Ausbildung der Mysterienschulen
Joseph Nolen (1995)
Der Sinn einer Mysterienschule liegt in der Befreiung von der Illusion des Getrenntseins. Die innere Realität wird durch bestimmte Rituale erwirkt. Die Bewegung des Kosmos, wie das Diagramm des Lebensbaumes wird im Ritual dem Bewusstsein repräsentiert. Die Seele, das Unterbewusstsein und das Bewusstsein werden durch ein göttlich inspiriertes Ritual wieder in Einklang gebracht.
„Was genau ist der Sinn und die Methode der Mysterien-Schulausbildung?“
Eine gute Frage, denn das was und wie wir in einer Mysterien-Schule lernen, ist überhaupt nicht so wie die „Ausbildung“, die wir in den öffentlichen Schulen erhalten. Durch diese frühe Konditionierung durch die öffentlichen Schulen, ein paar Fakten lernen, einen schriftlichen Test bestehen, der den Grad der Wiedergabe der besagten Fakten festlegt, und weiter geht es zum nächsten Thema, tendieren wir dazu zu erwarten, dass unsere Mysterien-Schulerfahrungen der Ausbildung der öffentlichen Schulen gleichen, aber so funktioniert das einfach nicht! Ein allgemein bekanntes Konzept besagt, dass man zur Schule geht, um eine „Ausbildung“ zu erhalten, und dann geht es an die Arbeit in der richtigen Welt. Jene Wesen, die die Mysterien-Schulen erschaffen und führen, verstehen wie das Bewusstsein in der sogenannten „realen Welt“ arbeitet, und ihre Methoden nutzen dieses Wissen.
Wenn ich von der Ausbildung des Menschen spreche, meine ich nicht die Computer- und Kommunikationsfertigkeiten, die durch die drei Rs symbolisiert werden, die wir in den öffentlichen Schulen lernen; ich meine die Ereignisse, Ideen und Vorstellungen, die unsere Einstellungen uns, unseren Mitmenschen, unserem Schöpfer und unserer Lebenserfahrung gegenüber prägen. Die Probleme in unserem Leben entstehen, weil wir diese prägenden Erfahrungen fast nur anhand der Erscheinungsform interpretieren und diese Erscheinungsform scheint uns von allen anderen zu trennen – die große Ausbildungsillusion des Selbst. Der Sinn der Mysterien-Schulausbildung besteht darin, die fehlerhafte Interpretation zu berichtigen. Ganz einfach, die Mysterien-Schulen lehren ihre Schüler, die Realität hinter den Erscheinungsformen zu sehen, den Weg der Selbst-Erkennung.
Die Bildungseinflüsse des Menschen, die seine Interaktionsmuster bestimmen, wurden hauptsächlich durch visuelle Eindrücke erlernt. Wir beobachten unsere Altersgenossen, Eltern und Lehrer und eifern eher dem, was sie tun, nach als dem, was sie sagen. Der Mensch tendiert dazu, in seinem nacheifernden Verhalten ein Kopierer zu sein. Die Mysterien-Schulen sind sich dieser Tendenz voll bewusst und verwenden sie in ihren Methoden zur Berichtigung der Erfahrungsinterpretationen ihrer Schüler.
Der erste Schritt in der Ausbildungsmethode der Mysterien-Schule besteht darin, dem Schüler die intellektuellen Prinzipien der esoterischen Kosmologie, dessen was und wer wir sind, zu präsentieren, die dem Schüler durch schriftliche Lektionen und mündliche Vorträge mitgeteilt wird. Das ist die Skelettstruktur der inneren Realität des Seins, die jeder Schüler durch persönliche Erfahrung mit Fleisch versehen muss. Jeder muss sich die Realität durch Versuch und Irrtum beweisen. Die Provenienz anderer mag ermutigend sein, kann aber nicht für unser eigenes Bedürfnis nach Beweisen stehen.
Der nächste Schritt der Ausbildung, der mit den Lektionen und Vorträgen einhergeht, folgt ziemlich automatisch, der Schüler muss dafür nicht direkt instruiert werden. Die Mitschüler und Lehrer der Mysterien-Schule werden dann genau aber normalerweise unbewusst dahingehend beobachtet, inwieweit sie diese Lehre in Art und Umfang umsetzen. So beginnt das Nacheifern beim Beobachter/Schüler. Wenn die ersten Lehrerinnen relaxt, erdgebunden, unpedantisch und humorvoll hinsichtlich ihrer eigenen Schwächen sind sowie auch ehrfürchtig sind gegenüber dem Werk, läuft das Nacheifern aller Schüler in ähnlichen Bahnen, und das Gewand sitzt bequemer. Das sind einige der wichtigsten Führungsqualitäten, nicht das intellektuelle Begreifen der Schöpfungskosmologie der Mysterien-Schule. Das ist wichtig, aber in seinem Einfluss sekundär.
Der andere wichtige Faktor im Mysterien-Schultraining ist das Ritual. Sein Einfluss ist in sich dreifältig. Zuerst ist da die Vorstellung von der Bewegung der Kosmologie (des Lebensbaums), wie es im Ritual dargestellt wird. Diese physiologische Vorstellung scheint unsere fehlerhaften unterbewussten Konzepte dessen, was und wer wir sind, richtig zu stellen. Ein Göttlich inspiriertes Ritual spricht die Seele des Menschen an, und die Seele hört zu. Es sagt: „Mensch, dies ist das, was du bist und was ich durch dich tue.“ Der Seelenkontakt im Ritual hat auf den Teilnehmer eine Wirkung, die selten als das, was er wirklich bewirkt, erkannt wird, schon gar nicht am Anfang. In meiner mehr als achtundzwanzigjährigen Teilnahme an Ritualen habe ich erstaunlich einheitlich wache, aber ruhig empfangende Haltungen bei den Ritualteilnehmern beobachtet, was darauf hinweist, dass sie ihre persönlichen Ausdrucksformen während des Rituals beiseite getan haben. Ich habe nie jemanden gesehen, der sich während eines Rituals gelangweilt in seinem Sessel räkelte, Dr. Case sagte: „Wir sollten unsere Persönlichkeiten an der Tür eines Ritualraumes abgeben.“ Dies scheint ohne persönliche Anstrengung erreichbar zu sein. Schon durch die Atmosphäre des Rituals scheint diese wache, ruhige Empfänglichkeit ein Zustand zu sein, der automatisch eingenommen wird.
Der Weg der meisten Mysterien-Schul-Mitglieder besteht darin, niemals Mitglied einer Ritualgruppe zu werden. Das sieht nach zu wenig spirituellem Wechselgeld für einige aus, ohne dass sie die Wahl hätten. Das ist eine falsche Annahme. In Wirklichkeit bekommt jeder Schüler genau das an Unterstützung, Inspiration und Problemen durch den Inneren Einen, was er auf seiner Reise braucht. Alle werden in genau die richtigen Umstände, für das, was sie entfalten sollen, gesetzt. Die sogenannte Einsamkeitserfahrung eines Individuums entwickelt Stärken, die nur auf diesem Weg erlangt werden können. Alle auf dem Pfad sind Teile eines inneren Aspirationskörpers, und jeder Teil partizipiert am Wachstum aller. Mit seinem Pfad zufrieden zu sein, ist der Weg des größten Fortschritts. Strebe dort, wo du bist, nach bewussterer Wahrnehmung statt nach exotischen, phänomenalen Erfahrungen.
Der dritte Einfluss der Ritualausbildung durch die Mysterien-Schulen ist die Projektion sehr feinsinniger und daher kraftvoller Energien von nicht sichtbaren Mitgliedern der Inneren Schule, die mit einer bestimmten Ritualgruppe verbunden sind. Ihre Projektion hängt von folgenden Faktoren ab:
1. Das fortwährende Einhalten von Harmonie zwischen den Gruppenmitgliedern.
2. Die Empfänglichkeit der Mitglieder für die Ideen, die durch das Ritual dargestellt werden, und die Arbeit der Mysterien-Schule im Allgemeinen.
3. Ihre individuelle Fähigkeit, persönliche Ausdrucksformen während des Rituals beiseite zu stellen.
Die Ausführung dieser drei Bereiche durch die Gruppe begründet das Ambiente der Gruppe. Die Projektion der Energien der Inneren Schule auf irgendeine Gruppe hängt vollkommen von der Qualität dieses Ambientes ab. Diese stützende, ermutigende Projektion der Inneren Schule kann bei jeder Gruppe und bei jeder Durchführung ihres Rituals anders sein, je nach dem wie die Innere Schule die Gruppenbedürfnisse und das Level der Empfänglichkeit einschätzt.
Das sind die grundlegenden Ausbildungseinflüsse der Mysterien-Schule. Was sie nicht übernehmen sollten, ist das rigide, pedantische Durchsetzen von Regeln und Verhaltensmaßnahmen einiger Privatschulen. In einer Mysterien-Schule sollte die Form nie für wichtiger gehalten werden als der Inhalt, da das letztlich bei einigen Schülern Entfremdung vom Orden und bei anderen zerstörerisches Nacheifern hervorrufen wird. Die Führung einer Mysterien-Schule sollte fest in dem Prinzip verankert sein, dass das Leben selbst-korrigierend ist und dass nur eindeutig störendes Verhalten in Gruppenversammlungen freundlich aber konsequent korrigiert werden sollte. Wenn diese Haltung ständig von der Führung gezeigt wird, reduziert das auch das beobachtende Kritisieren des Verhaltens Anderer an der Basis. Selbst-Disziplin sollte anstelle der durch die Führung auferlegten Disziplin das nachahmenswerte Beispiel sein. Erklärungen und Erinnerungen an die Bedeutung dieser Prinzipien des Mysterien-Schul-Trainings sollten nur periodisch erfolgen oder wenn neue Mitglieder in die Gruppe eintreten. Mir ist klar, dass das eine Umkehrung der Methoden der öffentlichen Schulen ist, aber um Umkehr dreht sich alles auf dem Pfad.
Das Selbst ist der einzige Lehrer.