Das elfte Buch – Von der Besinnung und dem Verstand
1. Gestern, lieber Asclepius, habe ich eine vollkommene Rede geführt, jetzt halte ich es für nötig, solches zu verfolgen und auch eine Rede von dem Besinnen vorzubringen.
2. Denn die Besinnung und der Verstand scheinen unterschieden zu sein, weil jene materialisch und dieser wesentlich ist.
3. Aber mich dünkt, dass sie beide vereinigt und ungeschieden seien, nämlich in dem Menschen, denn in den andern Tieren ist der Sinn, aber in dem Menschen der Verstand mit der Natur vereinigt.
4. Es ist aber von dem Verstande das Gemüt unterschieden, gleich als Gott von der Gottheit unterschieden ist; denn die Gottheit wird von Gott, der Verstand aber von dem Gemüte.
5. Der Verstand ist eine Schwester der Rede, und das Eine ist das Werkzeug des Andern: denn die Rede wird ohne den Verstand nicht ausgesprochen, noch der Verstand ohne die Rede offenbar.
6. Daher fließen beide zugleich in den Menschen, der Sinn und Verstand, und sind aneinander gleichsam zusammengeflochten; denn es ist unmöglich, ohne den Sinn zu verstehen, noch möglich, ohne Verstand zu sinnen.
7. Dennoch ist es möglich, dass der Verstand ohne den Sinn kann verstehen, gleich als bei denen, welchen im Traume Gesichte vorkommen.
8. Wiewohl ich dafür halte, dass in solchen Gesichten der Träume auch die Werke geschehen, denn der Sinn wird aus dem Schlaf in ein Wachen aufgeweckt.
9. Der Mensch wird geteilt in Leib und Seele, und wenn beide Teile der Sinne zusammen stimmen, so wird der Verstand ausgesprochen, der von dem Gemüte geboren ist.
10. Denn das Gemüt geht mit allen Gedanken schwanger: mit guten, wenn daselbige den Samen von Gott empfängt, im Gegenteil aber mit bösen, wenn es von den Dämonen den Samen empfängt, denn kein Ding aus der Welt ist ledig von dem Dämon.
11. Wenn er sich einschleicht, so streut er den Samen seiner eigenen Werke; und wenn das Gemüt also bestreut ist, so wird es schwanger mit Ehebruch, Totschlag, Vatermord, Raub der göttlichen Ehre, Gottlosigkeit, dass man sich solle erwürgen, von einer Höhe herunter werfen, und mit allen den Werken, welche von dem bösen Dämon entstehen.
12. Denn die Samen Gottes sind wenig, welche gleichwohl groß und herrlich und gut sind, nämlich die Tugend, die Mäßigkeit, die Gottseligkeit und die Erkenntnis Gottes.
13. Welcher denselben kennt, der wird angefüllt mir allem Guten und hat göttliche Gedanken, welche den gemeinen gar nicht gleich sind.
14. Daher diejenigen, welche in solcher Erkenntnis sind, weder dem gemeinen Volke gefallen, noch auch selbst an dem gemeinen Volke ein Gefallen haben, sondern man hält sie für unsinnig, die man nur auslacht, die man verachtet, auch wohl gar um das Leben bringt.
15. Denn wir haben gesagt, dass das Böse hier muss wohnen, allwo es in seinem eigenen Platze ist, denn sein Platz ist die Erde, nicht die Welt, als etliche Gotteslästerer sagen.
16. Ein gottseliger Mensch aber wird Alles nicht achten und an der Erkenntnis hängen bleiben, denn ihm sind alle Dinge gut, die schon anderen böse sind, und wenn er bei sich beratschlagt, bringt er alles zu der Erkenntnis, und welches zu verwundern ist, er allein macht aus dem Bösen Gutes.
17. Ich kehre mich auch wieder zu der Rede von dem Sinn; es ist dem Menschen eigen, dass seine Sinne an dem Verstand teilnehmen, aber nicht ein jeder Mensch, wie zuvor gesagt ist, genießt den Verstand, weil einer materialisch, der andere wesentlich ist.
18. Der materialische ist bös, wie gesagt ist, und hat den Samen des Verstandes von den Dämonen; aber die mit dem Guten wesentlich gut sind, die werden durch Gott erhalten.
19. Denn Gott ist von Natur der Werkmeister aller Dinge, wenn nun Gott von Natur alle Dinge wirkt, so macht er sie ihm auch gleich, wenn sie aber also gleich als gut sind geworden, so sind sie in dem Gebrauch der Wirkung unfruchtbar, denn die Bewegung der Welt, welche die Geburt verursacht, macht solche so, wie sie sind, etliche besudelt mit dem Bösen und etliche gereinigt durch das Gute.
20. Denn die Welt, lieber Asclepius, hat ihren eigenen Sinn und Verstand, seiend nicht gleich dem Sinn und Verstand des Menschen, auch nicht so mannigfaltig, aber viel vortrefflicher und einfältiger.
21. Denn der Sinn und Verstand der Welt ist einig und allein dieser: Alles zu machen, und in sich selbst wiederum zunichte zu machen. Ein Werkzeug des Willens Gottes und also zugerichtet, dass es (als allen Samen von Gott empfangend, und sich bewahrend) alle Dinge offenbar macht, und wiederum (auslösend) alle Dinge erneuert, welche auch deshalb, nachdem sie aufgelöst sind, als wie ein guter Sämann des Lebens durch das Werfen des Samens Erneuerung geben an die Dinge, die geboren werden.
22. Es ist nichts, welches nicht mit Leben von ihr geboren wird und durch ihre Bewegung macht sie (nämlich die Welt) alles lebendig, sie ist zugleich der Platz und der Werkmeister des Lebens.
23. Die Leiber aber, die von der Materie bestehen, haben einen Unterschied, denn etliche sind aus der Erde, etliche aus dem Wasser, etliche aus der Luft, etliche aus dem Feuer. Sie sind aber sämtlich zusammengesetzt, etliche mehr, etliche weniger, nämlich die Schweren mehr und die Leichten weniger.
24. Die Geschwindigkeit aber derselben Bewegung wirkt die Mannigfaltigkeit der Geburten, denn weil es ein dichter Geist ist, so gibt sie an die Leiber die Eigenschaften mit einer einigen Vollheit des Lebens.
25. Denn Gott ist ein Vater von der Welt, die Welt aber ein Vater der Dinge, die in der Welt sind, und die Welt ist ein Sohn Gottes, aber was in der Welt ist, ist ein Sohn von der Welt.
26. Und die Welt ist billig Kos-Mos (schön) genannt worden, weil sie alles ausprunkt und ausziert mit mannigfaltigen Geburten, mit einem unaufhörlichen Leben, mit unablässligem Wirken, mit Geschwindigkeit des natürlichen Laufes, mit der Vermengung der Elemente und mit Ordnung der geborenen Dinge; also wird die Welt billig, sowohl Not- als ihrer Eigenschaft wegen, Kosmos genannt.
27. So kommen nun in allen Tieren der Sinn und Verstand von auswendig, als eingeblasen von der umfassenden Welt, aber die Welt (sobald sie wurde) hat solches von Gott empfangen, welches sie fortan auch behält.
28. Aber Gott ist nicht, wie Etliche meinen, ohne Sinnen und ohne Verstand, sie lästern aus einem Aberglauben.
29. Denn alle Dinge, die da sind, lieber Asclepi, die sind in Gott, und werden von Gott und hängen an ihm, etliche wirkend durch die Leiber, etliche bewegend durch das Wesen der Seele, etliche lebendig machende durch den Geist, und etliche aufnehmend, was ermüdet ist, und das mit Recht.
30. Denn ich sage nicht, dass er dieselbigen Dinge nicht hat, sondern ich sage viel mehr, was wahr ist. Er ist alles, ohne dass er außen etwas an sich nimmt, sondern dass er alles auswärts von sich gibt.
31. Und dieses ist der Sinn und Verstand Gottes, dass er alle Dinge allezeit bewegt, und es wird immer eine Zeit kommen, da etwas von solchen wesenden Dingen vermöchte unterzugehen.
32. Doch wenn ich von solchen wesenden Dingen spreche, so meine ich die wesenden Dinge Gottes: denn Gott hat die wesenden Dinge. Keine sind außer ihm, und er ist außer Keinem.
33. Lieber Asclepius! Im Fall du dies wirst verstehen, so wirst du dasselbe für wahr halten, aber wenn du es nicht erkennst, für unglaublich schätzen, denn ein Ding verstehen, ist ein Ding glauben, aber nicht verstehen ist nicht glauben.
34. Denn meine Rede reicht an die Wahrheit, auch ist das Gemüt groß, und wenn es einigermaßen von der Rede geleitet wird, so kann es die Wahrheit erreichen, und wenn es um und um alles versteht und gleichstimmig findet mit dem, das die Rede auslegt, dann glaubt es und ruhet in dem herrlichen Glauben.
35. Deswegen wer das, was wir von Gott gesprochen, verstanden hat, demselben ist solches glaublich, aber die es nicht haben verstanden, denen ist es unglaublich. Dieses und so viel sei vom Verstande und vom Sinne gesagt.