Lebenslied
Raimundus Lullus (Ramon Llull)
Ich lebe, um in Gott zu gründen,
doch fiel ich tief in schwere Sünden.
Vom Zorne Gottes müsst‘ ich künden,
wenn mir nicht Christus, unser Herr,
an seinem Kreuz erschienen wär‘,
um Gottes Lieb‘ in mir zu zünden.
Ich betete: »Mein Gott, verzeihe!«,
lebt‘ viele Jahre tief in Reue,
da schenkte mir der Herr aufs Neue
die Hoffnung, dass mich Lieb‘ befreie
zu gutem Werk, in Gott getan,
so nahm er sich des Sünders an.
Im Kloster dann zu Miramar
studierte Franziskanerschar,
die zur Mission erkoren war.
Dort nahm die Liebe mich gefangen
zum Herrn: ich weinte vor Verlangen,
wo Stab und Rebe sich umschlangen.
Ich wünschte sehr, dass sich erweist,
wie Vater, Sohn und Heil’ger Geist
nicht Gott als EINEN teilt, zerreißt.
Und dass der Sohn, wie ihr wohl wisst,
aus reiner Magd geboren ist
als Gott und Mensch: als Jesus Christ.
Die Welt, die Jesus schuf aus Huld,
sie war verloren durch eigne Schuld.
Da stieg von seinem Himmelsthron
zu ihr herab der Gottessohn,
und starb für sie. Dass uns verschon‘
am jüngsten Tag des Herrn Geduld!
Ich fand und schrieb ein neues Wissen,
dass niemand müsst‘ die Wahrheit missen
und aller Irrtum werd‘ zerrissen.
Die Mauren soll es überzeugen,
Tatar und Jude sich ihm beugen;
im Christen weckt es das Gewissen.
Lob, Preis und Ehr‘ dem Höchsten Herrn!
Mein Lieben send‘ ich ihm von fern,
in seinem Glanze lebt‘ ich gern,
wär‘ ich nicht, ach, ein Sünder nur;
doch schritt ich freudig durch die Flur
als mancher Bücher Troubadour.
Nun bin ich arm, verachtet, alt,
die Menschen gehen vorüber kalt,
ich finde nirgends Hilf‘ noch Halt.
Ich suchte Großes in der Welt
und schuf ein Werk, das Gott gefällt;
jetzt ist mein Ruf verweht, verhallt.
Nun lass mich sterben, Herr, im Meer
der Liebe, das so groß und hehr,
dass Fürst und Pfaff mir nimmermehr
verwehren kann den Tod zur Ehr‘,
zum Preise deiner Herrlichkeit:
Ich bin nicht würdig, doch bereit!