Elias Rubenstein (2012): Das erste Gebot ist das Bedeutendste aller Gebote, denn es birgt die Gesamtheit aller 613 Gebote. Aus ihm strömen die anderen Gebote aus. Aus der Befolgung dieses Gebotes resultiert auch die Befolgung der weiteren Gebote. Es ist somit das Fundament, auf dem der Baum des Lebens gründet. Die gnostische Weisheit des ersten Gebots der Bibel umfasst das Gesetz der Polarität und das Hermetische Prinzip nach Hermes Trismegistus “Wie oben so unten”.
„Und Gott redete all diese Worte und sprach: Ich bin dein Herr, dein Gott, der Ich dich aus dem Land Ägypten, aus dem Haus der Knechtschaft herausgeführt habe. Stelle dir keine anderen Götter meinem Antlitz gegenüber.“
Das erste Gebot birgt die Gesamtheit aller 613 Gebote, welche in der Tora erwähnt werden, in sich. Der erste Teil dieses Gebots „Ich bin dein Herr, dein Gott, der Ich dich aus dem Land Ägypten, aus dem Haus der Knechtschaft herausgeführt habe“ enthält alle positiven Gebote der Gnade. Der zweite Teil „Stelle dir keine anderen Götter meinem Antlitz gegenüber“ schließt hingegen alle 365 Verbote ein. Darum stellt das erste Gebot die lebendige Vollkommenheit der Tora dar. Diese innewohnende Einheit kann man durch eine Analogie besser nachvollziehen. Wenn der Mensch ein Wort spricht, dann ist dieses Wort im Verhältnis zum Menschen selbst nichtig, doch steht es in unmittelbarer Verbindung zum Menschen. So ist es auch das schöpferische Wort Gottes, aus dem die ganze Schöpfung hervorgeht.
Die Schöpfung strömt aus Gott, heilig und gesegnet sei Er, und ist dennoch in unmittelbarer Einheit mit Ihm. Die gesamte Schöpfung beinhaltet die göttliche Idee. Das erste Gebot überragt alle anderen und ist eine direkte Darlegung Gottes, heilig und gesegnet sei Er. Diese Freudeshymne bekundet das allgemeingültige Gesetz der wesenhaften Einheit. In dieser Einheit kann es keine Gegensätzlichkeit oder Ausgrenzung geben. Alle nachfolgenden Gebote sind eine Erläuterung und die Konsequenz des ersten Gebots. Genau genommen würde dieses Gebot ausreichen, da es die anderen Gebote, wie eine schwangere Mutter ihr Kind, in sich birgt. Keine anderen Götter zu haben bedeutet auch, den Herrn, deinen Gott, heilig und gesegnet sei Er, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt zu lieben. Gottesliebe wird durch dieses Gebot enthüllt.
Das erste Gebot ist vergleichbar einer Quelle, aus der die anderen Gebote ausströmen. Sofern man nur dieses Gebot in seiner vollen Tragweite versteht und befolgt, hat man keine Chance, die anderen Gebote auch nur ansatzweise zu verfehlen. Es ist das Fundament, auf dem der Baum des Lebens errichtet ist. Im Originaltext werden verschiedene Gottesnamen verwendet. Im ersten Satz steht der Name ELOHIM, der gleichbedeutend mit dem Schöpferprinzip ist. ELOHIM weist auf die göttliche Mutter hin, die den Samen des göttlichen Vaters empfängt. ELOHIM ist der fruchtbare Schoß der Schöpfung. Im zweiten Satz steht der Gottesname YHVH. Dieser Name steht für den gnädigen Befreier und gerechten Bundespartner des erwählten Volkes Israel. YHVH bezeichnet die unbegrenzte Offenbarung der Göttlichkeit. Hingegen bezieht sich ELOHIM auf die begrenzte Offenbarung der Göttlichkeit in der Schöpfung.
Ebenso steht der Name ELOHIM in Verbindung zur Natur. Die Kombination dieser beiden Namen YHVH und ELOHIM bringt zum Ausdruck, dass die von uns in der Schöpfung wahrgenommene begrenzte göttliche Kraft von ELOHIM in Wirklichkeit die unbegrenzte göttliche Kraft von YHVH ist. YHVH ist der göttliche Vater. Die korrekte Aussprache des Namens YHVH ist Teil der Geheimlehre und ist in den gnostischen Mysterien überliefert. Der Name ist so überragend, dass er als unaussprechlich bezeichnet werden kann. Nur in sakralen Riten ist es den eingeweihten Hohepriestern gestattet, diesen Namen auszusprechen. Traditionell umschreibt man diesen erhabenen Namen mit dem Begriff „HASCHEM“. HASCHEM bedeutet übersetzt „DER NAME“. So schützt man den heili- gen Namen Gottes, heilig und gesegnet sei Er, vor profaner Verwendung. Dies ist ein Zeichen der höchsten Demut und Gotteshingabe. Die korrekte ehrfürchtige Einstellung der Göttlichkeit gegenüber wird in den Psalmen beschrieben.
Gott hat Gefallen an denen, die vor Ihm Ehrfurcht haben, die auf seine Gnade hoffen. (Psalm 147,11)
Die Ehrfurcht vor Gott, heilig und gesegnet sei Er, ist ein Grundpfeiler, um Seine Gebote zu wahren. Weder die Angst vor juristischen Konsequenzen noch zwischenmenschliche Folgen können ein solider Grund für das Einhalten der Gebote sein, sondern nur die tiefste Ehrfurcht vor Gott, heilig und gesegnet sei Er, und Seiner Schöpfung. Echte Gottergebenheit führt zu einem gerechten Leben in Einklang mit den göttlichen Geboten. Der Gottesname YHVH wird als Tetragrammaton bezeichnet, da er aus vier hebräischen Buchstaben besteht. Entschlüsselt bedeutet dieser Name: DAS WAS WAR, IST, UND SEIN WIRD. Das ist die ewige göttliche Realität. Demnach legt dieses Gebot die wahre Realität dar, neben der nichts Bestand haben kann. Dies bekräftigt Seine Einzigartigkeit. Was könnte neben der grenzenlosen ewigen Realität, die alles einschließt und von der alles stammt, bestehen? So gesehen erklärt sich dieses Gebot von selbst. Die Gebote sind das Innere des höheren Willens und der göttliche Wunsch, der durch die gesamte Schöpfung gekleidet ist.
Die gesamte Lebenskraft und Versorgung der Schöpfung hängt von der Ausführung der Gebote durch die Geschöpfe ab. Die Gebote sind vergleichbar mit den Gliedmaßen Gottes, heilig und gesegnet sei Er, so wie die menschlichen Gliedmaßen die Kleidung der Seele sind und ihr völlig ergeben sind. Sobald der Mensch seinen Arm heben will, folgt der körperliche Arm unweigerlich diesem geistigen Willen. Die Schöpfung ist demnach in allen ihren Facetten ein bedingungsloser Ausdruck des göttlichen Willens.
Darum hat uns YHVH geboten, alle diese Gebote zu halten, dass wir YHVH, unseren Gott, fürchten und es uns wohl geht alle Tage und Er uns am Leben erhält, so wie am heutigen Tag. (5.Moses 6, 24)
Wenn Gott, heilig und gesegnet sei Er, das Eine Unteilbare ist, dann ist alles, was wir Diesem gegenüberstellen, eine Illusion. Gott, heilig und gesegnet sei Er, ist keine Person in dem Sinne, deshalb ist es unmöglich sich eine Vorstellung von Ihm zu machen. Nichts Gesondertes kann darüber oder daneben bestehen. Das Prinzip der göttlichen Einheit wird im 5. Buch Mose, also dem PENTATEUCH erläutert.
Höre Israel, YHVH ist unser Gott, YHVH ist Eins. (5.Mose 6,4) Es gibt nur Eine Realität und dies ist Gott, heilig und gesegnet sei Er.
Die Gesetzmäßigkeiten dieser Einen Realität behandeln also die Gebote. Nach dem hermetischen Prinzip ist das, was oben ist, gleich dem was unten ist. Das bedeutet, dass alles, was der Mensch in der Schöpfung erlebt, ein direkter Ausdruck dieser Einen Realität ist. Sowohl das Licht als auch die Finsternis sind unter der absoluten Herrschaft Gottes, heilig und gesegnet sei Er. Dieser Umstand wird vor dem Auszug aus Ägypten erläutert. Moses, Friede sei mit ihm, forderte die Befreiung des Heiligen Volkes vom Pharao. Doch Gott, heilig und gesegnet sei Er, verhärtete das Herz des Pharao. Das weist darauf hin, dass Schwierigkeiten und Hindernisse ebenfalls ein notwendiger Vorgang in der Schöpfung sind. Sie haben wie die Wunder der Propheten, selig seien sie, ihre Ursache in der göttlichen Kraft. Der dunkle Aspekt des Menschen, also das Ego oder der falsche König, sind genauso von Gott, heilig und gesegnet sei Er, geführt.
Satan ist nicht von der Göttlichkeit getrennt, sondern unter Seiner Führung. Gleichfalls wurde Jesus von Gott, heilig und gesegnet sei Er, in die Wüste gesandt um dort vom Teufel versucht zu werden. Die Überwindung des falschen Königs schafft Platz auf dem Herrscherthron für den Erlöser. Die Korrekturen, welche der Mensch durchläuft, sind nur durch die Erschaffung der Polarität möglich. Diese Polarität wird im ersten Gebot angedeutet, indem andere Götter erwähnt werden. Das Wechselspiel von Licht und Dunkelheit ist also unentbehrlich, um sich als Mensch entwickeln zu können. Die Versuchung durch die Schlange im himmlischen Paradies war erforderlich, da sie eine göttliche Versuchung war. Erst durch den Fall aus dem Garten Eden kann der Mensch aufsteigen.
Durch das scheinbar Böse kann das Gute erkannt werden. Durch die Polarität ist es möglich, die göttliche Vollkommenheit bewusst zu erfahren. Vollkommenheit wird erst durch Unvollkommenheit begreifbar. Aus dieser Perspektive betrachtet kann es logischerweise keinen anderen Gott neben dieser einen umfassenden göttlichen Realität geben. Beleuchten wir dies auf der zwischenmenschlichen Ebene, so ist ersichtlich, weshalb es so viele Scheidungen gibt. Die Ehe ist die engste menschliche Beziehung. Probleme werden hier am leichtesten deutlich und erfahrbar. Allerdings gilt das Gesagte für jede Art von Beziehung, wie Eltern, Kinder, Freunde, Bekannte oder Arbeitskollegen. Das Prinzip der Einheit bedingt, dass alles in dieser Schöpfung ein göttlicher Aspekt der Einheit ist. Fehlt der bewusste Zugang zu dieser Einheitserfahrung, dann resultieren daraus unlösbar erscheinende Konflikte. Die größte Schwierigkeit findet sich in Beziehungen, wo die Partner unterschiedliche Religionen oder Weltanschauungen haben. Die religiöse Überzeugung ist ein Grundproblem in Beziehungen, vor allem dann, wenn Spiritualität ins Spiel kommt, denn das ganze Leben ist vom ersten Gebot abhängig. Das bedeutet, dass auch die Wurzel der Ehe in diesem Gebot begründet ist.
Auf der äußersten Ebene beginnt dies bei religiösen Feierlichkeiten, setzt sich dann bei der Kindererziehung und grundlegenden Fragen des Lebens fort. Auch wenn scheinbar alle anderen Gebote von beiden Partnern befolgt werden würden, so fehlt das göttliche Licht in der Ehe. Dann scheitert die Beziehung. Kein nachfolgendes Gebot kann diesen Mangel ausgleichen. Die Beziehung ist dadurch im Fundament erschüttert. Weder höhere Formen der Liebe noch Intimität sind in dieser Ehe möglich. Wenn Gott, heilig und gesegnet sei Er, in der Beziehung fehlt, dann fehlt die wahre Liebe, denn Gott ist Liebe. Manche verwechseln die Sexualität und die Gefühle, die sie dabei erleben, mit der großen Liebe. Doch ist dies ein kurzsichtiger Trugschluss. Diese Beziehung kann sich nicht weiterentwickeln, da sie auf den Schein anstatt der wahren Ursache gründet. Durch Befolgen des ersten Gebots wird die Beziehung vergöttlicht. Die Liebe Gottes, heilig und gesegnet sei Er, trägt die Beziehung, und diese Beziehung ruht auf dem göttlichen Fundament.
Damit Gott, heilig und gesegnet sei Er, in der Beziehung erfahrbar wird, ist die vollkommene Hingabe an das Göttliche unerlässlich. Die Hingabe an die Eine Realität schafft Raum für göttliche Liebe. Dies löst Eifersucht, Neid, Wankelmut, Hass, Gier wie Nebel im Sonnenschein auf. Der Mensch strebt in seinem Herzen nach dieser Einheit. Von der Beziehung erhofft sich der Mensch die Erfüllung dieser Einheit. Manche erleben einen Funken dieser Einheit durch die Sexualität, doch diese Erfahrung ist vergänglich. Die Einheitserfahrung in der Ehe kann aber nur verwirklicht werden, wenn der Mensch die Einheitserfahrung mit Gott, heilig und gesegnet sei Er, realisiert hat. Dadurch kann die Einheit sich auch auf der Ebene der Ehe manifestieren. So verhält es sich auch mit der Liebe. Die Liebe des Partners kann uns deshalb keine umfangreiche Erfüllung schenken. Erst wenn wir selbst in unserem Herzen Liebe empfinden, sind wir von Liebe erfüllt. Wenn wir einen anderen Menschen lieben, und diese Liebe strömt von unserem Herzen zu unserem Geliebten, dann empfangen wir Gottes Liebe in unserem Herzen. Indem Gottes Liebe durch unser Herz strömt, sind wir mit Gott, heilig und gesegnet sei Er, verbunden. Je mehr Liebe wir geben, desto mehr Liebe strömt durch unser Herz.
Je mehr wir geben umso mehr empfangen wir. Also beginnt die Harmonie in der Beziehung bei uns selbst. Damit wir universelle Liebe in einer Beziehung erfahren können, bedarf es, dass die Beziehung gottangebunden ist. Wenn diese Angebundenheit fehlt, dann stößt die Beziehung bald an ihre natürlichen Grenzen. Das ist traurig, da in der heutigen Gesellschaft den meisten Beziehungen diese Angebundenheit fehlt. Viele Beziehungen scheitern genau an diesem Punkt, so abstrakt dies auf den ersten Blick erscheinen mag.
(Auszug aus dem Buch von Elias Rubenstein: DIE ZEHN GEBOTE DER LIEBE – Die Weisheit der Bibel für eine erfüllende Partnerschaft)