb, gib mir doch deine Perle, dass ich ewig möge in solcher Freude stehen.

Darauf antwortet die edle Sophia der Seelen wieder und spricht:
1,49. Mein lieber Buhle und treuer Schatz, du erfreuest mich hoch in deinem Anfange. Ich bin ja durch die tiefen Tore Gottes zu dir eingebrochen, durch Gottes Zorn, durch Hölle und Tod in das Haus deines Elendes, und habe dir meine Liebe aus Gnaden geschenket und dich von Ketten und Banden erlöset, daran du feste angebunden warest. Ich habe dir meine Treu gehalten. Aber du bittest jetzt ein Schweres von mir, das ich nicht gerne mit dir wage. Du willst mein Perlein zum Eigentum haben. Gedenke doch, mein lieber Bräutigam, wie du es vorhin in Adam verwahrloset hast. Dazu stehest du noch in großer Gefahr und wandelst in zweien gefährlichen Reichen. Als in deinem Feuer-Urstand wandelst du im Lande, da sich Gott einen starken eiferigen Gott und ein verzehrend Feuer nennet. Im andern Reiche wandelst du in der äußern Welt in der Luft, im eiteln verderbten Fleisch und Blut, da der Welt Wollust mit des Teufels Angriffen alle Stunde über dich herrauschen. Du möchtest in deiner großen Freude wiederum Irdigkeit (das Irdische, Menschliche) in meine Schöne einführen und mir mein Perlein verdunkeln. Auch möchtest du stolz werden wie Luzifer ward, als er das Perlein zum Eigentum hatte, und möchtest dich von Gottes Harmonie abwenden. So müsste ich hernach ewig meines Buhlen beraubet sein.
Ich will mein Perlein in mir behalten und will in deiner verblichenen und jetzt in mir wieder lebendig gemachten inneren Menschheit im Himmel in dir wohnen und mein Perlein dem Paradies vorbehalten, bis du diese Irdigkeit von dir ablegest. Alsdann will ich dir es zum Eigentum geben. Aber mein Antlitz und süße Strahlen des Perleins will ich dir die Zeit dieses irdischen Lebens gerne darbieten. Ich will mit dem Perlein im inneren Chor wohnen und deine getreue liebe Braut sein. In dein irdisch Fleisch vermähle ich mich nicht, denn ich bin eine Königin der Himmeln und mein Reich ist nicht von dieser Welt. Jedoch will ich dein äußer Leben nicht wegwerfen, sondern ofte mit meinen Liebesstrahlen heimsuchen, denn deine äußere Menschheit soll wiederkommen (in der “Auferstehung des Leibes”). Aber das Tier der Eitelkeit will ich nicht haben. Gott hat das (die menschliche Leiblichkeit) auch nicht aus seinem Fürsatz also grob und irdisch geschaffen, sondern deine Begierde hat diese viehische Grobheit in Adam durch Lust gefasset aus allen Essentien der aufgewachten Eitelkeit irdischer Eigenschaft, darinnen Hitze und Kälte, dazu Wehetun und Feindschaft, auch das Zerbrechen stehet.
Nun, mein lieber Buhle und Bräutigam, gib dich mir in meinen Willen. Ich will dich in diesem irdischen Leben in deiner Fährlichkeit (Gefährdung) nicht verlassen, wenn dich gleich wird Gottes Zorn überziehen, dass dir wird bange sein und meinest, ich habe dich verlassen, so will ich doch bei dir sein und dich verwahren, denn du kennest dich nicht, was dein Amt ist. Du sollst diese Zeit wirken und gebären. Du bist die Wurzel dieses Baumes, aus dir sollen Zweige geboren werden, die müssen alle in Ängsten geboren werden. Ich dringe durch deine Zweige in ihrem Saft mit aus und gebäre Früchte auf deinen Ästen, und das weißt du nicht; denn der Höchste hat mich also geordnet, bei und in dir zu wohnen.
Darum wickle dich in die Geduld und behüte dich vor Wollust des Fleisches. Brich ihm den Willen und Begierde. Halte es im Zaum wie ein böses Ross, so will ich dich ofte in deiner feurischen Essenz besuchen und dir meinen Liebeskuss geben und dir ein Kränzlein aus dem Paradies zum Zeichen meiner Liebe mitbringen und aufsetzen, darinnen du dich sollst erfreuen. Aber mein Perlein gebe ich dir diese Zeit nicht zum Eigentum. Du sollst in der Gelassenheit bleiben stehen und hören, was der Herr in deiner Harmonie in dir spielet. Dazu sollst du ihm Klang und Essenz deines Tons aus meiner Kraft geben, denn du bist nun jetzt ein Bote seines Mundes und sollst seinen Ruhm und Ehre verkündigen. Um dieser Ursache halben hab ich mich jetzt aufs Neue mit dir verbunden und dir mein ritterliches Siegeskränzlein, das ich in der Schlacht des Teufels und Todes erlanget habe, aufgesetzet. Aber die Perlenkrone, damit ich dich krönete, habe ich dir beigeleget (aufbewahrt). Die sollst du nicht mehr tragen bis du rein vor mir wirst sein.

Die Seele spricht ferner zur edlen Sophia:
1,50. Ach du meine schöne und süße Gemahlin, was soll ich vor dir sagen? Lass mich nur dir befohlen sein. Ich kann mich nicht verwahren. Willst du mir jetzt nicht das Perlein geben, so sei es in deinem Willen. Gib mir nur deine Liebesstrahlen und führe mich durch diese Pilgramstraße. Erwecke und gebäre du in mir, was du willst. Ich will hinfort dein eigen sein und mir nichts mehr wollen noch begehren, ohne was du durch mich willst. Ich hatte deine süße Liebe verscherzt und dir meine Treue nicht gehalten. Dadurch ich war in ewige Strafe gefallen. Weil du aber bist aus Liebe zu mir in die Höllenangst kommen und hast mich von Pein erlöset, auch wie , der zum Gemahl angenommen, so will ich jetzt um deiner Liebe willen meinen Willen brechen und dir gehorsam sein und auf deine Liebe warten. Ich habe nun genug, dass ich weiß, dass du in allen Nöten bei mir bist und mich nicht verlässest. O holdseliges Lieb, ich wende mein feuriges Angesichte zu dir. O schöne Krone, hole mich doch bald in dich und führe mich aus der Unruhe. Ich will ewig dein eigen sein und nimmermehr von dir weichen.

Die edle Sophia antwortet der Seelen ganz tröstlich und spricht:
1,51. Mein edler Bräutigam, sei getrost, ich habe mich mit dir verlobet in meiner höchsten Liebe und in meiner Treue mit dir verbunden. Ich will alle Tage bis an der Welt Ende bei und in dir sein. Ich will zu dir kommen und Wohnung in deinem inneren Chor in dir machen. Du sollst aus meinem Brünnlein trinken, denn ich bin nun dein und du bist mein; uns soll der Feind nicht mehr scheiden. Wirke du in deiner feurischen Eigenschaft, so will ich dir meine Liebesstrahlen in dein Wirken eingeben. Wir wollen den Weinberg Jesu Christi bauen. Gib du Essenz des Feuers, so will ich Essenz des Lichtes und Gedeihen geben. Sei du Feuer, so will ich Wasser sein und wir wollen das in dieser Welt verrichten, dazu wir von Gott verordnet sind, und wollen ihm dienen in seinem Tempel, der wir selber sind. Amen.

An den Leser
1,52. Lieber Leser, halt dieses für kein ungewiss Gedichte. Es ist der wahre Grund und hält innen die ganze hl. Schrift; denn das Buch des Lebens Jesu Christi ist darinnen klar vor Augen gemalet, wie es vom Autore selber erkannt worden, denn es ist sein Prozess gewesen. Er gibt dir das Beste, das er hat. Gott gebe das Gedeihen! Es ist ein schweres Urteil über den dieses verhängt worden. Er sei gewarnet.

Ein Gebetlein des Morgens
so man aufstehet, sich Gott zu befehlen, ehe man was anders in sich lässet.
1,53. Das walte Gott, Vater, Sohn, Hl. Geist. Du einiger, wahrer Gott, ich danke dir durch Jesum Christum, deinen lieben Sohn, unsern Herrn und Heiland, für deinen Schutz und Schirm und für alle Wohltat, und befehle mich jetzt mit Leib und Seele und allem dem, darein du mich gesetzet hast, zu wirken in meiner Berufung in deinem Schutz und Schirm. Sei du der Anfang meines Sinnens, Suchens, Trachtens und alles Tuns. Wirke du in mir, dass ich alles deinem Namen zu Lobe anfange und dem Nächsten zu Dienst in deiner Liebe vollbringe. Sende deinen guten Engel mit mir, dass er die giftigen Strahlen des Teufels und der verderbten Natur von mir abwende. Behüte mich vor aller bösen Menschen Begierde.
Gütige alle meine Feinde vor meinem Angesichte und führe mein Gemüte in deinen Weinberg, dass ich in meinem Amte und Berufe darinnen arbeite und wirke als dein gehorsamer Knecht (oder Magd) und segne mich und alles, damit ich wirke und umgehe, mit dem Segen deiner Liebe und Barmherzigkeit. Halte deine Gnade und Liebe in Jesu Christo in und über mir und gib mir ein fröhliches Gemüte, deine Wunder zu treiben. Dein Hl. Geist regiere mich in meinem Anfange bis an mein letztes Ende und sei in mir das Wollen, Wirken und Vollbringen. Amen.

Ein Abendgebetlein
1,54. Ich erhebe mein Herz zu dir, o Gott, du Brunnquell des ewigen Lebens und danke dir durch Jesum Christus, deinen lieben Sohn, unsern Herrn und Heiland, dass du mich diesen Tag in meinem Beruf und Stande hast vor allem Unfall bewahret und mir beigestanden. Ich befehle dir jetzt nun meinen Beruf und Stand und das Werk meiner Hände in deine Verwaltung, und flehe mit meiner Seelen in dich. Wirke du in meiner Seele, dass nicht der böse Feind, und auch keine anderen Einflüsse und Begierde in meine Seele komme oder hafte. Lass nur mein Gemüte in deinem Tempel in dir spielen und lass deinen guten Engel bei mir bleiben, dass ich möge sicher in deiner Kraft ruhen. Amen.

DAS ZWEITE BÜCHLEIN

Eine kurze Andeutung von dem Schlüssel zum Verstande göttlicher Geheimnis, wie der Mensch in sich zur göttlichen Beschaulichkeit gelangen möge.

Welcher Mensch zu göttlicher Beschaulichkeit in sich selber gelangen und in Christo mit Gott reden will, der folge diesem Prozess, so kommt er dazu.

2,1. Er soll alle seine Sinnen und Vernunft samt aller Einbildung zusammen in einen Sinn raffen und eine solche starke Imagination ihm einfassen, sich selber zu betrachten, was er sei, indem ihn die Schrift Gottes Bild, (Gen. 1,27); ja einen Tempel des Hl. Geistes, (1.Kor. 6,19) nennet, der in ihm wohnet, und nennet ihn Christi Gliedmaß und bietet ihm Christi Fleisch und Blut zu einer Speise an.

2,2. So soll er sich in seinem Leben beschauen, ob er auch dieser großen Gnade würdig und dieses hohen Titels Christi fähig sei, und anheben, sein ganzes Leben zu betrachten, was er getan und wie er seine ganze Zeit zugebracht habe. Ob er sich auch in Christo befinde. Ob er auch in göttlichem Willen stehe oder wozu er geneigt sei. Ob er auch einigen Willen in sich finde, der sich herzlich nach Gott sehne und gerne selig sein wollte.

2,3. Und so er nun einen tief verborgenen Willen in sich findet, der da gerne wollte zu Gottes Gnade sich wenden, so er nur könnte. So wisse er, dass derselbe Wille das eingeleibte und im Paradies nach begangener Sünde eingesprochene Wort Gottes sei, dass ihn danach Gott Jehova als der Vater zu Christo zieht. Denn in unserer Eigenheit haben wir keinen Willen mehr zum Gehorsam.

2,4. Aber derselbe Zug des Vaters als die eingeleibte, eingesprochene Gnade, zieht alle Menschen, auch den allergottlosesten, wenn er nicht gar eine Distel ist und dem Zuge einen Augenblick still stehen will, von seiner falschen Wirkung.

2,5. Dass also kein Mensch an Gottes Gnade Ursache hat zu zweifeln, so er in sich eine Begierde findet, sich dermaleins zu bekehren.

2,6. Derselbe spare es keinen Augenblick mehr, wie geschrieben steht: Heute, wenn ihr des Herrn Stimme höret, so verstocket eure Ohren und Herzen nicht. (Hebr. 3,7)

2,7. Denn die Begierde zur Einmal-Bekehrung ist Gottes Stimme im Menschen, welche der Teufel mit seinen eingeführten Bildern verdeckt und aufhält, dass es von einem Tage und Jahr zum andern aufgeschoben wird, bis endlich die Seele zur Distel wird und die Gnade nicht mehr erreichen kann.

2,8. Dieser Mensch tue nur dies Ding in seiner sinnlichen Betrachtung und sehe seinen ganzen Lauf an und halte ihn gegen die Zehen Gebot Gottes und gegen die Liebe des Evangelii, das ihm gebietet, seinen Nächsten zu lieben als sich selber und dass er allein in Christi Liebe ein Gnadenkind sei, und sehe, wie weit er davon entfernt sei, und was seine tägliche Übung und Begierde sei. So wird ihn derselbe Zug des Vaters in Gottes Gerechtigkeit einführen und die eingemodelten Bilder in seinem Herzen weisen, die er für Gott geliebet, die er für seinen besten Schatz gehalten hat und noch hält.

2,9. Diese Bilder werden sein:
(1) Hoffart, sich selber zu lieben und von andern geehret sein wollen. Item, es wird sein ein Bild einer Sauen, als der Geiz, der alles allein haben will; und hätte er die Welt und den Himmel, so will er auch die Hölle beherrschen, welcher mehr begehret als er zu dem zeitlichen Leben bedarf und keinen Glauben in sich zu Gott hat, sondern ist eine besudelte Sau, die alles begehret in sich zu ziehen.
(2) Item, es wird in ihm sein ein Bild des Neides, das in andere Herzen sticht und andern nicht gönnet, ob sie mehr zeitliches Gutes und Ehren haben als er.
(3) Item, es wird sein der Zorn, da sich der Neid als ein Gift darinnen erhebt und um geringer Ursach willen stoßen, schlagen, zürnen und sich rechtfertigen will.
(4) Item, es werden ein Haufen, ja viel hundert irdische Tiere in ihm sein, die er liebet. Denn alles, was in der Welt ist, das liebet er und hat es an Christi Stelle gesetzet und ehret es mehr als Gott. Sehe er nur seine Worte an, wie sein Mund andere Menschen heimlich verleumdet und übel bei den Seinigen ausrichtet, oft übel ohne gewissen Grund nachredet, des Nächsten Unglück sich freuet und ihm dasselbe gönnet, welches alles Klauen und Krallen des Teufels und das Bild der Schlangen sind, das er in sich träget.

2,10. Da besehe er nun diese gegen Gottes Wort im Gesetze und Evangelium, so wird er sehen, dass er mehr ein Tier und Teufel ist als ein wahrer Mensch, und wird klar sehen, wie diese eingebildet und angeerbete Bilder von Gottes Reich ihn aufhalten und abführen, dass ofte, wenn er gleich gerne Buße tun und zu Gott sich wenden und kehren wollte, diese Teufelsklauen ihn aufhalten und davon abführen und der armen Seelen diese Larven für Heiligkeit einbilden, dass sie in die Lust derselben wieder eingehet und in Gottes Zorn sitzen bleibet und endlich in Abgrund tritt, wenn ihr die Gnade und der Zug des Vaters verlischt.

2,11. Deme sagen wir unsern eigenen Prozess, dass, sobald er dieser Tiere inne wird, er alsbald dieselbe Stunde und Minute sich in der Seelen also fasse und in einem Willen einführe, dass er wolle von dem tierischen Willen ausgehen und durch wahre Buße zu Gott sich wenden. Und ob er das in Kräften nicht vermag noch kann, so nehme er Christi Verheißungen in sich, da Christus sprach: Suchet, so werdet ihr finden, klopfet an, so wird euch aufgetan. Kein Sohn bittet den Vater ums Brot, der ihm einen Stein dafür biete oder um ein Ei, der ihm einen Skorpion biete. Könnt ihr, die ihr arg seid, euern Kindern gute Gaben geben, wie viel mehr wird mein Vater im Himmel den Hl. Geist geben denen, die ihn darum bitten, (Luk. 11,13).

2,12. Diese Verheißung bildet er ihm in sein Herz; denn sie ist des Teufels und aller angeerbeten und eingemodelten Tiere Gift und Tod. Und komme alsbald dieselbe Stunde mit diesen eingebildeten, verheißenen Worten mit seinem Gebet vor Gott und bilde ihm zuvorhin alle die greulichen Tiere ein, derer er selber ist, und denke in sich anders nichts, denn dass er der besudelte Säuhirte sei, der all seines Vaters Gut und sein kindlich Recht mit diesen Säuen der Welt, mit den bösen Tieren vertan habe, dass er jetzo vor Gottes Angesicht anderst nicht stehe als ein elender, nacketer, zerlumpter Säuhirte, der seines Vaters Erbe mit der Welt tierischer Bilder verhuret und verbuhlet habe und habe mehr keine Gerechtigkeit zu Gottes Gnade, sei derer auch nicht wert, viel weniger dass er ein Christ oder Gottes Kind genannt werde, und verzage auch an allen seinen guten Werken, die er jemals getan hat, denn sie sind nur aus gleißnerischem Schein einer Gottseligkeit gegangen, damit der Menschenteufel ein Engel genannt sein will (2.Kor. 11,14). Denn ohne Glauben ist es unmöglich, Gott gefallen, saget die Schrift. (Hebr. 11,6)

2,13. Aber er verzage an göttlicher Gnade nicht, nur an sich selber und an seinem Können und Vermögen, und beuge sich in seiner Seelen aus allen Kräften vor Gott. Und ob gleich sein Herz spricht lauter Nein, oder: Harre noch, es ist heute nicht gut, oder: deine Sünden sind zu groß, es mag nicht sein, dass du zur Huld Gottes kommest. Dass auch ihm in sich also Angst wird, dass er nicht zu Gott beten kann, auch weder Trost noch Kraft in sein Herze bekommt, dass ihm ist, als wäre seine Seele an Gott ganz blind und tot. So soll er doch stehen und Gottes Verheißung für eine gewisse, unfehlbare Wahrheit halten und mit untergeschlagenem Herzen zu Gottes Gnade seufzen und in seiner großen Unwürdigkeit derselben sich einergeben.

2,14. Und ob er wohl sich zu unwürdig achtet, als der ein Fremdling sei, dem das Erbe Christi nicht mehr gebühre, und er sein Recht verloren habe, so soll er sich aber fest einbilden, dass Christus sagte: Er wäre kommen, zu suchen und selig zu machen, das verloren ist, als den armen an Gott toten und blinden Sünder. Diese Verheißung bilde er sich ein und mache sich in sich einen solchen strengen Vorsatz, dass er von der verheißenen Gnade Gottes in Christo nicht wolle ausgehen, sollte ihm gleich Leib und Seele zerspringen. Und ob er alle sein Lebetage keinen Trost in sein Herze zur Vergebung erlangen sollte, so sei Gottes Zusage doch beständiger als aller Trost, so ihm widerfahren möchte.

2,15. Auch nehme er sich vor und schließe seinen Willen also hart in seinen Vorsatz, dass er nicht mehr wolle in die alten tierischen Bilder und Laster eingehen, und sollten alle seine Säue und Tiere um ihren Hirten trauren, sollte er auch gleich darum aller Welt Narr sein, so wolle er doch beständig in seinem Vorsatze und an Gottes Gnadenverheißung bleiben. Sei er aber ein Kind des Todes, so wolle er in Christi Zusagung in Christi Tode sein und ihm sterben und leben, wie er wolle. Er richte nur seinen Vorsatz in stetes Gebet und Seufzen zu Gott und ergebe ihm alle seine Anfänge und Tun in seiner Hände Werke, und sei von der Einbildung des Geizes, Neides und der Hoffart stille. Er übergebe nur diese drei Tiere, so werden die andern gar bald auch anheben, schwach und krank zu werden und sich zum Sterben nahen. Denn Christus wird bald in seinen verheißenen Worten, welche er sich einbildet und sich darein hüllet, eine Gestalt zum Leben bekommen, und wird in ihm anheben zu wirken, darin sein Gebet wird kräftiger werden, und wird je länger je mehr im Geiste der Gnaden gestärket werden.

2,16. Gleichwie ein Same zum Kinde in Mutterleibe wirket und wächset unter vielen Anstößen der Natur und auswendigen Zufällen, bis dass das Kind sein Leben im Mutterleibe bekommt, also gehet es auch allhie zu. Je mehr der Mensch von sich aus den Bildern ausgehet, je mehr gehet er in Gott ein, bis solang Christus in der eingeleibten Gnade lebendig wird, welches geschieht in großem Ernst des Vorsatzes. So gehet alsobald die Vermählung mit Jungfrau Sophien an, da die zwei Liebe einander in Freuden empfangen und mit gar inniglicher Begierde in die allersüßeste Liebe Gottes miteinander eindringen. Allda in kurzer Frist die Hochzeit des Lammes bereitet ist (Offb. 19,7), da Jungfrau Sophia, als die würdige Menschheit Christi mit der Seelen vermählet wird. Und was allda geschehe und was für Freuden allda gehalten werden, deutet Christus mit der großen Freude über den bekehrten Sünder, welche im Himmel im Menschen vor Gottes Augen und allen heiligen Engeln gehalten werden, vor neunundneunzig Gerechten, die der Buße nicht bedürfen, (Luk. 15,7).

2,17. Dazu wir weder Feder noch Worte haben zu schreiben oder zu reden, was die süße Gnade Gottes in Christi Menschheit sei, und was denen widerfahre, welche würdig zu des Lammes Hochzeit kommen, welche wir in unserm eigenen Prozess selber erfahren haben und wissen, dass wir unsers Schreibens wahren Grund haben. Welchen wir unsern Brüdern in der Liebe Christi herzlich gerne mitteilen wollten. Wenn es möglich wäre, dass sie unserem treuen kindlichen Rat glauben wollten, sie würden es in sich erfahren, wovon diese einfältige Hand die großen Geheimnisse verstehe und wisse.

2,18. Weil wir denn vorhin einen ganz ausführlichen Traktat von der Buße und neuen Wiedergeburt geschrieben haben1, so lassen wir es allhier nur bei einer Andeutung bleiben und weisen den Leser daselbst hin, sowohl in das große Werk über Genesis2. Da wird er allen Grund dessen finden. Und vermahnen ihn christlich, uns nachzufahren in diesem Prozess, so wird er zu göttlicher Beschaulichkeit in sich selber kommen und hören, was der Herr durch Christum in ihm saget. Und empfehlen ihn hiemit der Liebe Christi.