Gottfried Wilhelm Leibniz – In der Vernunft begründete Prinzipien der Natur und der Gnade

In der Vernunft begründete Prinzipien der Natur und der Gnade

Gottfried Wilhelm Leibniz

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Gottfried Wilhelm Leibniz galt als Universalgelehrter und betrachtete die Wissenschaft als eine Einheit. Seine Forschungen erstreckten sich über Bereiche der Mathematik, Sprachwissenschaft, Physik, Geschichtswissenschaft, Psychologie, Geometrie, Kombinatorik und einige weitere. Er soll sich einer Gesellschaft von Rosenkreuzern und Alchemisten angeschlossen haben, die den Stein der Weisen suchten. In diesem Text drückt er seine Meinung der Synthese zwischen Glaube und Vernunft aus.

1. Die Substanz ist ein Wesen, das die Fähigkeit zu handeln besitzt. Sie ist einfach oder zusammengesetzt. Die einfache Substanz ist die, welche keine Teile hat; die zusammengesetzte ist ein Gefüge aus den einfachen Substanzen oder Monaden. Monas ist ein griechisches Wort, das die Einheit oder das, was eines ist, bedeutet. Die zusammengesetzten Substanzen oder die Körper sind Vielheiten, die einfachen aber, die Lebenskräfte, die Seelen und die Geister, sind Einheiten. Auch muss es überall einfache Substanzen geben, weil es ohne die einfachen keine zusammengesetzten geben würde, und daher ist die ganze Natur voll von Leben.

2. Da die Monaden keine Teile haben, so können sie weder gebildet noch vernichtet werden. Sie können auf natürliche Weise weder beginnen noch enden und dauern folglich so lange wie das Universum, das zwar verändert, aber nicht zerstört werden wird. Sie können auch keine Gestalt haben, weil sie sonst Teile haben müssten. Und folglich kann eine Monade an sich und augenblicklich von einer andern nur durch die inneren Eigenschaften und Tätigkeiten unterschieden werden, die nichts anderes als ihre Vorstellungen (d. h. die im Einfachen enthaltenen Darstellungen des Zusammengesetzten oder Äußern) und ihre Begehrungstriebe (d. h. ihr Streben von einer Vorstellung zur andern) sein können; diese letzteren bilden das Prinzip der Veränderung. Denn die Einfachheit der Substanz verhindert durchaus nicht die Vielfältigkeit der Modifikationen derselben, die sich zusammen in dieser nämlichen einfachen Substanz befinden und in der Verschiedenheit der Beziehungen zu den Außendingen bestehen müssen. In ähnlicher Weise findet sich ja in einem Zentrum oder Punkte, so einfach er ist, eine unendliche Anzahl von Winkeln, die durch die in diesem Punkte zusammentreffenden Linien gebildet werden.

3. Alles in der Natur ist angefüllt. Es gibt einfache Substanzen, die durch eigene Tätigkeiten tatsächlich voneinander abgesondert sind und beständig ihre Beziehungen wechseln. Jede einfache Substanz oder Monade aber, die den Mittelpunkt einer zusammengesetzten Substanz (z. B. eines Tieres) und das Prinzip der Einzelheit derselben bildet, ist von einer Masse umgeben, welche aus einer unendlichen Anzahl anderer Monaden besteht, die den eigentlichen Körper jener Zentralmonade bilden, dessen Erregungen gemäß diese wie in einer Art von Mittelpunkt die Außendinge vorstellt. Dieser Körper ist organisch, wenn er eine Art von Automaten oder natürlicher Maschine bildet, die nicht nur im Ganzen, sondern auch in ihren kleinsten Teilen, welche noch wahrnehmbar sind, Maschine ist. Da aber infolge des Angefülltseins der Welt alles miteinander verknüpft ist und jeder Körper je nach der Entfernung mehr oder weniger auf jeden andern Körper einwirkt und durch Rückwirkung von jenem erregt wird, so erhellt, dass jede Monade ein lebender Spiegel oder mit einer inneren Tätigkeit begabt ist, die das Universum nach ihrem Gesichtspunkte darstellt und ebenso geregelt ist wie dieses selbst. Die Vorstellungen in der Monade aber entstehen eine aus der andern nach dem Gesetze der Begehrungstriebe oder der Endzwecke des Guten und des Bösen, welche in den wahrnehmbaren geregelten oder ungeregelten Vorstellungen bestehen, wie die Veränderungen der Körper und die äußeren Erscheinungen eine aus der andern nach den Gesetzen der bewirkenden Ursachen, d. h. der Bewegungen, entstehen. Daher besteht eine vollkommene Harmonie zwischen den Wahrnehmungen der Monade und den Bewegungen des Körpers, die von Anbeginn an zwischen dem Systeme der bewirkenden Ursachen und dem der Endzwecke festgestellt worden ist. Und eben darin besteht die Übereinstimmung und physische Verbindung der Seele und des Körpers, ohne dass das eine die Gesetze des andern zu ändern vermag.

4. Jede Monade mit einem besonderen Körper bildet eine lebende Substanz. Daher gibt es nicht bloß überall Lebendes, das mit Gliedern oder Organen versehen ist, sondern auch eine unendliche Anzahl von Abstufungen bei den Monaden, wobei die einen mehr oder weniger über die andern herrschen. Wenn aber die Monade Organe besitzt, die derart eingerichtet sind, dass mittelst ihrer die Eindrücke, die sie empfangen und folglich auch die Vorstellungen, durch welche sie wiedergegeben werden, Hervorstechendes und Deutliches enthalten (wie wenn z. B. mittelst der Gestalt der Feuchtigkeit des Auges die Lichtstrahlen konzentriert werden und mit größerer Kraft wirken), so kann diese Deutlichkeit bis zum Bewusstsein gehen, d. h. bis zu einer mit Erinnerungskraft verbundenen Vorstellung, einer Vorstellung nämlich, von der lange Zeit ein gewisser Nachhall bleibt, um sich bei Gelegenheit wieder vernehmlich zu machen. Ein solches Lebendes heißt Geschöpf und seine Monade eine Seele. Ist diese Seele bis zur Vernunft erhoben, so ist sie etwas Höheres und wird zu den Geistern gerechnet, wie ich sogleich auseinandersetzen werde. Allerdings befinden sich die Geschöpfe bisweilen im Zustande einfacher lebender Substanzen und ihre Seelen im Zustande einfacher Monaden, wenn nämlich ihre Vorstellungen nicht hinlänglich unterschieden sind, so dass man sich derselben erinnern könnte, wie es z. B. bei einem tiefen, traumfreien Schlafe oder einer Ohnmacht vorkommt. Die völlig verworren gewordenen Vorstellungen aber müssen sich aus Gründen, die ich sogleich anführen werde, bei den Geschöpfen wieder entwirren. Daher muss man zwischen der Vorstellung, welche der innere, die Außendinge darstellende Zustand der Monade ist, und der Anschauung unterscheiden, welche das Bewusstsein oder das auf diesen inneren Zustand bezügliche Wissen ist, welches weder allen Seelen noch derselben Seele immerwährend verliehen ist. Weil die Cartesianer diesen Unterschied nicht machten, fehlten sie, indem sie die Vorstellungen, welche man nicht wahrnimmt, für nichts rechneten, wie das Volk die nicht in die Sinne fallenden Körper für nichts rechnet. Das brachte auch die Cartesianer zu dem Glauben, dass nur die Geister Monaden seien und dass es keine Tierseelen und noch weniger andere Lebensprinzipien gäbe. Wie sie aber einerseits die allgemeine Ansicht all zu sehr vor den Kopf stießen, indem sie den Tieren die Empfindung absprachen, so bequemten sie sich andererseits allzusehr den Vorurteilen der Menge an, indem sie eine lange Betäubung, die einer großen Verworrenheit der Vorstellungen entspringt, mit dem eigentlichen Tode verwechselten, bei dem alles Vorstellen aufhören würde, was dann die unbegründete Ansicht von der Vernichtung gewisser Seelen und die gottlose Anschauung einiger angeblicher Freigeister, welche die Unsterblichkeit der menschlichen bestritten, befestigt hat.

5. In den Vorstellungen der Tiere besteht eine Verknüpfung, die einige Ähnlichkeit mit der Vernunft hat; dieselbe beruht jedoch einzig auf der Erinnerung an das Geschehene und nicht auf der Kenntnis der Ursachen. Daher flieht ein Hund den Stock, mit dem er geschlagen wurde, weil das Gedächtnis ihm den Schmerz vorstellt, den dieser Stock ihm verursacht hat. Auch die Menschen handeln, soweit sie blind der Erfahrung folgen, also bei drei Vierteln ihrer Handlungen, nur wie Tiere. So erwartet man z. B., dass es morgen Tag werden wird, weil man es immer durch die Erfahrung so erprobt hat. Nur der Astronom sieht es aus Gründen voraus, und sogar dieses Vorhersagen wird schließlich fehlschlagen, wenn die Ursache des Tages, die nicht ewig ist, aufhört. Der wahrhafte Vernunftgebrauch aber hängt von ewigen oder notwendigen Wahrheiten, wie denen der Logik, der Zahlenlehre, der Geometrie ab, welche die unzweifelhafte Verbindung der Begriffe und die untrüglichen Schlussfolgerungen bilden. Die Geschöpfe, bei denen sich diese Schlussfolgerungen nicht zeigen, heißen Tiere, während diejenigen, welche diese notwendigen Wahrheiten kennen, im eigentlichen Sinne vernünftige Geschöpfe und ihre Seelen Geister genannt werden. Diese Seelen haben die Fähigkeit, Akte der Selbstbetrachtung vorzunehmen und das, was man Ich, Substanz, Monade, Geist nennt, kurzum die Dinge und die geistigen Wahrheiten zu betrachten, und eben das macht uns für die Wissenschaften oder beweisbaren Kenntnisse geeignet.

6. Die Forschungen der Neuern, die auch mit der Vernunft übereinstimmen, haben uns gelehrt, dass die lebenden Wesen, deren Organe uns bekannt sind, d. h. die Pflanzen und die Tiere, nicht aus einer Fäulnis oder einem Chaos, wie die Alten glaubten, sondern aus vorhergebildetem Samen und folglich aus der Umbildung der vor ihnen da seienden lebenden Wesen entstehen. Im Samen der größeren Tiere finden sich kleinere, die vermittelst der Empfängnis eine neue Bekleidung annehmen, die sie sich zu eigen machen und die ihnen die Mittel gewährt, sich zu ernähren und zu vergrößern, um auf einen größeren Schauplatz überzugehen und die Fortpflanzung des großen Tieres zu bewirken. Die Seelen der menschlichen Samentierchen sind allerdings nicht von vornherein mit Vernunft begabt, sondern werden es erst, wenn die Empfängnis diese Tierchen zur menschlichen Natur bestimmt. Und wie nun die Geschöpfe überhaupt nicht völlig bei der Empfängnis oder Erzeugung entstehen, so gehen sie auch bei dem, was wir Tod nennen, nicht völlig unter, denn vernunftgemäß geht das, was nicht auf natürlichem Wege anfängt, auch nach der Ordnung der Natur nicht unter. Daher kehren die Geschöpfe beim Verlassen ihrer Maske oder Bekleidung nur auf einen kleineren Schauplatz zurück, wo sie indessen ebenso empfindlich und gut geregelt sein können wie auf dem größeren. Das hier von den größeren Tieren Gesagte gilt auch von der Erzeugung und dem Tode der kleineren Samentierchen, im Vergleich zu denen jene für groß gelten können, denn in der Natur geht alles ins Unendliche. Somit sind also nicht bloß die Seelen, sondern auch die Geschöpfe nicht erzeugbar und unvergänglich: sie werden nur entfaltet, eingefaltet, bekleidet, entkleidet, umgestaltet. Die Seelen lassen niemals ihren ganzen Körper fahren und gehen nie aus einem Körper in einen anderen, vollständig neuen, über. Es gibt also keine Seelenwanderung, wohl aber eine Umgestaltung. Die Geschöpfe tun nichts anderes, als dass sie Teile wechseln, annehmen und fahrenlassen, was bei der Ernährung allmählich und in kleinen, unmerklichen Teilen, dabei aber stetig, bei der Empfängnis oder dem Tode dagegen, welche die Aufnahme oder den Verlust mit einem Male bewirken, plötzlich und in beträchtlichem Maße, aber selten geschieht.

7. Bis hierher haben wir als einfache Physiker gesprochen, jetzt nun müssen wir uns zur Metaphysik erheben, indem wir uns des gemeiniglich wenig benutzten großen Prinzips bedienen, wonach nichts ohne zureichenden Grund geschieht, d. h. nichts eintritt, ohne dass der, welcher die Dinge hinlänglich kennt, einen Grund angeben könnte, welcher hinreicht, um darzulegen, warum es so und nicht anders ist. Nachdem dies Prinzip festgestellt ist, wird die erste mit Recht aufgeworfene Frage die sein: Warum gibt es eher Etwas als Nichts? Denn das Nichts ist einfacher und leichter als das Etwas. Ferner muss man, vorausgesetzt, dass Dinge existieren müssen, angeben können, warum sie so und nicht anders existieren müssen.

8. Dieser zureichende Grund für das Dasein des Universums kann nun aber nicht in der Reihe der zufälligen Dinge, d. h. der Körper und ihrer Darstellungen, in den Seelen gefunden werden, weil der Stoff an sich für die Bewegung und die Ruhe sowie für diese oder eine andere Bewegung gleichgültig ist und daher der Grund für die Bewegung und noch weniger für eine bestimmte Bewegung nicht in ihm gefunden werden kann. Und wenn auch die gegenwärtige Bewegung im Stoffe von der vorhergehenden und diese wieder von einer noch früheren abgeleitet wird, so kommt man, soweit man auch gehen mag, doch damit nicht vorwärts, denn die Frage bleibt immer dieselbe. Der zureichende Grund, der keines weitern Grundes bedarf, muss daher außerhalb dieser Reihe der zufälligen Dinge liegen und sich in einer Substanz finden, welche die Ursache der zufälligen Dinge oder ein notwendiges Wesen ist, das den Grund seines Daseins in sich selbst trägt: Andernfalls würde man noch immer keinen zureichenden Grund haben, bei dem man stehenbleiben könnte. Dieser letzte Grund der Dinge aber wird Gott genannt.

9. Diese ursprüngliche einfache Substanz muss die Vollkommenheit, welche sich in den abgeleiteten Substanzen, die Ausflüsse derselben ist, vorfinden, im höchsten Grade in sich schließen. Sie wird also die Macht, das Wissen und den Willen in höchster Vollkommenheit besitzen, d. h., sie wird allmächtig, allwissend und allgütig sein. Und da die Gerechtigkeit, allgemein genommen, nur die mit der Weisheit übereinstimmende Güte ist, so muss in Gott auch eine höchste Gerechtigkeit bestehen. Der Grund, welcher die Dinge durch ihn zum Dasein hat gelangen lassen, macht dieselben noch jetzt bei ihrem Sein und Wirken von ihm abhängig: Sie empfangen beständig von ihm das, was ihnen den Besitz einiger Vollkommenheit verleiht, was ihnen aber an Unvollkommenheit anhängt, kommt von der wesentlichen und ursprünglichen Beschränkung der Geschöpfe her.

10. Aus der höchsten Vollkommenheit Gottes folgt, dass er bei Hervorbringung des Universums den besten möglichen Plan gewählt hat, in welchem sich die größte Mannigfaltigkeit mit der größten Ordnung vereint, Ort, Raum und Zeit am besten ausgenutzt, die größte Wirkung auf den einfachsten Wegen hervorgebracht und bei den Geschöpfen die meiste Macht, das meiste Wissen, das meiste Glück und die meiste Güte findet, welche das Universum fassen konnte. Denn da im Verstande Gottes alle Möglichkeiten nach Maßgabe ihrer Vollkommenheit nach dem Dasein streben, so muss die bestehende Welt als das Ergebnis aller dieser Bestrebungen die vollkommenste sein, welche möglich ist. Auch würde man ohne dies nicht begründen können, warum die Dinge gerade so gemacht worden sind und nicht anders.

11. Namentlich hat die höchste Weisheit Gottes ihn zur Erwählung der Gesetze der Bewegung veranlasst, die am besten eingerichtet und den abstrakten oder metaphysischen Gründen am meisten angemessen sind. Es erhält sich danach die nämliche Menge der gesamten und unbedingten Kraft oder der Wirksamkeit, die nämliche Menge der bezüglichen Kraft oder der Rückwirksamkeit und endlich die nämliche Menge der richtenden Kraft. Ferner ist die Wirksamkeit immer gleich der Rückwirksamkeit und die Gesamtwirkung immer ihrer Gesamtursache gleichwertig. Es ist auffallend, dass man aus der bloßen Betrachtung der bewirkenden Ursachen oder des Stoffs diese Gesetze, die erst in unserer Zeit entdeckt sind und von denen ein Teil von mir selbst aufgefunden ist, nicht zu begründen vermag. Ich habe nämlich gefunden, dass man die Endzwecke zu Hilfe nehmen muss und dass diese Gesetze nicht wie die logischen, arithmetischen und geometrischen Wahrheiten vom Prinzipe der Notwendigkeit, sondern vom Prinzipe der Angemessenheit, d. h. von der Wahl der Weisheit, abhängen. Für diejenigen, welche tiefer in die Dinge einzudringen vermögen, ist dies einer der stärksten und eindringlichsten Beweise für das Dasein Gottes.

12. Ferner folgt aus der Vollkommenheit des höchsten Urhebers, dass nicht bloß die Ordnung des gesamten Universums die möglichst vollkommenste ist, sondern dass auch jeder das Universum seinem Gesichtspunkte gemäß darstellende lebende Spiegel, d. h. jede Monade, jedes substantielle Zentrum, so wohlgeregelte Vorstellungen und Triebe haben muss, wie nur irgend mit all den übrigen Dingen verträglich ist. Daraus folgt dann auch, dass die Seelen, d. h. die herrschenden Monaden oder vielmehr die Geschöpfe, aus dem Zustande der Betäubung, in welchen der Tod oder irgendein anderer Zufall sie versetzen kann, wieder erwachen müssen.

13. In den Dingen ist nämlich alles ein für allemal mit so viel Ordnung und Übereinstimmung geregelt, als möglich ist, da die höchste Weisheit und Güte nur mit vollkommener Harmonie handeln kann. Die Gegenwart geht mit der Zukunft schwanger: man könnte das Kommende im Vergangenen lesen, und das Entfernte ist im Nahen abgespiegelt. In jeder Seele könnte man die Schönheit des Universums erkennen, wenn man alle ihre Falten, die sich nur mit der Zeit erkennbar auftun, auseinanderzubreiten vermöchte. Da aber jede deutliche Vorstellung der Seele eine unendliche Anzahl von verworrenen Vorstellungen in sich fasst, die das ganze Universum in sich schließen, so kennt die Seele selbst die Dinge, von denen sie Vorstellungen hat, nur so weit, als ihre Vorstellungen deutlich und höheren Grades sind, und ihre Vollkommenheit steht im Verhältnis zu ihren deutlichen Vorstellungen. Jede Seele kennt das Unendliche, kennt alles, aber verworren. Wie ich, wenn ich mich am Ufer des Meeres ergehe und das laute Brausen desselben vernehme, die besonderen Töne jeder einzelnen Woge höre, aus denen das Gesamtgeräusch zusammengesetzt ist, ohne dass ich jedoch diese Töne voneinander unterscheide, so sind unsere verworrenen Vorstellungen das Ergebnis der Eindrücke, welche das gesamte Universum auf uns macht. Ganz das nämliche ist bei jeder Monade der Fall. Nur Gott allein hat eine deutliche Kenntnis von allem, denn er ist die Quelle von allem. Sehr treffend hat man von ihm gesagt, er sei der allgegenwärtige Mittelpunkt, seine Peripherie aber sei nirgends, weil alles ihm ohne jede Entfernung von diesem Mittelpunkte unmittelbar gegenwärtig ist.

14. Was die vernünftige Seele oder den Geist betrifft, so liegt in diesem etwas mehr als in den Monaden oder selbst in den einfachen Seelen. Er ist nicht nur ein Spiegel des Universums der erschaffenen Dinge, sondern auch ein Bild der Gottheit. Der Geist hat nicht bloß eine Vorstellung von den Werken Gottes, sondern er ist sogar imstande, etwas hervorzubringen, das ihnen, wenn auch nur im Kleinen, gleicht. Denn abgesehen von den Wundern des Traums, wo wir ohne Mühe, und ohne es sogar zu wollen, Dinge erfinden, über die man im Wachen, um sie zu finden, lange hätte nachdenken müssen, verhält unsere Seele sich auch bei den freiwilligen Handlungen bildend, und indem sie die Wissenschaften entdeckt, denen gemäß Gott die Dinge geregelt hat, ahmt sie pondere, mensura, numero in ihrem Bereiche und in ihrer kleinen Welt, in der ihr die Ausübung ihrer Fähigkeiten gestattet ist, das nach, was Gott in der großen schafft.

15. Deshalb sind alle Geister, seien es Menschen oder Genien, indem sie vermöge der Vernunft und der ewigen Wahrheiten mit Gott in eine Art Gemeinschaft treten, Glieder des Gottesstaates, d. h. des vollkommensten, vom größten und besten aller Monarchen gebildeten und regierten Staates, wo es keine Verbrechen ohne Strafe, keine gute Handlung ohne angemessene Belohnung und endlich so viel Tugend und Glück als möglich gibt, und zwar nicht durch eine Störung der Natur, als ob das, was Gott den Seelen bereitet, die Gesetze der Körper störte, sondern gerade durch die Ordnung der natürlichen Dinge kraft der von Ewigkeit her zwischen den Reichen der Natur und der Gnade, zwischen Gott dem Bildner und Gott dem Herrscher vorherbestimmten Harmonie, so dass die Natur zur Gnade führt und die Gnade die Natur vervollkommnet, indem sie sich derselben bedient.

16. Wenn daher auch die Vernunft uns nicht das der Offenbarung vorbehaltene Einzelne der großen Zukunft lehren kann, so dürfen wir doch vermöge eben dieser Vernunft überzeugt sein, dass die Dinge in einer Weise eingerichtet sind, die unsere Wünsche übertrifft. Da ferner Gott die vollkommenste und glücklichste und folglich auch die der Liebe würdigste Substanz ist, und da die wahrhafte reine Liebe in dem Zustande besteht, in welchem wir an der Vollkommenheit und dem Glücke des Geliebten Vergnügen finden, so muss diese Liebe, sobald Gott der Gegenstand derselben ist, uns die größte Lust gewähren, deren wir überhaupt fähig sind.

17. Und es ist leicht, Gott gehöriger Massen zu lieben, wenn man ihn als den kennt, als welchen ich ihn eben dargestellt habe. Denn wenn er auch nicht für unsere äußern Sinne wahrnehmbar ist, so ist er dessen ungeachtet doch äußerst liebenswürdig und gewährt ein sehr großes Vergnügen. Wir sehen ja auch, wie die Ehrenbezeigungen den Menschen Vergnügen machen, obgleich sie keine sinnlich wahrnehmbare Beschaffenheit haben. Die Märtyrer und die Fanatiker zeigen, obgleich die Liebe dieser letzteren übel geregelt ist, was die geistige Lust vermag, und noch mehr: selbst die sinnliche Lust lässt sich auf eine geistige, aber nur verworren erkannte Lust zurückführen. Die Musik ergötzt uns, obgleich ihre Schönheit nur in der Übereinstimmung der Klänge und in der Berechnung der Erschütterungen oder Schwingungen der in bestimmten Zwischenräumen aufeinander treffenden tönenden Körper besteht, von welcher Berechnung wir zwar nichts gewahr werden, die aber die Seele dennoch vornimmt. Das Vergnügen, welches der Blick an den richtigen Verhältnissen findet, ist von derselben Art, und die Lust, welche die übrigen Sinne verursachen, wird sich auf etwas Ähnliches zurückführen lassen, wenn man es auch nicht so deutlich auseinanderzusetzen vermag.

18. Man darf sogar behaupten, dass die Liebe Gottes uns schon jetzt einen Vorgeschmack der künftigen Glückseligkeit gewährt. Und obgleich sie uneigennützig ist, bewirkt sie doch von selbst unser größtes Wohl und unsern größten Vorteil, selbst wenn man ihn gar nicht darin suchte, und nur die Lust, die sie gewährt, in Betracht zöge, ohne den Nutzen zu beachten, den sie bringt. Sie verleiht uns nämlich ein vollkommenes Vertrauen auf die Güte unseres Herrn und Schöpfers, ein Vertrauen, das eine wahrhafte Ruhe des Geistes erzeugt, und zwar nicht wie bei den Stoikern, die sich gewaltsam in Geduld fassen, sondern vermöge einer gegenwärtigen Zufriedenheit, die uns sogar noch ein kommendes Glück sichert. Aber auch von der gegenwärtigen Lust abgesehen, kann nichts für die Zukunft nützlicher sein, denn die Liebe Gottes erfüllt auch unsere Hoffnungen und leitet uns auf den Weg zum höchsten Glück, weil infolge der vollkommenen Ordnung im Universum alles auf das möglichst Beste eingerichtet ist, sowohl für das allgemeine wie für das besondere Wohl derer, die davon überzeugt und mit der göttlichen Regierung zufrieden sind, was bei denen nicht fehlen kann, welche die Quelle alles Guten zu lieben wissen. Allerdings wird die höchste Glückseligkeit, von welcher seligmachenden Anschauung oder Erkenntnis Gottes sie auch begleitet sei, niemals eine völlige sein, denn da Gott unendlich ist, kann er niemals völlig erkannt werden. Daher wird und darf unser Glück niemals in einem vollen Genuss, bei dem nichts zu wünschen übrigbliebe und der unsern Geist abstumpfen würde, sondern es wird in einem beständigen Fortschritt zu neuen Freuden und zur neuen Vollkommenheit bestehen.