Das zehnte Buch – Hermetis Trismegisti Rede: Dass das Gute allein Gott sei
1. Lieber Asclepius, das Gute ist in niemand anders, denn einig alleine in dem einigen Gott, ja das Gute ist allezeit Gott.
2. Weil dieses also ist, so muss es ein Wesen sein, welches von aller Bewegung und Geburt frei ist, es ist aber nichts hiervon entblößt oder verlassen, es hat um sich eine standfeste Wirkung, die nichts bedarf und ganz voll und ausfließend ist.
3. Es ist der Anfang aller Dinge, denn es ist das Gute, welches alle Dinge von sich gibt: ich meine ein solches, welches ganz und gar und allezeit gut ist.
4. Dasselbe nun ist bei niemand anders, als bei Gott alleine, denn der bedarf keines Dinges, das er sollte begehren an sich zu bringen: Der verliert auch nichts von den wesenden Dingen, darüber er Leid sollte tragen, denn Leid und Schmerz ist ein Teil der Bosheit.
5. Es ist nichts, das mächtiger kann sein als er, dass er könnte davon bestritten werden, nichts ist seiner Gattung, welches er darum sollte lieben, ihm ist nichts Fremdes, worüber er sollte mögen zornig sein, nichts ist weiser, welches er möchte beneiden, weil denn solche Dinge in dessen Wesen nicht befunden werden, was ist es, das ihm übrig bleibt, anders, als alleine das Gute.
6. Denn wie in diesem Wesen nichts Übles ist, also wird das Gute in keinem von den anderen gefunden, denn in Allen ist das Andere alles ins Kleine, ins Große, in einem jeden Ding ins Besondere und in diesem Tier, welches größer denn alle anderen und das allermächtigste ist.
7. Denn was geboren, das ist voll von Leidenschaft, weil die Geburt nichts anderes ist als eine Leidenschaft.
8. Wo aber Leidenschaft ist, da ist keineswegs das Gute, wo aber das Gute ist, da ist keineswegs einige Leidenschaft, denn wo es Tag ist, da ist keine Nacht, wo es aber Nacht ist, da ist kein Tag.
9. Gleich also ist es unmöglich, dass in der Geburt das Gute sein kann, sondern nirgends anders als in dem einzigen Ungeborenen.
10. Gleich wie alle Gemeinschaft aller Dinge in der Materie verknüpft ist, also auch die Gemeinschaft des Guten.
11. Auf eine solche Weise ist nun die Welt gut, weil sie alles macht, nämlich in dem Teil, da sie es macht, da ist sie gut, aber in allen anderen ist sie nicht gut, denn sie ist der Leidenschaft unterworfen und beweglich und macht der Leidenschaft unterworfene Dinge.
12. Denn welches da nicht allzu bös ist, das ist gut, was aber allda gut ist, dasselbe ist der kleinste Teil des Bösen, so ist es denn unmöglich, dass allda das Gute vom Bösen kann gereinigt sein, denn allda wird das Gute bös.
13. Wenn es aber bös geworden ist, so bleibt es nicht mehr gut, darum ist allein in Gott das Gute, oder Gott ist das Gute selbst.
14. Deswegen, lieber Asclepius; ist alleine in dem Menschen der bloße Name des Guten, das Werk aber nirgends, denn solches ist unmöglich, weil der materialische Leib, welcher ganz und gar mit dem Bösen, mit Arbeit, mit Schmerzen, mit Begierde, mit Zorn, mit Irrung, mit närrischer Meinung verstrickt ist, solches nicht kann fassen.
15. Und dies ist, lieber Asclepi, das Allerärgste, dass bei einem jeden der genannten Dinge noch das größte Gut allhier zu sein geglaubt wird, unter welchen die Füllung des Bauches (die Mutter allen Übels, die Verführung und der Verlust des Guten) das größte Übel ist.
16. Ich danke Gott, dass er mir die Erkenntnis des Guten ins Gemüt gegeben hat, dass es unmöglich sei, dass dasjenige in der Welt kann sein, weil die Welt die Vollheit des Bösen ist.
17. Gott aber ist die Vollheit des Guten, oder das Gute ist die Vollheit Gottes, denn bei diesem Wesen sind die schönen Ausflüsse des herrlichen Wesens, die ganz rein und lauter sind, wodurch dasselbe Wesen offenbart wird, denn man mag sicherlich sagen, lieber Asclepi, dass das Wesen Gottes (im Fall er auch ein Wesen hat) ein sehr schönes Wesen sei.
18. Was demnach schön ist, das ist auch gut, es wird aber in der Welt nichts Gutes begriffen, denn was den Augen unterworfen ist, das sind Bilder und gleichsam Schatten, was aber den Augen nicht offenbart ist, das ist am allermeisten das Wesen des guten und herrlichen Wesens.
19. Gleichwie das Auge Gott nicht kann sehen, also sieht dasselbe auch nicht weder das Herrlichste, noch das Gute.
20. Denn diese sind die ganzen Teile Gottes, die ihm allein eigen sind, unscheidentlich und allerliebst, welche Gott liebt, oder die Gott lieben.
21. Im Fall du Gott kannst verstehen, so wirst du auch verstehen das Herrliche und das Gute, welches über alle Maßen von Gott leuchtet und strahlt, denn dieser Herrlichkeit kann nichts verglichen und diesem Guten nichts gleichgesetzt werden als Gott selbst.
22. Wie du denn Gott verstehst, so verstehe auch das herrliche und gute Wesen, denn dieses vermag den andern Geschöpfen nicht mitgeteilt zu werden, weil es nicht kann von Gott geschieden werden.
23. Indem du denn nach Gott suchst, so suchst du auch nach dem herrlichen Wesen, denn es ist nur ein einiger Weg, welcher dahin führt, nämlich die Gottseligkeit mit der Erkenntnis.
24. Daher kommt es, dass diejenigen, die ohne Erkenntnis sind und sich auf den Weg der Gottseligkeit nicht haben begeben, sich wohl dürfen unterstehen, den Menschen auch herrlich und gut zu nennen.
25. Da sie doch, was da gut sei, niemals (auch nicht im Traume) gesehen haben, sondern mit aller Bosheit verwickelt sind, so dass sie auch als Böse gut zu sein glauben, und sich dessen unersättlicherweise gebrauchen, und sich wohl fürchten, dessen beraubt zu werden, darum wenden sie alle Arbeit an, dass sie es nicht alleine behalten, sondern auch vermehren mögen.
26. So gestaltet sind die menschlichen Güter und Schönheiten, lieber Asclepius, welche wir weder lieben noch hassen können, denn das ist das Allerbeschwerlichste, dass wir dieselben nötig haben, und ohne sie nicht vermögen zu leben.