Georges Gurdjieff – Warum Beelzebub in unser Sonnensystem kam

Warum Beelzebub in unser Sonnensystem kam

Georges Gurdjieff (1949)

Georges_Gurdjieff

Es war objektiver Zeitrechnung nach im Jahre 223 nach der Weltschöpfung oder, wie man auf Erden sagen würde, im Jahre 1921 nach Christi Geburt. Durch das Weltall flog das Schiff der Zwischen-Raum-Verbindung „Karnak”. Es flog aus den Regionen des „Assuparazata”, das heißt aus den Regionen der „Milchstraße”, vom Planeten „Karatas” zum Sonnensystem „Pandeznoch”, dessen Sonne auch „Polarstern” genannt wird. Auf dem besagten Zwischen-Raum-Schiff befand sich Beelzebub samt seinen Angehörigen und Getreuen.

Er war auf dem Wege nach dem Planeten „Revosvradendr” zu einer besonderen Konferenz, an der teilzunehmen er auf die Bitte seiner langjährigen Freunde hin eingewilligt hatte. Nur die Erinnerung an diese alten Freundschaften hatte ihn dazu gebracht, diese Einladung anzunehmen; denn er war schon alt und die weite Reise mit allem Drum und Dran war für einen von seinen Jahren keine leichte Aufgabe. Erst ganz kurz vor dieser Reise war Beelzebub auf den Planeten „Karatas” heimgekehrt, wo er entstanden war und weit weg von dem er viele Jahre seiner Existenz in einer seiner Natur fremden Umgebung zugebracht hatte, von Umständen gezwungen, die nicht von seinem Wesen abhingen.

Dieser langjährige Aufenthalt, der nicht für ihn passte, die damit verbundenen Wahrnehmungen, die seiner Natur ungewohnt waren, die Erlebnisse, die seinem Wesen keineswegs entsprachen, hatten nicht versäumt, merkliche Spuren in seinem allgemeinen Bestand zu hinterlassen. Außerdem hatte die Zeit allein ihn schon alt gemacht; die besagten ungewöhnlichen Existenzbedingungen aber hatten Beelzebub, jenen Beelzebub, der eine so ausnehmend kräftige, feurige und schöne Jugend gehabt hatte, auch in einer ungewöhnlichen Weise altern lassen.

Lange, lange zuvor, als Beelzebub noch daheim auf dem Planeten „Karatas” existierte, war er ob seiner außerordentlichen Auffassungsgabe in den Dienst auf der „Sonne Absolut” genommen worden, wo der Hauptsitz Seiner UNENDLICHKEIT UNSERES HERRN UND HERRSCHERS ist; daselbst wurde Beelzebub mit anderen seinesgleichen in den Dienst Seiner UNENDLICHKEIT gestellt.

Damals nun, da Beelzebubs Vernunft ob seiner Jugend noch nicht geformt war und sein Denken, noch unreif und deshalb hitzig, in ungleichmäßigen Assoziationen floss, da nämlich, wie es noch nicht vollständig verantwortlich gewordenen Wesen eigen ist, sein Denken auf engen Begriffen basierte, damals sah er in der Weltregierung etwas, was ihm „unlogisch” zu sein schien, und im Verein mit seinen Gefährten, gleich ihm noch nicht vollends geformten Wesen, mischte er sich in etwas ein, was ihn nichts anging. Dank der ungestümen und kraftvollen Natur Beelzebubs gewann seine und seiner Gefährten Einmischung bald alle Geister und es fehlte nicht viel, dass sie das Zentralreich des Megalokosmos fast zu einer Revolution gebracht hätten.

Als Seine UNENDLICHKEIT dies erfuhr, sah er sich trotz seiner Alliebe und Allverzeihung gezwungen, Beelzebub und seine Gefährten in eine der entfernten Einöden des Weltalls, nämlich auf das Sonnensystem „Ors” zu verbannen, das die dortigen Einwohner einfach „Das Sonnensystem” nennen, und er bestimmte einen der Planeten dieses Sonnensystems, nämlich den Planeten Mars, zu ihrem Existenzort und gab ihnen das Recht, auch auf anderen Planeten, doch nur dieses selben Sonnensystems, zu existieren.

Unter den Verbannten waren außer den besagten Gefährten Beelzebubs auch viele, die einfach mit ihm übereinstimmten, und ferner die Getreuen und Untergebenen Beelzebubs und seiner Gefährten. Sie alle kamen an diesen entfernten Platz mit ihren Kindern und Hausgenossen, und es bildete sich in kurzer Zeit auf dem Planeten Mars eine ganze Kolonie dreizentrischer Wesen von verschiedenen Planeten des Zentralteiles unseres großen Weltalls. Diese ganze für den erwähnten Planeten ungewöhnliche Bevölkerung passte sich allmählich ihrem neuen Existenzort an, und viele von ihnen fanden sogar irgendeine Beschäftigung, um sich die langen Jahre ihrer Verbannung zu verkürzen. Entweder fanden sie eine Betätigung auf eben diesem Planeten Mars oder auf benachbarten Planeten, nämlich auf solchen, die wegen ihrer weiten Entfernung vom Zentrum und der Kargheit ihrer Formationen beinahe gänzlich vernachlässigt waren.

In den folgenden Jahren siedelten viele von ihnen nach und nach auf eigenes Gutdünken oder aus Nöten allgemeinen Charakters vom Planeten Mars auf andere Planeten über; Beelzebub selbst aber blieb mit seinen Getreuen auf dem Planeten Mars und richtete sich seine Existenz daselbst mehr oder weniger erträglich ein.

Zu seinen Hauptbeschäftigungen gehörte die Einrichtung eines Observatoriums auf dem Planeten Mars zur Beobachtung ferner Punkte des Weltalls und der Existenzbedingungen der Wesen auf den benachbarten Planeten; es mag hinzugefügt werden, dass dies sein Observatorium später überall im Weltall bekannt und sogar berühmt wurde.

Obgleich das Sonnensystem „Ors” wegen seiner Entfernung vom Zentrum und aus vielen anderen Gründen vernachlässigt worden war, hatte doch unser HERR UND HERRSCHER von Zeit zu Zeit seine Gesandten auf die Planeten dieses Systems geschickt, um die Seins Existenz der auf ihnen entstehenden dreihirnigen Wesen mehr oder weniger so zu regulieren, dass ihr Existenz Prozess mit der allgemeinen Weltharmonie in Übereinstimmung komme.

So war einst auf einen Planeten dieses Sonnensystems, nämlich auf den Planeten Erde, als solch ein Gesandter Seiner UNENDLICHKEIT ein gewisser Aschiata Schiämasch geschickt worden. Und da Beelzebub dazumal in Verbindung mit dessen Mission irgendetwas Notwendiges geleistet hatte, flehte der erwähnte Gesandte, als er wieder auf die Sonne Absolut zurückkehrte, Seine UNENDLICHKEIT inständig an, dem einst jungen und hitzigen, jetzt aber schon betagten Beelzebub Verzeihung zu gewähren.

Auf diese Bitte Aschiata Schiämaschs hin und in Anbetracht der bescheidenen und einsichtsvollen Existenz Beelzebubs selbst verzieh ihm unser ERSCHAFFER UND SCHÖPFER und erlaubte ihm, zu seinem Entstehungsort zurückzukehren. Deshalb war eben Beelzebub nach langer Abwesenheit nun wieder im Zentrum des Weltalls. Sein Einfluss und seine Autorität hatten sich während seiner Verbannung nicht nur nicht geschwächt, sondern im Gegenteil sehr verstärkt, da alle um ihn deutlich erkannten, dass durch Beelzebubs langjährigen Aufenthalt unter den erwähnten ungewohnten Verhältnissen sein Wissen und seine Erfahrung sich unzweifelhaft erweitert und vertieft haben mussten.

Und als sich nun auf einem der Planeten des Sonnensystems Pandeznoch Ereignisse von großer Wichtigkeit zutrugen, beschlossen die alten Freunde Beelzebubs, ihn zu stören und ihn zu einer Konferenz über diese Ereignisse einzuladen. Und die Folge davon war eben, dass Beelzebub die weite Reise auf dem Schiffe Karnak machte, vom Planeten Karatas zum Planeten Revosvradendr. Auf diesem großen Raumschiff „Karnak” waren als Passagiere Beelzebubs Angehörige und Getreue und außerdem noch viele Wesen, die zu der Schiffsmannschaft gehörten.

Zu der Zeit, von der unsere Erzählung spricht, waren alle Passagiere entweder mit der Erfüllung ihrer Pflichten beschäftigt oder übten einfach aus, was man aktives Seins-Denken nennt. Unter allen Passagieren des erwähnten Schiffes fiel ein sehr hübscher Junge auf, der immer in der Nähe Beelzebubs war.

Das war Hassin, ein Sohn von Beelzebubs Lieblingssohn Tuluf. Beelzebub hatte seinen Enkel Hassin zum ersten Mal nach seiner Rückkehr aus der Verbannung gesehen und da er sein gutes Herz gleich erkannte und auch demzufolge, was man Familienneigung nennt, gewann er ihn sofort lieb. Und da diese Zeit gerade mit jener zusammenfiel, wo die Vernunft des kleinen Hassin entwickelt werden musste und Beelzebub viel freie Zeit hatte, so übernahm er selbst die Erziehung seines Enkels und nahm von da an Hassin überallhin mit. Deshalb begleitete Hassin Beelzebub auch auf dieser weiten Reise und war unter denen, die immer um ihn waren.

Hassin seinerseits gewann seinen Großvater dermaßen lieb, dass er keinen Schritt ohne ihn tun wollte und alles, was der Großvater sagte oder lehrte, gierig aufnahm. Zu der Zeit, von der wir sprechen, saß Beelzebub mit Hassin und seinem ergebenen alten Diener Ahun, der ihn immer und überall begleitete, auf dem oberen „Kaßnik”, das heißt auf dem oberen Deck des Schiffes Karnak, unter einer „Kalnokranonis”, was etwas vorstellt, was man eine große Glasglocke nennen würde; sie unterhielten sich dort miteinander und betrachteten zu gleicher Zeit den grenzenlosen Raum.

Beelzebub erzählte von dem Sonnensystem, auf dem er viele Jahre zugebracht hatte. Diesmal schilderte er gerade die Eigentümlichkeiten der Natur eines Planeten namens Venus. Mitten in seiner Schilderung wurde Beelzebub gemeldet, dass der Kapitän des Schiffes ihn gern sprechen möchte, und Beelzebub gab dieser Bitte nach.