Anweisung für spirituell wenig erfahrene Menschen
So verhelfe man dem Toten zur Einsicht, und auch wenn er vorher nicht zur Erkenntnis gelangte, so wird er nun – nach dieser Anweisung – die Befreiung erlangen. Ist der Tote ein Laie, der nicht zu meditieren weiß, spreche man Folgendes:
Sohn der Edlen, wenn du jetzt nicht zu meditieren verstehst, dann vergegenwärtige dir Buddha, den Dharma und die Gemeinde, sowie den Großen Mitleidsvollen (Avalokiteshvara) und flehe sie inbrünstig an! Versenke dich darin, dass der Große Mitleidsvolle oder dein eigener Yi-dam die Gesamtheit dieser schrecklichen, furchtbaren Erscheinungen ist. Vergegenwärtige dir deinen Lama und deinen geheimen Namen, den du in der Menschenwelt erhieltest, als du um die tantrischen Weihen batest; ihn sage dem Gesetzeskönig Yama. Auch wenn du in einen Abgrund fällst, wirst du keinen Schaden nehmen, so gib daher Angst und Furcht auf!
Indem man so spricht, verhelfe man dem Toten zur Einsicht. Auch wenn er vorher nicht befreit wurde, so wird er jetzt die Befreiung erlangen. Da es jedoch sein könnte, dass er auch jetzt noch nicht zu Einsicht gelangt und nicht die Befreiung erreicht hat, und da dies außerordentlich wichtig ist, soll man den Toten erneut hei seinem Namen rufen und ihn so anreden:
Sohn der Edlen, deine jetzigen Sinneseindrücke sind nur jeweils einen Augenblick lang glücklich und leidvoll, so kommt es, dass du in große Verzweiflung stürzt, gleich wie von Schleudermaschinen geworfen. So lasse jetzt überhaupt keine Empfindungen des Begehrens oder des Ablehnens in dir aufkommen. Wenn du in himmlischen Welten geboren werden sollst, dann werden zurzeit, da dir Erscheinungen der himmlischen Welten aufgehen, deine zurückgebliebenen Nächsten das Leben vieler Lebewesen als Opfer darbringen. Darüber werden dir unreine Erscheinungen begegnen, und du wirst großen Hass verspüren. Im Gefolge davon wirst du in der Hölle wiedergeboren werden. Was immer auch die Hinterbliebenen tun mögen, empfinde keinen Hass darüber, sondern versenke dich in die Liebes-Meditation!
Sollst du noch an den von dir hinterlassenen Reichtümern haften oder deine Hinterbliebenen hassen, da sie deine Reichtümer zu besitzen erstreben, obwohl sie wissen, dass deine Reichtümer anderen überantwortet wurden und nun von diesen genossen werden, dann wirst du in der Folge gewiss in der Hölle oder bei den Hungergeistern wiedergeboren werden, auch wenn du in besseren Welten hättest wiedergeboren werden können. Doch selbst wenn du an deinen zurückgelassenen Reichtümern hängst, kannst du sie doch nicht erlangen, und du kannst sie nicht nutzen. Deshalb gib auf, nach deinen hinterlassenen Reichtümern zu gieren, wirf sie insgesamt hinter dich! Beruhige dich! Wer immer es auch sein mag, der deine Reichtümer nutzt, sei ihm nicht neidisch, sondern verzichte darauf!
Verharre vielmehr in einem Zustand ohne Begehren und ohne Anhaften, indem du dich ganz auf den Gedanken konzentrierst, deine Reichtümer deinem Lama und den Drei Kostbarkeiten darzubringen. Auch wenn zu deinem Nutzen die Totenrituale, wie Kamkani und Läuterung der üblen Lebensbereiche usw., rezitiert und ausgeführt werden, so wirst du doch mit deinem subtilen, übernatürlichen Wissen, das eine Folge deines Karma ist, sehen, dass diese unecht, träge, zerstreut usw. ausgeführt werden, dass keine Neigung besteht, die aus den Ritualen sich ergebenden Gelübde rein zu bewahren.
Du wirst dabei sehen, wie Unglaube und irrige Ansichten erwachsen, böse Taten, die in Angst und Schrecken wurzeln, und wie unecht die Praxis der Religion und die Kulthandlungen vollzogen werden.
Da wirst du denken: Wehe, diese Leute betrügen mich! Offensichtlich betrügen sie mich!
Und bei diesem Gedanken wirst du betrübt, und dein Herz verliert seine Freude. Dabei entstehen keine Visionen voll Hingabe und Verehrung mehr, sondern Irrtümer und Misstrauen gegenüber der Religion, und als Folge davon wirst du gewiss in eine schlechte Existenz geraten. Hierbei ist nun der Schaden größer als der Nutzen.
Deshalb denke, wie unecht auch die von den zurückgebliebenen Geistlichen ausgeführten Zeremonien sein mögen, dass das Unechte an deinen Wahrnehmungen die Befleckungen deines Karma sind, das gleichsam in einem Spiegel reflektiert wird, denn wie könnte Unechtes an den Worten Buddhas sein?
Bedenke, dass durch die unreine Kraft deiner eigenen Wahrnehmungen solches geschieht. So bete voll Ehrfurcht: Da ihre Gestalten das Wesen der Gemeinde bilden, ihre Worte das Wesen des edlen Dharma sind und ihre Gedanken das Wesen des Buddha, nehme ich Zuflucht zu ihnen!
So bete voll Ehrfurcht und habe von Grund auf Vertrauen zu ihnen. Damit wird alles, was deine Hinterbliebenen tun, dir zum Nutzen gereichen. Es ist deshalb sehr wichtig, diese Vorstellung zu haben, so vergiss es nicht!
Auch wenn du in einem der drei üblen Daseinsbereiche geboren werden sollst, deine hinterbliebenen Nächsten aber just zu der Zeit, da dir die Erscheinungen der üblen Daseinsbereiche aufgehen, gutem lichten und religiösen Wandel obliegen, ohne jedes Fehl, und die Lamas und Meister mit ihrem Leib, ihrer Stimme und ihrem Herzen gute religiöse Handlungen ausführen, wirst du, sobald du dies siehst, hoch erfreut sein. Als sichere Folge davon wirst du in besseren Welten wiedergeboren werden, auch wenn du in einem der drei üblen Daseinsbereiche geboren werden solltest, denn von solch veränderndem Nutzen ist diese Geisteshaltung. Deshalb ist es sehr wichtig, dass du unreine Vorstellungen meidest und ohne Einschränkung voll Ehrfurcht und Hingabe bist, so nimm dich in acht!
Sohn der Edlen, kurz gesagt, jetzt im Zwischenzustand ist deine Geist-Natur ohne materielle Stütze, so entwickeln die guten und bösen Wahrnehmungen, welche immer auch erscheinen, auf dieser schwankenden Grundlage eine große Kraft. Denke deshalb überhaupt nicht über deine üblen Taten nach, sondern vergegenwärtige dir, was du an Gutem getan hast. Hast du aber nichts Gutes getan, dann befleißige dich inniger Hingabe und reiner Gedanken. Bete zu deinem göttlichen Yi-dam und zum Großen Mitleidsvollen (Avalokiteshara).
Ganz gesammelt sprich dieses Gebet: Wehe, getrennt von lieben Freunden muss ich allein umherirren. Leere Gestalten steigen mir als meine eigenen Gedanken auf. Mögen die Buddhas die Kraft ihres Mitleids aussenden, so dass die Schrecken des Zwischenzustands, Furcht und Angst nicht entstehen! Wenn ich durch meine üblen Taten Leid erdulden muss, möge mein göttlicher Yi-dam dies Leid von mir nehmen! Wenn der tausendfache Donnerschall des Wahren Seins ertönt, möge es zum Ton des sechssilbigen Mantras werden! Jetzt, da ich ohne Zuflucht nur meinen früheren Taten nachfolgen muss, flehe ich den großen Mitleidsvollen Herrn um Hilfe an. Jetzt, da ich die üblen Neigungen, die meinen früheren Taten innewohnten, als Leid erdulde, möge mir doch die glückselige Versenkung des Urlichts aufgehen!
Mit diesen Worten bete inbrünstig! Es ist sicher, dass du den rechten Weg geleitet wirst. Sei versichert, dass es kein Trug ist. Es ist deshalb ganz außerordentlich wichtig!
Da man so gesprochen hat, wird der Tote sich das Gesagte vergegenwärtigen, es beherzigen und so die Befreiung erlangen. Auch wenn man so viele Male verfährt, ist es aufgrund der Kraft der üblen Taten schwer, die Wahrheit zu erkennen. Deshalb ist es sehr nützlich, wenn man es mehrfach wiederholt.