Von der holdseligen, freundlichen und barmherzigen Liebe Gottes
Das 9. Kapitel
Von der holdseligen, freundlichen und barmherzigen Liebe Gottes –
Die große himmlische und göttliche Geheimnis
Dieweil ich allhie von himmlischen und göttlichen Dingen schreibe, welches der verderbten Natur des Menschen gar fremd ist, darob sich der Leser an der Einfalt des Autoris ohne Zweifel möchte wundern und ärgern, dieweil der verderbten Natur Trieb nur auf das Hohe siehet als eine stolze, wilde, geile und hurische Frau, die sich in ihrer Brunst immer nach schönen Männern umsiehet, mit denselben zu buhlen.
2. Also ist die hoffärtige, verderbte Natur des Menschen auch. Die sieht nur, was vor der Welt gleißet und pranget, und vermeinet, Gott habe des Elenden vergessen, darum plage er ihn also. Sie denket, der Hl. Geist sehe nur auf das Hohe, auf die Kunst dieser Welt, auf das große und tiefe Studium.
3. Ob sichs aber auch also verhalte, so siehe nur zurücke, so wirst du den Grund finden. Wer war Abel? Ein Schäfer. – Wer war Henoch und Noa? Einfältige Leute. Wer war Abraham, Isaak und Jakob? Viehhirten waren sie. Wer war Moses, der teure Mann Gottes? Ein Viehhirt. – Wer war David, als ihn des Herrn Mund berief? Ein Schäfer. – Waren die Propheten groß und klein? Gemeine und geringe Leutlein, ein Teil nur Bauern und Hirten, die nur der Welt Fußhadern waren. Man hielt sie nur für Narren. Und ob sie gleich Wunder und Zeichen taten, noch sah die Welt nur auf das Hohe, und der Hl. Geist mußte ihrer Füße Schemel sein, denn der stolze Teutel hat je und allewege wollen ein König in dieser Welt sein.
4. Nun, wie kam unser König Jesus Christus in diese Welt? arm und in großem Kummer und Elende, und hatte nicht, da er sein Haupt konnte hinlegen, Matth 8.20.
5. Wer waren seine Apostel? Arme, verachtete, ungelehrte Fischerknechte. Wer glaubte ihren Predigten? Das arme, geringe Völklein. Die Hohen und Schriftgelehrten waren Christi Henkersknechte, die da schrien: Crucifige, crucifige! Luk 23, 21.
6. Wer ist je und allwege bei der Kirchen Christi am festesten gestanden? Das arme verachtete Völklein, das hat um Christi willen sein Blut vergossen. Wer hat die rechte, reine christliche Lehre verfälscht und je und allwege angefochten? Die Schriftgelehrten, Päpste, Kardinäle, Bischöfe und große Hansen. Warum folgete ihnen die Welt? Darum daß sie ein groß Ansehen hatten und vor der Welt prangeten. Eine solche stolze Hure ist die verderbte menschliche Natur.
7. Wer hat des Papsts Geldsucht, Abgötterei, Finanzen und Betrug in Deutschland aus der Kirchen gefeget? Ein armer verachteter Mönch. Durch was Macht oder Kraft? Durch die Macht Gottes des Vaters und durch die Kraft Gottes des Hl. Geistes.
8. Was ist noch verborgen? Die rechte Lehre Christi? Nein, sondern die Philosophia und der tiefe Grund Gottes, die himmlische Wonne, die Offenbarung der Schöpfung der Engel, die Offenbarung des greulichen Falles des Teufels, davon das Böse herkommt, die Schöpfung dieser Welt, der tiefe Grund und Geheimnis des Menschen und aller Kreaturen in dieser Welt, das jüngste Gericht und Veränderung dieser Welt, die Geheimnis der Auferstehung der Toten und des ewigen Lebens.
9. Dieses wird in der Tiefe in großer Einfalt aufgehen, warum nicht in der Höhe in der Kunst? Auf daß sich niemand rühmen darf, er habe es getan, und des Teufels Hoffart hiemit aufgedeckt und zunichte gemacht werde. Warum tut Gott das? Aus seiner großen Liebe und Barmherzigkeit über alle Völker, und hiemit anzuzeigen, daß nunmehr vorhanden sei die Zeit der Wiederbringung, was verloren ist, da die Menschen werden schauen und genießen der Vollkommenheit und wallen in der reichen, lichten und tiefen Erkenntnis Gottes.
10. Darum wird zuvorhin aufgehen eine Morgenröte, dabei man den Tag erkiesen oder merken kann. Wer nun will schlafen, der schlafe immerhin, und wer da will wachen und seine Lampe schmücken, der wache immerhin. Siehe, der Bräutigam kommt. Wer nun wachet und geschmückt ist, der gehet mit zur ewigen himmlischen Hochzeit ein, wer aber schläft, wenn er kommt, der schläft immer und ewig im finstern Kerker der Grimmigkeit.
11. Darum will ich den Leser treulich gewarnet haben, daß er dies Buch mit Fleiß lese und sich nicht an der Einfalt des Autoris ärgere. Denn Gott siehet nicht auf das Hohe, denn er ist allein hoch, sondern er siehet, wie er dem Niedrigen helfe. Wirds so weit mit dir kommen, daß du des Autoris Geist und Sinn ergreifest, so wirds keiner Ermahnung mehr bedürfen, sondern du wirst dich in diesem Lichte freuen und fröhlich sein, und deine Seele wird darinnen lachen und triumphieren.
12. Nun merke: Die holdselige Liebe, welche ist der fünfte Quellgeist in der göttlichen Kraft, ist der verborgene Quell, den das korporalische Wesen nicht begreifen oder umfassen kann als nur, wenn er in dem Corpus aufgehet, so triumphieret das Corpus darinnen und gebäret sich freundlich und lieblich. Denn er gehöret nicht zur Bildung eines Corpus, sondern gehet in dem Corpus auf wie eine Blume aus der Erden. Nun derselbe Quellgeist nimmt anfänglich seinen Ursprung aus der süßen Qualität des Wassers.
13. Verstehe dies, wie es sei, hie merke eigentlich: Erstlich ist die herbe Qualität, danach die süße, danach die bittere. Die süße ist zwischen der herben und bittern mitten inne. Nun macht die herbe immer hart, kalt und finster, und die bittere reißet, treibet, wütet und zerscheidet. Die zwei Qualitäten reiben und treiben sich so hart miteinander und wallen so strenge, daß sie die Hitze gebären. Die ist nun in den zwei Qualitäten finster wie die Hitze in einem Steine.
14. Wenn man einen Stein nimmt oder sonst etwas Hartes und reibet es auf Holz, so erhitzen sich die beiden Dinge. Nun ist dieselbe Hitze nur eine Finsternis und darinnen kein Licht. Also ists auch in der göttlichen Kraft. Nun die herbe und bittere Qualität ohne des siiße Wasser reifen und treiben sich so harte, daß sie die finstere Hitze gebären und in sich entzünden.
15. Und das ist nun zusammen der Zorn Gottes, der Quell und Ursprung des höllischen Feuers, wie beim Luzifer zu sehen ist. Der erhub sich und drückte sich so hart zusammen mit seinen Legionen, daß das süße Quellwasser in ihm vertrocknete, darinnen sich das Licht anzündet und darinnen die Liebe aufsteiget. Darum ist er nun ewig ein herber, harter, kalter, bitter und hitziger und sauer stinkender Quellbrunn, denn als die süße Qualität in ihm vertrocknete, so wards ein finster, sauer Gestank und ein Jammertal, ein Haus der Verderbung und Elendes.
16. Nun weiter in der Tiefe: Wenn sich nun die herbe und bittere Qualität also hart miteinander reiben, daß sie die Hitze gebären, so ist nun die süße Qualität, das süße Quellwasser zwischen der herben und bittern mitten innen, und die Hitze wird zwischen der herben und bittern Qualität in dem süßen Quellwasser geboren durch die herbe und bittere Qualität.
17. Allda zündet sich das Licht in der Hitze in dem süßen Quellwasser an, das ist der Anfang des Lebens. Denn die herbe und bittere Qualität sind der Anfang und eine Ursache der Hitze und des Lichtes. Also wird das süße Quellwasser ein scheinend Licht gleich dem blauen lichten Himmel.
18. Und dasselbe lichte Quellwasser zündet an die herbe und bittere Qualität und die Hitze, welche von der herben und bittern Qualität in dem süßen Wasser geboren wird, die steiget aus dem süßen Quellwasser auf durch die bitter und herbe Qualität. Und in der bittern und herben Qualität wird erst das Licht trocken und scheinend, dazu beweglich und triumphierend.
19. Und wenn dann nun das Licht aus dem süßen Quellwasser in der Hitze in der bittern und herben Qualität aufgehet, so schmecken die bittere und herbe Qualität das lichte und süße Wasser. Und die bittere Qualität fänget den Schmack des süßen Wassers, und in dem süßen Wasser ist das Licht, aber nur himmelblaue Farbe.
20. Alsdann zittert die bittere Qualität und zertreibet die Härtigkeit in der herben, und das Licht trocknet sich in der herben und scheinet helle, viel Lichter als der Sonnen Glanz. In diesem Aufsteigen wird die herbe Qualität sanfte, lichte, dünne und lieblich und krieget ihr Leben, welches Ursprung steiget aus der Hitze in dem süßen Wasser. Das ist nun der rechte Brunnquell der Liebe.
21. Merke dies im tiefen Sinn: Wie wollte da nicht Liebe und Freude sein, wo mitten im Tode das Leben geboren wird und mitten in der Finsternis das Licht? Sprichst du, wie gehet das zu? Ja, wenn mein Geist in deinem Herzen säße und quälle in deinem Herzen auf, so befände und begriffe es dein Leib. Aber anders kann ichs nicht in deinen Sinn bringen. Du kannst es auch nicht begreifen oder verstehen, der Hl. Geist zünde denn deine Seele an, daß dieses Licht in deinem Herzen selber scheine. Alsdann wird dieses Licht in dir selber geboren wie ein Gott und steiget in deiner herben und bittern Qualität auf in deinem süßen Wasser und triumphieret wie in Gott. Wenn nun dies geschieht, so wirst du erst mein Buch verstehen und eher nicht.
22. Merke: Wenn das Licht in der bittern Qualität geboren wird, das ist: wenn das bitter und trocken Quellen das süße Quellwasser des Lebens fänget und trinket es, so wird der bittere Geist lebendig in dem herben Geist, und ist der herbe Geist nun wie ein schwanger Geist, der des Lebens schwanger ist und muß das Leben immer gebären. Denn das süße Wasser, und in dem süßen Wasser das Licht, steigt nun immer in der herben Qualität auf. Und die bittere Qualität triumphieret nun immer darinnen und ist nichts denn eitel Lachen und Freude, eitel Liebhaben.
23. Denn die herbe Qualität liebet das süße Wasser erstlich darum, daß in dem süßen Wasser der Geist des Lichts geboren wird und tränket die herbe, harte und kalte Qualität und erleuchtet sie und wärmet sie, denn in dem Wasser, Hitze und Licht steht das Leben.
24. Ferner hat die herbe Qualität die bittere lieb, darum daß die bittere in dem süßen Wasser, das ist: in dem Wasser, Hitze und Licht in der herben triumphieret und die herbe beweglich macht, darinnen die herbe auch kann triumphieren.
25. Zum dritten hat die herbe Qualität die Hitze lieb, darum daß in der Hitze das Licht geboren wird, dadurch die herbe Qualität wird erleuchtet und gewärmet.
26. Und die süße Qualität hat die herbe auch lieb, 1. darum, daß sie die herbe trocknet, daß sie nicht dünne wird gleich dem elementischen Wasser, und ihre Qualität in Kraft bestehet, und daß in der herben Qualität das Licht, das in ihr geboren wird, scheinend und trocken wird. Dazu ist die herbe Qualität eine Ursache der Hitze, welche in dem süßen Wasser geboren wird, darinnen das Licht aufgehet, darinnen das süße Wasser in großer Klarheit stehet.
27. Zum 2. hat die süße Qualität die bittere auch lieb, darum daß sie auch eine Ursache ist der Hitze und auch darum, daß der bittere Geist in dem süßen Wasser, Hitze und Licht triumphieret und zittert und macht die süße beweglich und lebendig.
28. Zum 3. hat die süße Qualität die Hitze trefflich sehr lieb, also lieb, daß ich das mit nichts vergleichen kann: Nimm dir ein Gleichnis, welches doch wohl viel zu gering ist, an zweien jungen Menschen edler Komplexion, wenn dieselben aneinander erhitzen in Liebe-Brunst, so ists ein solch Feuer. Könnten sie einander in Leib kriechen oder sich in einen Leib verwandeln, sie täten das. Aber die irdische Liebe ist nur kalt Wasser und nicht recht Feuer. Man kann kein recht Gleichnis in dieser halbtoten Welt finden als nur die Auferstehung der Toten am jüngsten Tage. Das ist ein vollkommen Gleichnis, in allen göttlichen Dingen das rechte Liebe-Empfangen.
29. Die süße Qualität hat aber die Hitze darum also lieb, daß sie in ihr den lichten Geist gebäret, der da ist der Geist des Lebens. Denn das Leben entstehet in der Hitze, sonst wo die Hitze nicht wäre, so wäre alles ein finster Tal. Also lieb als nun das Leben ist also lieb ist auch dem süßen Geist die Hitze und in der Hitze das Licht.
30. Und die bittere Qualität liebet auch alle anderen Quellgeister, erstlich die süße, denn in dem süßen Wasser wird der bittere Geist gelabet und erlöschet darinnen seinen großen Durst, und seine Bitterkeit wird darinnen gesänftiget und krieget sein Lichte Leben darinnen. Und in der herben hat er seinen Leib, darinnen er triumphieret und sich kühlet und sänftiget. Und in der Hitze hat er seine Kraft und Stärke, darinnen seine Freude stehet.
31. Und die hitzige Qualität hat auch alle anderen Qualitäten lieb, und ist die Liebe auch also groß in ihr, gegen und in den andern, daß mans nicht vergleichen kann, denn sie wird von den andern geboren. Die herben und bitteren Qualitäten sind der Hitze Vater und das süße Quellwasser ist seine Mutter, die es empfänget und gebäret. Denn durch der herben und bittern hartes Treiben wird die Hitze. Die gehet in der süßen Qualität als in einem Holze auf.
32. Willst du das nicht glauben, so tu deine Augen auf und gehe zu einem Baum und siehe den an und besinne dich, so siehest du erstlich den ganzen Baum. Nimm ein Messer und schneide darein und koste wie er ist, so schmeckest du erstlich die herbe Qualität, die zeucht dir die Zunge zusammen. Nun dieselbe hält auch und zeucht zusammen alle Kräfte des Baumes. Danach schmeckest du die bittere Qualität. Die macht den Baum beweglich, daß er wächst, grünet und seine Aste, Laub und Frucht krieget. Danach schmeckest du die Süße, die ist ganz sänftig und scharf, denn von der herben und bittern Qualität krieget sie die Schärfe.
33. Nun diese Qualitäten wären finster und tot, so die Hitze nicht darinnen wäre. Alsbald aber der Frühling kommt, daß die Sonne mit ihren Strahlen die Erde erreichet und erwärmet, so wird der Geist in der Hitze in dem Baume lebendig, und heben die Geister des Baumes an zu grünen, wachsen und blühen. Denn der Geist gehet in der Hitze auf und alle Geister freuen sich darinnen und leben darinnen, und ist eine herzliche Liebe zwischen ihnen. Die Hitze aber wird durch Kraft und Trieb der herben und bittern Qualität in dem süßen Wasser geboren. Der Sonnen Hitze aber müssen sie zur Anzündung gebrauchen, darum daß sie die Qualitäten in dieser Welt halb tot und zu ohnmächtig sind, an welchem König Luzifer eine Ursache ist, welches du bei seinem Fall und bei der Schöpfung dieser Welt finden wirst.
Von der freundlichen Liebe, Holdseligkeit und Einigkeit dieser fünf Quellgeister Gottes
34. Wiewohl dies mit Menschenhänden unmöglich ist genugsam zu schreiben, so siehet es doch der erleuchtete Geist des Menschen, denn er gehet gleich in solcher Form und Geburt auf wie das Licht der göttlichen Kraft und auch in den denselben Qualitäten, die in Gott sind.
35. Allein das ist zu beklagen bei dem Menschen, daß seine Qualitäten verderbet und halb tot sind, darum dann des Menschen Geist oder sein Quellen, Aufsteigen oder Anzünden in dieser Welt zu keiner Vollkommenheit kommen kann.
36. Hinwiederum ist sich des hoch zu erfreuen, daß des Menschen Geist in seiner Notdürftigkeit vom Hl. Geist erleuchtet und angezündet wird, gleichwie die Sonne die kalte Hitze in einem Baum oder Kraute anzündet, davon die kalte Hitze lebendig wird.
37. Nun merke: Gleichwie die Glieder des Menschen eines das andere liebet, also auch die Geister in der göttlichen Kraft; da ist nichts denn eitel Sehnen, Begehren und Erfüllen, dazu einer in dem andern Triumphieren und sich Freuen, denn durch diese Geister kommt der Verstand und Unterschied in Gott, in Engeln, Menschen, Tieren und Vögeln und in allem, was da lebet, denn in diesen fünf Qualitäten gehet auf das Sehen, Riechen, Schmecken und Fühlen und wird ein vernünftiger Geist.
38. Wenn das Licht aufgehet, so siehet ein Geist den andern. Und wenn das süße Quellwasser in dem Lichte durch alle Geister gehet, so schmeckst einer den andern. Alsdann werden die Geister lebendig, und dringet die Kraft des Lebens durch alles. Und in derselben Kraft reucht einer den andern, und durch dieses Quellen und Durchdringen fühlet einer den andern, und ist nichts denn ein herzlich Lieben und freundlich Sehnen, Wohlriechen, Wohlschmecken und Liebefühlen, ein holdselig Küssen, voneinander Essen, Trinken und Liebe-Spazieren.
39. Das ist die holdselige Braut, die sich in ihrem Bräutigam freuet, darinnen ist Liebe, Freude und Wonne. Da ist Licht und Klarheit; da ist lieblicher Geruch, da ist ein freundlicher und süßer Geschmack. Ach und ewig ohn Ende, wie kann sich eine himmlische Kreatur genugsam darinnen erfreuen! Ach Liebe und Holdseligkeit! Hast du doch kein Ende, siehet man doch kein Ende an dir: deine Tiefe ist unerforschlich; du bist überall also, nur in den grimmigen Teufeln nicht, die haben dich verderbet in sich.
40. Sprichst du nun: Wo sind denn die holdseligen Geister anzutreffen? Wohnen sie nur in sich selber im Himmel? Antwort: Das ist die andere offene Porte der Gottheit. Du magst allhier deine Augen weit auftun und den Geist in deinem halb toten Herzen erwecken, denn es ist kein Dünkel, Gedichte oder Phantasei.
41. Merke: Die sieben Geister Gottes begreifen in ihrem Zirk oder Raum den Himmel und diese Welt und die Weite und Tiefe außer und über dem Himmel, über der Welt, unter der Welt und in der Welt, ja den ganzen Vater, der weder Anfang noch Ende hat. Sie begreifen auch alle Kreaturen im Himmel und in dieser Welt. Und alle Kreaturen im Himmel und in dieser Welt sind aus diesen Geistern gebildet, und leben darinnen als in ihrem Eigentum. Und ihr Leben und Vernunft wird auf eine solche Weise in ihnen geboren, wie das göttliche Wesen geboren wird und auch in derselben Kraft. Und aus demselben Corpus der sieben Geister Gottes sind alle Dinge gemacht und hergekommen, alle Engel, alle Teufel, der Himmel, die Erde, die Sternen, die Elementa, die Menschen, die Tiere, die Vögel, die Fische, alle Würmer, das Holz und Bäume, dazu Steine, Kraut und Gras und alles, was da ist.
42. Nun fragest du: Weil denn Gott überall ist und selber alles ist, wie kommts dann, daß in dieser Welt solche Kälte und Hitze ist; dazu beißen und schlagen sich alle Kreaturen, und ist nichts denn eitel Grimmigkeit in dieser Welt. Siehe das ist die Ursache und Bosheit: Als König Luzifer in seinem Reiche saß als eine stolze hoffärtige Braut, so begriff sein Zirk den Locum, wo jetzt der erschaffene Himmel ist, der aus dem Wasser gemacht ist, und auch den Locum der erschaffenen Welt bis an Himmel, sowohl die Tiefe, wo jetzt die Erde ist. Das war alles ein reiner und heiliger Salitter, da die sieben Geister Gottes völlig und lieblich waren wie jetzt im Himmel, wiewohl sie noch in dieser Welt völlig sind. Aber merke nur die Umstände recht:
43. Als sich König Luzifer erhub, so erhub er sich in den sieben Quellgeistern und zündete dieselben mit seiner Erhebung an, daß alles ganz brennend wurde. Die herbe Qualität ward so hart, daß sie Steine gebar, und so kalt, daß sie das süße Quellwasser zu Eis machte. Und das süße Quellwasser ward gar dicke und stinkicht, und die bittere Qualität ward gar wütend, reißend und tobend, davon sich die Gift empöret und das Feuer oder Hitze ward ganz eiferig, brennend und verzehrend, und war ganz eine böse Temperanz oder Vermischung.
44. Auf dieses ist nun König Luzifer aus seinem königlichen Loco oder Stuhl gestoßen worden, welchen er an dem Orte hatte, wo jetzt der erschaffene Himmel ist, und ist allda bald die Schöpfung dieser Welt darauf gefolget, und ist die harte, derbe Materia, die sich in den angezündeten sieben Quellgeistern gewirket hatte, zusammengetrieben worden. Davon ist die Erde und Steine worden. Hernach sind alle Kreaturen aus dem angezündeten Salitter der sieben Geister Gottes geschaffen worden.
45. Nun sind die Quellgeister also grimmig in ihrer Anzündung worden, daß einer den andern immer verderbet mit seinem bösen Quell. Also tun nun auch die Kreaturen, die aus den Quellgeistern gemacht sind und in derselben Trieb leben. Da beißet, stößet und neidet sich alles nach der Qualitäten Art.
46. Auf dieses hat nun der ganze Gott das jüngste Gericht beschlossen. Da will er das Böse von dem Guten scheiden und das Gute wieder in die sanfte und liebliche Wonne setzen, wie es war von der greulichen Anzündung der Teufel, und will das Grimmige dem König Luzifer zu einer ewigen Behausung geben. Und alsdann werden aus diesem Reiche zwei Teile werden. Das eine kriegen die Menschen mit ihrem Könige Jesu Christo, das andere die Teufel mit allen gottlosen Menschen und Bosheit.
47. Dieses ist also eine kurze Anleitung, damit der Leser die göttliche Geheimnis möchte desto baß verstehen. Bei dem Fall des Teufels und bei der Schöpfung dieser Welt wirst du alles nach der Länge eigentlich beschrieben finden. Will derowegen den Leser vermahnet haben, daß er alles in seiner Ordnung lese, so wird er auf den rechten Grund kommen.
48. Es ist zwar von Anbeginn der Welt keinem Menschen also ganz offenbaret worden. Weil es aber Gott haben will, laß ichs seinen Willen walten und will zusehen, was Gott hiemit tun will, denn seine Wege, die er für sich gehet, sind mir meistenteils verborgen. Aber hintennach siehet ihn der Geist bis in die höchste Tiefe.