Erkenntnis und Wahrheit
Gottfried Wilhelm Leibniz
Gottfried Wilhelm Leibniz war ein deutscher Philosoph, Mathematiker, Diplomat, Historiker und politischer Berater. Leibniz lehrte, dass Gott alles aus dem Nichts geschaffen hat und alles, was Gott erschaffen hat, gut ist. Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung, dass in allem eine wunderbare Ordnung zu finden ist. Für Leibniz sind die Begriffe „Wahrheit“ und „Erkenntnis“ eng mit der Erkenntnis Gottes verknüpft und besitzen somit metaphysischen Stellenwert.
Da gegenwärtig zwischen mehreren ausgezeichneten Männern die Streitfrage über die wahren und die falschen Ideen verhandelt wird und dieser Gegenstand, hinsichtlich dessen selbst Descartes nicht allenthalben ausreicht, für die Erkenntnis der Wahrheit von großer Wichtigkeit ist, so mag es mir gestattet sein, hier in wenig Worten meine Ansicht über die Unterschiede und Kennzeichen der Ideen und der Begriffe darzulegen.
Das Wissen ist also entweder dunkel oder klar, das Klare entweder verworren oder deutlich, das Deutliche aber entweder nicht angemessen oder angemessen und das Angemessene entweder symbolisch oder anschaulich. Das Vollkommenste aber ist das, welches gleichzeitig angemessen und anschaulich ist.
Dunkel ist ein Begriff, der nicht ausreicht, eine vorgestellte Sache zu erkennen, wie z. B., wenn ich mich zwar einer früher gesehenen Blume oder eines früher gesehenen Tieres erinnere, aber nicht in hinlänglicher Weise, so dass ich das Vorgezeigte wiedererkennen oder es von einem Ähnlichen unterscheiden könnte; oder wenn ich einen in der Schule wenig erklärten Ausdruck in Betracht nehme, wie z. B. die Entelechie des Aristoteles oder die Ursache, so wie sie dem Stoff, der Form, dem Bewirkenden und dem Zweck gemeinsam ist, oder ein anderes derartiges Wort, von dem wir keine bestimmte Definition haben. Daher wird auch der Satz dunkel, der einen solchen Begriff enthält.
Klar ist demgemäß ein Wissen, wenn ich es so besitze, dass ich dadurch die vorgestellte Sache wiedererkennen kann, und dies ist wiederum entweder verworren oder deutlich.
Verworren ist es, wenn ich die Kennzeichen, welche zur Unterscheidung einer Sache von anderen ausreichen, nicht einzeln aufzählen kann, sofern nämlich jene Sache wirklich derartige Kennzeichen und Bestimmungen besitzt, in die der Begriff derselben aufgelöst werden kann. Auf diese Weise erkennen wir zwar die Farben, die Gerüche, den Geschmack und andere besondere Sinnesgegenstände mit hinlänglicher Klarheit und unterscheiden sie unter sich voneinander, aber nur auf das bloße Zeugnis der Sinne hin und nicht durch Merkmale, die sich bezeichnen lassen. Daher können wir auch einem Blinden nicht erklären, was rot ist, und auch anderen dergleichen nur dadurch deutlich machen, dass wir sie zu der gegenwärtigen Sache hinführen und sie sehen, riechen oder schmecken lassen oder dass wir sie wenigstens an eine frühere ähnliche Wahrnehmung erinnern, ungeachtet feststeht, dass die Begriffe dieser Eigenschaften zusammengesetzt sind und aufgelöst werden können, da sie allerdings ihre Ursachen haben.
In ähnlicher Weise sieht man oft Maler und andere Künstler ganz wohl erkennen, was an einem Kunstwerke richtig oder fehlerhaft ist, während sie dagegen häufig den Grund für ihr Urteil nicht anzugeben vermögen und auf Befragen erwidern, sie vermissten an dem Gegenstande, der ihnen missfällt, ich weiß nicht was.
Ein deutlicher Begriff ist dagegen der, welchen die Münzwardeine vermöge der Merkmale und Proben, die zur Unterscheidung der Sache von allen anderen ähnlichen Körpern ausreichen, vom Golde haben. Dergleichen Begriffe pflegt man von solchen Vorstellungen, die mehreren Sinnen gemeinsam sind, wie z. B. die Vorstellungen der Zahl, der Größe, der Gestalt, und von vielen Seelenzuständen, wie der Furcht und der Hoffnung, zu haben, kurzum von allen Dingen, von denen wir die Nominal-Definition besitzen, die eben nichts anderes ist als die Aufzählung der hinreichenden Merkmale.
Doch gibt es auch ein deutliches Wissen von einem undefinierbaren Begriffe, wenn derselbe nämlich ursprünglich oder sein eigenes Merkmal ist, d. h., wenn er nicht auflösbar und nur durch sich selbst zu erfassen ist und mithin der Bestimmungen ermangelt. Da aber bei den zusammengesetzten Begriffen die dieselben bildenden einzelnen Merkmale bisweilen allerdings klar, aber doch nur verworren bekannt sind, wie z. B. die Schwere, die Farbe, das Scheidewasser und andere Merkmale des Goldes, so ist ein solches Wissen vom Golde allerdings deutlich, aber nicht angemessen. Wenn jedoch alles, was zu einem deutlichen Begriffe gehört, wiederum deutlich bekannt ist oder die Analyse des Begriffs bis zu Ende geführt werden kann, so ist das Wissen angemessen:
Ob die Menschen ein vollkommenes Beispiel eines solchen bieten können, weiß ich nicht, doch kommt der Begriff der Zahlen demselben sehr nahe. Meistens aber, und besonders bei einer längeren Analyse, berücksichtigen wir nicht zugleich die ganze Natur der Sache, sondern bedienen uns statt der Dinge der Zeichen, deren Erklärung man in einem solchen Falle der Kürze halber zu unterlassen pflegt, da man sie in der Gewalt hat oder doch zu haben glaubt.
Wenn man sich also z. B. ein Tausendeck oder ein Vieleck von tausend gleichen Seiten vorstellt, so fasst man nicht immer die Natur der Seite, der Gleichheit und der Zahl Tausend (oder der Kubikzahl der Zehn) ins Auge, sondern gebraucht in Gedanken diese Ausdrücke (deren Sinn dem Geiste am wenigsten dunkel und unvollständig vorschwebt) anstatt der Vorstellungen, die man davon hat, weil man sich bewusst ist, dass man die Bedeutung jener Worte innehat, die Erklärung derselben aber für den Augenblick nicht für nötig erachtet.
Eine solche Erkenntnis pflege ich eine blinde oder auch eine symbolische zu nennen, von der auch in der Algebra und der Arithmetik, ja nahezu überall Gebrauch gemacht wird. Auch vermögen wir, wenn der Begriff sehr zusammengesetzt ist, nicht gleichzeitig alle darin enthaltenen Vorstellungen uns vorzustellen; wo dies aber dennoch angeht oder wenigstens insofern es angeht, nenne ich dies Wissen ein anschauliches. Von einem ursprünglichen deutlichen Begriffe gibt es keine andere Erkenntnis als eine anschauliche, wie von den zusammengesetzten Begriffen meistens nur eine symbolische.
Daraus erhellt schon, dass wir auch von den Dingen, welche wir deutlich erkennen, keine Ideen erlangen, insoweit wir nicht von der anschaulichen Erkenntnis Gebrauch machen. Auch geschieht es in der Tat häufig, dass wir unbegründeterweise Ideen von Dingen im Geiste zu haben meinen, wenn wir ohne Grund annehmen, dass gewisse Ausdrücke, die wir gebrauchen, schon von uns erläutert worden seien, wie es auch nicht richtig oder doch ohne Zweifel doppelsinnig ist, wenn einige behaupten, wir könnten von einem Dinge nichts aussagen und das Gesagte verstehen, wenn wir nicht die Idee desselben haben. Denn oft verstehen wir doch die einzelnen Benennungen oder erinnern uns, sie früher verstanden zu haben; weil wir indessen mit dieser blinden Erkenntnis zufrieden sind und die Analyse der Begriffe nicht zur Genüge ausführen, so bleibt uns der Widerspruch verborgen, den der zusammengesetzte Begriff vielleicht enthält.
Zu dieser näheren Betrachtung veranlasste mich schon früher jener Beweis für das Dasein Gottes, der längst schon bei den Scholastikern berühmt war, von Descartes erneuert worden ist und also lautet: Was aus der Idee oder der Definition eines Dinges folgt, kann von dem Dinge ausgesagt werden. Das Dasein folgt aus der Idee Gottes (oder des vollkommensten Wesens, neben welchem man sich kein größeres vorstellen kann, denn das vollkommenste Wesen enthält alle Vollkommenheiten, zu denen auch das Dasein gehört), folglich kann das Dasein von Gott ausgesagt werden.
Dabei ist jedoch zu beachten, dass sich daraus nur ergibt: Wenn Gott möglich ist, so folgt, dass er existiert, denn man kann sich der Definitionen nur dann mit Sicherheit zu Schlussfolgerungen bedienen, wenn man zuvor weiß, dass sie Real-Definitionen sind oder keinen Widerspruch in sich schließen. Der Grund dafür liegt darin, dass aus Definitionen, die einen Widerspruch enthalten, gleichzeitig das Entgegengesetzte gefolgert werden kann, was widersinnig ist.
Zur Darlegung dessen pflege ich mich des Beispiels der schnellsten Bewegung zu bedienen, das einen Widersinn in sich schließt. Denn gesetzt, dass ein Rad sich mit der schnellsten Bewegung drehe, so wird sich doch bei Verlängerung einer Speiche des Rades diese an ihrem Endpunkte schneller bewegen als ein Nagel in der Radfelge. Die Bewegung des Nagels ist also der Voraussetzung entgegen nicht die schnellste.
Bei alledem aber scheint es beim ersten Anblick, als könnten wir die Idee der schnellsten Bewegung haben, denn wir verstehen durchaus, was wir sagen und doch haben wir keine Idee von unmöglichen Dingen. Gleicherweise reicht es nicht hin, wenn man sich das höchste Wesen vorstellt, um zu behaupten, dass man die Idee desselben habe, vielmehr muss bei dem oben erwähnten Beweise die Möglichkeit des vollkommensten Wesens entweder dargetan oder vorausgesetzt werden, damit der Schluss richtig sei.
Indessen ist nichts wahrer, als dass wir sowohl die Idee Gottes haben, wie dass das höchste Wesen möglich, ja notwendig ist; der Beweis enthält jedoch keinen vollständigen Schluss und ist daher schon von Thomas von Aquino verworfen worden.
Damit haben wir auch den Unterschied zwischen den Nominal-Definitionen, welche nur die Merkmale zur Unterscheidung der Sache von anderen enthalten, und den Real-Definitionen, aus denen sich die Möglichkeit der Sache ergibt, und auch Hobbes wird auf diese Weise Genüge getan.
Dieser wollte die Wahrheiten für willkürlich gelten lassen, da sie von Nominal-Definitionen abhingen, weil er nicht bedachte, dass die Wirklichkeit der Definition nicht von der Willkür abhängig ist und dass nicht alle beliebigen Begriffe miteinander verbunden werden können. Die Nominal-Definitionen genügen auch nicht zum vollkommenen Wissen, wenn nicht schon anderweitig feststeht, dass die definierte Sache möglich ist. Daraus erhellt auch endlich, welche Idee wahr und welche falsch ist. Eine Wahre ist sie, wenn der Begriff möglich ist, eine Falsche, wenn er einen Widerspruch enthält.
Die Möglichkeit eines Dinges aber lässt sich teils a priori, teils a posteriori erkennen, und zwar a priori, wenn man den Begriff in seine Bestimmungen oder in andere Begriffe auflöst, deren Möglichkeit bekannt ist und von denen man weiß, dass sie nichts einander Widersprechendes enthalten. Dies findet unter anderem dann statt, wenn man die Weise kennt, in der das Ding hervorgebracht werden kann, wobei besonders die Kausal-Definitionen von Nutzen sind. A posteriori dagegen wird die Möglichkeit eines Dinges erkannt, wenn man auf dem Wege der Erfahrung findet, dass das Ding tatsächlich besteht, denn das, was tatsächlich besteht, ist auf alle Fälle möglich. Sobald man eine angemessene Erkenntnis hat, hat man auch die Erkenntnis der Möglichkeit a priori, denn wenn bei völliger Durchführung der Analyse kein Widerspruch zutage tritt, so ist der Begriff unter allen Umständen möglich.
Ob aber von den Menschen jemals eine vollkommene Analyse der Begriffe ausgeführt werden kann oder ob der Mensch seine Vorstellungen auf die ersten Möglichkeiten und unauflösbaren Begriffe oder (was dasselbe ist) auf die unbedingten Eigenschaften Gottes, nämlich die ersten Ursachen und den letzten Grund der Dinge zurückführen könne, das wage ich für jetzt nicht zu entscheiden. Meistens ist man zufrieden, wenn man die Wirklichkeit gewisser Begriffe durch die Erfahrung kennengelernt hat, woraus man dann nach dem Beispiel der Natur andere bildet.
Hieraus wird man endlich meines Erachtens entnehmen können, dass man sich nicht immer mit Sicherheit auf die Ideen berufen kann und dass viele dies schöne Aushängeschild zur Begründung ihrer Erdichtungen missbrauchen, denn, wie ich oben an dem Beispiele mit der größten Geschwindigkeit gezeigt habe, man hat nicht sogleich die Ideen von der Sache, die man sich zu denken sich bewusst ist. Auch sehe ich, dass man zu unserer Zeit nicht minder mit dem vielgebrauchten Grundsatz Missbrauch treibt.
Was man klar und deutlich von einer Sache weiß, das ist wahr und kann von derselben ausgesagt werden; denn dem unbesonnenen urteilenden Menschen erscheint oft klar und deutlich, was dunkel und verworren ist. Daher ist dies Axiom nutzlos, wenn nicht die Kennzeichen des Klaren und des Deutlichen dabei benutzt werden und wenn nicht die Wahrheit der Ideen feststeht. Überdies sind als Kennzeichen der Wahrheit der Aussagen auch die Regeln der gewöhnlichen Logik nicht zu verachten, von denen auch die Geometer Gebrauch machen, so dass ihnen nämlich nichts für gewiss gilt, was nicht durch sorgfältige Prüfung oder sicheren Beweis dargetan worden ist.
Ein sicherer Beweis ist aber ein solcher, der die von der Logik vorgeschriebene Form hat, nicht etwa so, dass es dabei immer der schulmäßig geordneten Syllogismen bedürfte (wie Christian Herlin und Conrad Dasypodius sie zu den sechs ersten Büchern des Euklid geliefert haben), aber doch wenigstens so, dass die Begründung durch die Kraft der Form Schlusskraft gewinnt, wie man ja auch eine richtig durchgeführte Rechnung als Beispiel einer solchen Begründung in erforderter Form betrachten könnte. Daher darf kein notwendiger Vordersatz weggelassen werden und müssen alle Vordersätze entweder schon vorher bewiesen sein oder wenigstens als Hypothesen angenommen werden, in welchem Falle dann auch der Schluss nur ein hypothetischer ist.
Wer diese Vorschriften sorgfältig beachtet, wird sich leicht vor trügerischen Ideen schützen. Ganz in Übereinstimmung damit sagt der scharfsinnige Pascal in der berühmten Abhandlung über das mathematische Genie (von der sich ein Bruchstück in dem vortrefflichen Werke des berühmten Antoine Arnauld über die Kunst zu denken findet), es sei Pflicht des Mathematikers, alle einigermaßen dunklen Ausdrücke zu definieren und alle einigermaßen zweifelhaften Wahrheiten zu beweisen.
Doch wäre zu wünschen, dass er die Grenzen angegeben hätte, über die hinaus ein Begriff oder eine Aussage nicht weiter »einigermaßen« dunkel oder zweifelhaft ist. Indessen kann das Angemessene hier bei genauer Erwägung des Gesagten ermittelt werden, denn nun werden wir uns der Kürze befleißigen.
Was die Streitfrage anlangt, ob wir alles in Gott schauen (eine alte Anschauung, die, richtig verstanden, nicht gänzlich zu verwerfen ist) oder aber, ob wir auch eigene Ideen haben, so muss man wissen, dass wir, wenn wir auch alles in Gott schauten, doch auch eigene Ideen haben müssten, d. h. nicht gleichsam gewisse Bilderchen, sondern Erregungen oder Veränderungen unseres Geistes, die dem entsprächen, was wir in Gott wahrnehmen würden: Denn beim Eintritt anderer Vorstellungen vollzieht sich in unserem Geiste eine gewisse Veränderung, während die Ideen der nicht wirklich von uns vorgestellten Dinge in unserm Geiste ist wie die Gestalt des Herkules im rohen Marmorblocke.
In Gott muss aber notwendigerweise nicht bloß wirklich die Idee der unbedingten und unendlichen Ausdehnung, sondern auch die Idee jeder Gestalt bestehen, die ja nichts anderes ist als eine Modifikation der unbedingten Ausdehnung. Bei der Wahrnehmung von Farben oder Gerüchen haben wir übrigens keine andere Wahrnehmung als die von Figuren und Bewegungen, die jedoch so vielfältig und so klein sind, dass unser Geist in seinem gegenwärtigen Zustande nicht zur Betrachtung der einzelnen ausreicht und daher nicht inne wird, dass seine Wahrnehmung aus bloßen Wahrnehmungen kleinster Gestalten und Bewegungen zusammengesetzt ist, wie wir z.B. bei der Wahrnehmung der aus gelben und blauen Stäubchen zusammengemischten grünen Farbe nur Gelb und Blau in feinster Mischung wahrnehmen, wenn wir dessen auch nicht innewerden und uns vielmehr ein neues Ding vorstellen.