Das achte Buch – Hermes Trismegisti an seinen Sohn Tatium
Dass der unoffenbarte Gott am alleroffenbarlichsten sei
1. O Tati! Ich will auch diese Rede zu dir führen, auf dass du in die Erkenntnis des heiligen Namen Gottes eingeweiht werdest.
2. Siehe mit dem Gemüt, wie dasjenige, welches vor vielen unoffenbar scheint zu sein, dir am alleroffenbarsten gemacht wird, denn wäre es unoffenbar, so wäre es ja nicht.
3. Denn alles, was offenbar wird, dasselbe ist geboren, weil es offenbar ist geworden.
4. Aber was verborgen oder unoffenbar ist, das ist allezeit und hat nicht nötig, offenbar zu werden, denn es ist allezeit und macht alle anderen Dinge offenbar, es selbst bleibt ungeoffenbart, weil es allzeit ist.
5. Der da offenbart, wird selbst nicht geoffenbart, und der nicht ist geboren worden, ist nichts anderes als die Gebärung.
6. Derselbe eine aber (sehend ungeborene) kann nicht gebildet werden und ist unoffenbar, aber er selbst, alles bildend, wird durch alles und in allem offenbar und allermeist in denen, welchen er sich hat wollen offenbaren.
7. Deshalb, o Sohn Tati, bitte vorerst den Herrn und Vater und Einigen und Einen, von welchem der Eine (ist), dass er dir wolle gnädig sein, dass du also denselben so großen Gott mögest verstehen, obschon Er nur mit einem von seinen Strahlen in dein Gemüt wolle leuchten.
8. Denn allein der Verstand sieht das Unoffenbare, weil er selbst auch unoffenbar ist, wenn du es mit den Augen des Gemütes, o Tati! Vermagst, so wird er offenbar werden.
9. Denn der Herr, der da frei ist von aller Missgunst, ist durch die ganze Welt offenbar, du kannst die Gemütswirkung sehen und selbst mit den Händen betasten und das Bildnis Gottes anschauen.
10. Weil demnach das, was in dir ist, dir unoffenbar ist, wie sollte derselbe in dir durch die Augen offenbar werden.
11. Im Fall du denselben willst sehen, so betrachte die Sonne, betrachte den Lauf des Mondes, betrachte die Ordnung der Sterne, wer ist es, der ihre Ordnung unterhält? Denn alle Ordnung wird in seiner gewissen Zahl und Ort beschlossen.
12. Die Sonne, die größte unter den Göttern, die unter dem Himmel sind, welcher alle himmlischen Götter weichen, gleich als ihrem Könige und Fürsten, und welche so groß ist, auch größer als die Erde und das Meer und über sich keine Sterne duldet und umlaufen lässt, was für einen ehrt sie oder welchen fürchtet sie?
13. So hat auch ein jeder Stern nicht einerlei oder gleichen Lauf an dem Himmel. Wer ist es denn, der einem jeden die Weise und die Masse seines Laufes setzt?
14. Siehe den Nordstern, der rundum wird gedreht und mit sich die ganze Welt rundum führt, wer ist es, der solches Werkzeug hat bereitet?
15. Wer ist es, der dem Meer sein Ufer hat gesetzt?
16. Wer ist es, der die Erde hat befestigt? Gewisslich, o Tati! ist da ein Werkmeister und ein Herr aller dieser Dinge.
17. Denn es ist unmöglich, dass ein Platz, Zahl oder Maß kann gehalten werden ohne den Werkmeister, denn alles, was ohne Ordnung, ohne Platz und ohne Masse ist, ist ohne Werkmeister, aber nicht ohne Herrn.
18. Denn was unkoordiniert ist, das ist gebrechlich, und ist nötig, dass solches in die Weise der Ordnung gesetzt werde und es ist noch unter dem Herrn, der ihm die Ordnung noch nicht hat geordnet.
19. Wollte Gott, dass es dir möglich wäre, Flügel anzunehmen und dich in die Luft zu erheben, dass du zwischen Himmel und Erde gestellt seiest, könntest du sehen der Erde Festigkeit, die Stürzung des Meeres, das Fließen der Ströme, die Ausspannung der Luft, die Zartheit des Feuers, den Lauf der Sterne und die um diese Dinge umlaufende Geschwindigkeit des Himmels.
20. O Sohn, es würde sein das allerseligste Gesicht, alles dieses in einem Augenblick zu sehen, wie der Unbewegliche beweglich und der Unoffenbarte offenbar ist.
21. Im Fall du auch den Werkmeister durch die sterblichen Dinge (welche auf Erden und in der Tiefe sind) zu sehen begehrst, so betrachte, Sohn, wie der Mensch im Mutterleibe gewirkt ist, und überwäge mit Fleiß die Kunst des Werkmeisters und lerne, wer doch der Werkmeister sei, der dieses herrliche und göttliche Menschenbild hat gemacht? Wer Nase und Ohren hat durchbohret?
22. Wer den Mund hat aufgetan? Wer die Sehnen hat ausgespannt und aneinander gebunden? Wer die Blutadern zu Röhren hat gebildet?
23. Wer die Gebeine hat hart gemacht? Wer das Fleisch hat mit einer Haut überzogen? Wer die Finger und Glieder hat unterschieden? Wer das Fundament der Füße hat breit gemacht? Wer die Schweißlöcher hat durchgegraben? Wer die Milz hat ausgestreckt?
24. Wer das Herz als eine Pyramide hat gestellt? Wer die Leber hat ausgebreitet? Wer die Lunge hat durchlöchert? Wer den Bauch hat weit gemacht? Wer die ehrlichen Glieder in das Offenbare hat hervorgesetzt und die unehrlichen verborgen?
25. Siehe, wie viel Kunststücke sind da allein in einer Materie und wie viel Werke allein in ein- und derselben Abzeichnung? Und alles über die Maßen herrlich, und alles wohlproportioniert und dennoch alles in einer ungleichen Gestalt.
26. Wer hat dies alles gemacht, was für eine Mutter, was für ein Vater! Denn allein der unoffenbare Gott, der durch seinen Willen alles wirkt.
27. Es sieht ja niemand, dass ein Bild oder Schild ohne einen Bildhauer oder Schilderer sei geworden. Sollte denn dieses Werk ohne einen Werkmeister geworden sein? O große Blindheit! O große Gottlosigkeit! O große Unwissenheit!
28. Du musst gar nicht, o Tati! Zu keiner Zeit die Werke ihres Werkmeisters berauben, ja denke lieber, so groß als Gott ist nach seinem Namen, so groß ist er, ein Vater von allem.
29. Denn er ist derselbe allein, und sein Werk ist dies, Vater zu sein, und wenn du mich nötigst, etwas freier zu sprechen, so ist das sein Wesen, alle Dinge zu gebären und zu machen.
30. Und gleichwie es unmöglich ist, dass ohne einen Werkmeister ich was werden kann, also ist es auch unmöglich, dass Gott nicht allezeit sollte sein und nicht alles macht im Himmel, in der Luft, auf Erden, in der Tiefe, in der ganzen Welt, in allen Teilen derselben, welche da sind und welche da noch nicht sind.
31. Denn da ist nichts in der ganzen Welt, welches Er nicht selbst sei. Er ist beides, die wesenden und die nicht wesenden Dinge, die wesenden hat Er geoffenbart, aber die noch nicht wesenden hat Er in sich selbst.
32. Dieser Gott ist viel vortrefflicher, als dass Er mag genannt werden, dieser ist unoffenbar, dieser ist alleroffenbarlichst, der durch das Gemüt beschaut wird, dieser ist vor den Augen sichtbar.
33. Dieser ist unleiblich: vielleiblich oder vielmehr, es ist keines von allen den Leibern, das Er nicht sei, denn Er ist einig dies alles.
34. Und darum hat derselbe alle Namen, weil er allein der Vater ist und auch keinen Namen an ihm selbst hat, weil er Vater ist von allem.
35. Wer sollte dich denn nach Würden können loben? Wohin sollte ich sehen mit meinem Lobe, aufwärts oder niederwärts, inwärts oder auswärts? Nachdem weder weise noch Platz rund um dich ist, noch auch etwas anderes von den wesenden Dingen, sondern alles ist in dir, du gibst alles und empfängst nichts, denn du hast alles, und da ist nichts, welches du nicht hast.
36. Aber wann sollte ich dich loben, Vater? Denn es ist unmöglich, deine Stunde und Zeit zu begreifen.
37. Weswegen sollte ich dich loben? Wegen der Dinge, die du gemacht hast, oder wegen der Dinge, die du noch nicht hast gemacht? Wegen der, welche du geoffenbart hast oder wegen derjenigen, die du hast verborgen?
38. Aber warum sollte ich dich denn auch loben als der ich vor mir selbst bin, als der da etwas Eigenes hat, als ein Anderer, der da außer dir ist.
39. Denn du bist alles, was ich bin, du bist doch alles, was ich mache, du bist alles, was ich spreche, und da ist nichts, das du nicht seiest.
40. Du bist alles, das geworden ist, und alles, was noch nicht geworden ist, das verständige Gemüt, der schöpfende Vater, der wirkende Gott und das Gut, das alles macht.
41. Denn das zarteste Teil der Materie ist die Luft, der zarteste Teil von der Luft die Seele, das zarteste Teil der Seele das Gemüt, der zarteste Teil des Gemütes Gott.