Faust
Johann Wolfgang von Goethe
Eine Tragödie.
Erster Teil
Zueignung.
Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten,
Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt.
Versuch’ ich wohl euch dießmal fest zu halten?
Fühl’ ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt?
Ihr drängt euch zu! nun gut, so mögt ihr walten,
Wie ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt;
Mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert
Vom Zauberhauch, der euren Zug umwittert.
Ihr bringt mit euch die Bilder froher Tage,
Und manche liebe Schatten steigen auf;
Gleich einer alten halbverklungnen Sage
Kommt erste Lieb’ und Freundschaft mit herauf;
Der Schmerz wird neu, es wiederholt die Klage
Des Lebens labyrinthisch irren Lauf,
Und nennt die Guten, die, um schöne Stunden
Vom Glück getäuscht, vor mir hinweggeschwunden.
Sie hören nicht die folgenden Gesänge,
Die Seelen, denen ich die ersten sang;
Zerstoben ist das freundliche Gedränge,
Verklungen ach! der erste Widerklang.
Goethe: “Faust”
Mein Leid ertönt der unbekannten Menge,
Ihr Beifall selbst macht meinem Herzen bang,
Und was sich sonst an meinem Lied erfreuet,
Wenn es noch lebt, irrt in der Welt zerstreuet.
Und mich ergreift ein längst entwöhntes Sehnen
Nach jenem stillen ernsten Geisterreich,
Es schwebet nun in unbestimmten Tönen
Mein lispelnd Lied, der Äolsharfe gleich,
Ein Schauer faßt mich, Thräne folgt den Thränen,
Das strenge Herz es fühlt sich mild und weich;
Was ich besitze seh’ ich wie im Weiten,
Und was verschwand wird mir zu Wirklichkeiten.
Vorspiel auf dem Theater.
Director, Theaterdichter, lustige Person.
Director.
Ihr beiden, die ihr mir so oft,
In Noth und Trübsal, beigestanden,
Sagt was ihr wohl in deutschen Landen
Von unsrer Unternehmung hofft?
Ich wünschte sehr der Menge zu behagen,
Besonders weil sie lebt und leben läßt.
Die Pfosten sind, die Breter aufgeschlagen,
Und jedermann erwartet sich ein Fest.
Sie sitzen schon mit hohen Augenbraunen
Gelassen da und möchten gern erstaunen.
Ich weiß wie man den Geist des Volks versöhnt;
Doch so verlegen bin ich nie gewesen;
Zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt,
Allein sie haben schrecklich viel gelesen.
Wie machen wir’s, daß alles frisch und neu
Und mit Bedeutung auch gefällig sei?
Denn freilich mag ich gern die Menge sehen,
Wenn sich der Strom nach unsrer Bude drängt,
Goethe: “Faust”
Und mit gewaltig wiederholten Wehen
Sich durch die enge Gnadenpforte zwängt,
Bei hellem Tage, schon vor Vieren,
Mit Stößen sich bis an die Casse ficht
Und, wie in Hungersnoth um Brot an Bäckerthüren,
Um ein Billet sich fast die Hälse bricht.
Dieß Wunder wirkt auf so verschiedne Leute
Der Dichter nur; mein Freund, o! thu’ es heute!
Dichter.
O sprich mir nicht von jener bunten Menge,
Bei deren Anblick uns der Geist entflieht.
Verhülle mir das wogende Gedränge,
Das wider Willen uns zum Strudel zieht.
Nein, führe mich zur stillen Himmelsenge,
Wo nur dem Dichter reine Freude blüht;
Wo Lieb’ und Freundschaft unsres Herzens Segen
Mit Götterhand erschaffen und erpflegen.
Ach! was in tiefer Brust uns da entsprungen,
Was sich die Lippe schüchtern vorgelallt,
Mißrathen jetzt und jetzt vielleicht gelungen,
Verschlingt des wilden Augenblicks Gewalt.
Oft wenn es erst durch Jahre durchgedrungen
Erscheint es in vollendeter Gestalt.
Was glänzt ist für den Augenblick geboren;
Das Echte bleibt der Nachwelt unverloren.
Lustige Person.
Wenn ich nur nichts von Nachwelt hören sollte;
Gesetzt daß ich von Nachwelt reden wollte,
Wer machte denn der Mitwelt Spaß?
Den will sie doch und soll ihn haben.
Die Gegenwart von einem braven Knaben
Ist, dächt’ ich, immer auch schon was.
Wer sich behaglich mitzutheilen weiß,
Goethe: “Faust”
Den wird des Volkes Laune nicht erbittern;
Er wünscht sich einen großen Kreis,
Um ihn gewisser zu erschüttern.
Drum seid nur brav und zeigt euch musterhaft,
Laßt Phantasie, mit allen ihren Chören,
Vernunft, Verstand, Empfindung, Leidenschaft,
Doch, merkt euch wohl! nicht ohne Narrheit hören.
Director.
Besonders aber laßt genug geschehn!
Man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn.
Wird vieles vor den Augen abgesponnen,
So daß die Menge staunend gaffen kann,
Da habt ihr in der Breite gleich gewonnen,
Ihr seid ein vielgeliebter Mann.
Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen,
Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.
Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;
Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.
Gebt ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken!
Solch ein Ragout es muß euch glücken;
Leicht ist es vorgelegt, so leicht als ausgedacht.
Was hilft’s, wenn ihr ein Ganzes dargebracht,
Das Publicum wird es euch doch zerpflücken.
Dichter.
Ihr fühlet nicht, wie schlecht ein solches Handwerk sei!
Wie wenig das dem echten Künstler zieme!
Der saubern Herren Pfuscherei
Ist, merk’ ich, schon bei euch Maxime.
Director.
Ein solcher Vorwurf läßt mich ungekränkt:
Ein Mann, der recht zu wirken denkt,
Muß auf das beste Werkzeug halten.
Bedenkt, ihr habet weiches Holz zu spalten,
Und seht nur hin für wen ihr schreibt!
Wenn diesen Langeweile treibt,
Kommt jener satt vom übertischten Mahle,
Goethe: “Faust”
Und, was das allerschlimmste bleibt,
Gar mancher kommt vom Lesen der Journale.
Man eilt zerstreut zu uns, wie zu den Maskenfesten,
Und Neugier nur beflügelt jeden Schritt;
Die Damen geben sich und ihren Putz zum Besten
Und spielen ohne Gage mit.
Was träumet ihr auf eurer Dichter-Höhe?
Was macht ein volles Haus euch froh?
Beseht die Gönner in der Nähe!
Halb sind sie kalt, halb sind sie roh.
Der, nach dem Schauspiel, hofft ein Kartenspiel,
Der eine wilde Nacht an einer Dirne Busen.
Was plagt ihr armen Thoren viel,
Zu solchem Zweck, die holden Musen?
Ich sag’ euch, gebt nur mehr, und immer, immer mehr,
So könnt ihr euch vom Ziele nie verirren,
Sucht nur die Menschen zu verwirren,
Sie zu befriedigen ist schwer — —
Was fällt euch an? Entzückung oder Schmerzen?
Dichter.
Geh hin und such’ dir einen andern Knecht!
Der Dichter sollte wohl das höchste Recht,
Das Menschenrecht, das ihm Natur vergönnt,
Um deinetwillen freventlich verscherzen!
Wodurch bewegt er alle Herzen?
Wodurch besiegt er jedes Element?
Ist es der Einklang nicht, der aus dem Busen dringt,
Und in sein Herz die Welt zurücke schlingt?
Wenn die Natur des Fadens ew’ge Länge,
Gleichgültig drehend, auf die Spindel zwingt,
Wenn aller Wesen unharmon’sche Menge
Verdrießlich durch einander klingt;
Wer theilt die fließend immer gleiche Reihe
Belebend ab, daß sie sich rhythmisch regt?
Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe,
Wo es in herrlichen Accorden schlägt?
Wer läßt den Sturm zu Leidenschaften wüthen?
Das Abendroth im ernsten Sinne glühn?
Wer schüttet alle schönen Frühlingsblüthen
Auf der Geliebten Pfade hin?
Wer flicht die unbedeutend grünen Blätter
Goethe: “Faust”
Zum Ehrenkranz Verdiensten jeder Art?
Wer sichert den Olymp, vereinet Götter?
Des Menschen Kraft im Dichter offenbart.
Lustige Person.
So braucht sie denn die schönen Kräfte
Und treibt die dichtrischen Geschäfte,
Wie man ein Liebesabenteuer treibt.
Zufällig naht man sich, man fühlt, man bleibt
Und nach und nach wird man verflochten;
Es wächs’t das Glück, dann wird es angefochten,
Man ist entzückt, nun kommt der Schmerz heran,
Und eh’ man sich’s versieht, ist’s eben ein Roman.
Laßt uns auch so ein Schauspiel geben!
Greift nur hinein in’s volle Menschenleben!
Ein jeder lebt’s, nicht vielen ist’s bekannt,
Und wo ihr’s packt, da ist’s interessant.
In bunten Bildern wenig Klarheit,
Viel Irrthum und ein Fünkchen Wahrheit,
So wird der beste Trank gebraut,
Der alle Welt erquickt und auferbaut.
Dann sammelt sich der Jugend schönste Blüthe
Vor eurem Spiel und lauscht der Offenbarung,
Dann sauget jedes zärtliche Gemüthe
Aus eurem Werk sich melanchol’sche Nahrung,
Dann wird bald dieß bald jenes aufgeregt,
Ein jeder sieht was er im Herzen trägt.
Noch sind sie gleich bereit zu weinen und zu lachen,
Sie ehren noch den Schwung, erfreuen sich am Schein;
Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen;
Ein Werdender wird immer dankbar sein.
Dichter.
So gib mir auch die Zeiten wieder,
Da ich noch selbst im Werden war,
Da sich ein Quell gedrängter Lieder
Ununterbrochen neu gebar,
Da Nebel mir die Welt verhüllten,
Die Knospe Wunder noch versprach,
Da ich die tausend Blumen brach,
Goethe: “Faust”
Die alle Thäler reichlich füllten.
Ich hatte nichts und doch genug,
Den Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug.
Gib ungebändigt jene Triebe,
Das tiefe schmerzenvolle Glück,
Des Hasses Kraft, die Macht der Liebe,
Gib meine Jugend mir zurück!
Lustige Person.
Der Jugend, guter Freund, bedarfst du allenfalls,
Wenn dich in Schlachten Feinde drängen,
Wenn mit Gewalt an deinen Hals
Sich allerliebste Mädchen hängen,
Wenn fern des schnellen Laufes Kranz
Vom schwer erreichten Ziele winket,
Wenn nach dem heft’gen Wirbeltanz
Die Nächte schmausend man vertrinket.
Doch in’s bekannte Saitenspiel
Mit Muth und Anmuth einzugreifen,
Nach einem selbstgesteckten Ziel
Mit holdem Irren hinzuschweifen,
Das, alte Herrn, ist eure Pflicht,
Und wir verehren euch darum nicht minder.
Das Alter macht nicht kindisch, wie man spricht,
Es findet uns nur noch als wahre Kinder.
Director.
Der Worte sind genug gewechselt,
Laßt mich auch endlich Thaten sehn;
Indeß ihr Complimente drechselt,
Kann etwas Nützliches geschehn.
Was hilft es viel von Stimmung reden?
Dem Zaudernden erscheint sie nie.
Gebt ihr euch einmal für Poeten,
So commandirt die Poesie.
Euch ist bekannt, was wir bedürfen,
Wir wollen stark Getränke schlürfen;
Goethe: “Faust”
Nun braut mir unverzüglich dran!
Was heute nicht geschieht, ist morgen nicht gethan,
Und keinen Tag soll man verpassen,
Das Mögliche soll der Entschluß
Beherzt sogleich bei’m Schopfe fassen,
Er will es dann nicht fahren lassen,
Und wirket weiter, weil er muß.
Ihr wißt auf unsern deutschen Bühnen
Probirt ein jeder was er mag;
Drum schonet mir an diesem Tag
Prospecte nicht und nicht Maschinen.
Gebraucht das groß’ und kleine Himmelslicht,
Die Sterne dürfet ihr verschwenden;
An Wasser, Feuer, Felsenwänden,
An Thier und Vögeln fehlt es nicht.
So schreitet in dem engen Breterhaus
Den ganzen Kreis der Schöpfung aus,
Und wandelt mit bedächt’ger Schnelle
Vom Himmel durch die Welt zur Hölle.
[Haupttext]
Prolog im Himmel.
Der Herr, die himmlischen Heerschaaren, nachher Mephistopheles.
Die drei Erzengel treten vor.
Raphael.
Die Sonne tönt nach alter Weise
Goethe: “Faust”
In Brudersphären Wettgesang,
Und ihre vorgeschriebne Reise
Vollendet sie mit Donnergang.
Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke,
Wenn keiner sie ergründen mag;
Die unbegreiflich hohen Werke
Sind herrlich wie am ersten Tag.
Gabriel.
Und schnell und unbegreiflich schnelle
Dreht sich umher der Erde Pracht;
Es wechselt Paradieses-Helle
Mit tiefer schauervoller Nacht;
Es schäumt das Meer in breiten Flüssen
Am tiefen Grund der Felsen auf,
Und Fels und Meer wird fortgerissen
In ewig schnellem Sphärenlauf.
Michael.
Und Stürme brausen um die Wette,
Vom Meer auf’s Land, vom Land auf’s Meer,
Und bilden wüthend eine Kette
Der tiefsten Wirkung rings umher.
Da flammt ein blitzendes Verheeren
Dem Pfade vor des Donnerschlags;
Doch deine Boten, Herr, verehren
Das sanfte Wandeln deines Tags.
Zu Drei.
Der Anblick gibt den Engeln Stärke
Da keiner dich ergründen mag,
Und alle deine hohen Werke
Sind herrlich wie am ersten Tag.
Mephistopheles.
Da du, o Herr, dich einmal wieder nahst
Und fragst wie alles sich bei uns befinde,
Und du mich sonst gewöhnlich gerne sahst,
Goethe: “Faust”
So siehst du mich auch unter dem Gesinde.
Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen,
Und wenn mich auch der ganze Kreis verhöhnt;
Mein Pathos brächte dich gewiß zum Lachen,
Hätt’st du dir nicht das Lachen abgewöhnt.
Von Sonn- und Welten weiß ich nichts zu sagen,
Ich sehe nur wie sich die Menschen plagen.
Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem Schlag,
Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag.
Ein wenig besser würd’ er leben,
Hätt’st du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben;
Er nennt’s Vernunft und braucht’s allein,
Nur thierischer als jedes Thier zu sein.
Er scheint mir, mit Verlaub von Ew. Gnaden,
Wie eine der langbeinigen Cicaden,
Die immer fliegt und fliegend springt
Und gleich im Gras ihr altes Liedchen singt;
Und läg’ er nur noch immer in dem Grase!
In jeden Quark begräbt er seine Nase.
Der Herr.
Hast du mir weiter nichts zu sagen?
Kommst du nur immer anzuklagen?
Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?
Mephistopheles.
Nein Herr! ich find’ es dort, wie immer, herzlich schlecht.
Die Menschen dauern mich in ihren Jammertagen,
Ich mag sogar die armen selbst nicht plagen.
Der Herr.
Kennst du den Faust?
Mephistopheles.
Den Doctor?
Goethe: “Faust”
Der Herr.
Meinen Knecht!
Mephistopheles.
Fürwahr! er dient euch auf besondre Weise.
Nicht irdisch ist des Thoren Trank noch Speise.
Ihn treibt die Gährung in die Ferne,
Er ist sich seiner Tollheit halb bewußt;
Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne,
Und von der Erde jede höchste Lust,
Und alle Näh und alle Ferne
Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust.
Der Herr.
Wenn er mir jetzt auch nur verworren dient,
So werd’ ich ihn bald in die Klarheit führen.
Weiß doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt,
Daß Blüth’ und Frucht die künft’gen Jahre zieren.
Mephistopheles.
Was wettet ihr? den sollt ihr noch verlieren,
Wenn ihr mir die Erlaubniß gebt
Ihn meine Straße sacht zu führen!
Der Herr.
So lang er auf der Erde lebt,
So lange sei dir’s nicht verboten.
Es irrt der Mensch so lang er strebt.
Mephistopheles.
Da dank’ ich euch; denn mit den Todten
Hab’ ich mich niemals gern befangen.
Am meisten lieb’ ich mir die vollen frischen Wangen.
Für einen Leichnam bin ich nicht zu Haus;
Mir geht es wie der Katze mit der Maus.
Goethe: “Faust”
Der Herr.
Nun gut, es sei dir überlassen!
Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab,
Und führ’ ihn, kannst du ihn erfassen,
Auf deinem Wege mit herab,
Und steh beschämt, wenn du bekennen mußt:
Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange
Ist sich des rechten Weges wohl bewußt.
Mephistopheles.
Schon gut! nur dauert es nicht lange.
Mir ist für meine Wette gar nicht bange.
Wenn ich zu meinem Zweck gelange,
Erlaubt ihr mir Triumph aus voller Brust.
Staub soll er fressen, und mit Lust,
Wie meine Muhme, die berühmte Schlange.
Der Herr.
Du darfst auch da nur frei erscheinen;
Ich habe Deinesgleichen nie gehaßt.
Von allen Geistern die verneinen
Ist mir der Schalk am wenigsten zur Last.
Des Menschen Thätigkeit kann allzuleicht erschlaffen,
Er liebt sich bald die unbedingte Ruh;
Drum geb’ ich gern ihm den Gesellen zu,
Der reizt und wirkt und muß als Teufel schaffen.
Doch ihr, die echten Göttersöhne,
Erfreut euch der lebendig reichen Schöne!
Das Werdende, das ewig wirkt und lebt,
Umfass’ euch mit der Liebe holden Schranken,
Und was in schwankender Erscheinung schwebt,
Befestiget mit dauernden Gedanken.
Der Himmel schließt, die Erzengel vertheilen sich.
Mephistopheles
allein.
Goethe: “Faust”
Von Zeit zu Zeit seh’ ich den Alten gern,
Und hüte mich mit ihm zu brechen.
Es ist gar hübsch von einem großen Herrn,
So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.
Der Tragödie Erster Theil.
Nacht.
In einem hochgewölbten engen gothischen Zimmer Faust unruhig auf seinem Sessel am Pulte.
Faust.
Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medicin,
Und leider auch Theologie!
Durchaus studirt, mit heißem Bemühn.
Da steh’ ich nun, ich armer Thor!
Und bin so klug als wie zuvor;
Heiße Magister, heiße Doctor gar,
Und ziehe schon an die zehen Jahr,
Herauf, herab und quer und krumm,
Meine Schüler an der Nase herum —
Und sehe, daß wir nichts wissen können!
Das will mir schier das Herz verbrennen.
Zwar bin ich gescheidter als alle die Laffen,
Doctoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;
Mich plagen keine Scrupel noch Zweifel,
Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel —
Dafür ist mir auch alle Freud’ entrissen,
Bilde mir nicht ein was Rechts zu wissen,
Bilde mir nicht ein ich könnte was lehren
Die Menschen zu bessern und zu bekehren.
Goethe: “Faust”
Auch hab’ ich weder Gut noch Geld,
Noch Ehr’ und Herrlichkeit der Welt;
Es möchte kein Hund so länger leben!
Drum hab’ ich mich der Magie ergeben,
Ob mir durch Geistes Kraft und Mund
Nicht manch Geheimniß würde kund;
Daß ich nicht mehr, mit sauerm Schweiß,
Zu sagen brauche was ich nicht weiß;
Daß ich erkenne was die Welt
Im Innersten zusammenhält,
Schau’ alle Wirkenskraft und Samen,
Und thu’ nicht mehr in Worten kramen.
O sähst du, voller Mondenschein,
Zum letztenmal auf meine Pein,
Den ich so manche Mitternacht
An diesem Pult herangewacht:
Dann, über Büchern und Papier,
Trübsel’ger Freund, erschienst du mir!
Ach! könnt’ ich doch auf Berges-Höhn
In deinem lieben Lichte gehn,
Um Bergeshöhle mit Geistern schweben,
Auf Wiesen in deinem Dämmer weben,
Von allem Wissensqualm entladen
In deinem Thau gesund mich baden!
Weh! steck’ ich in dem Kerker noch?
Verfluchtes dumpfes Mauerloch,
Wo selbst das liebe Himmelslicht
Trüb durch gemahlte Scheiben bricht!
Beschränkt von diesem Bücherhauf,
Den Würme nagen, Staub bedeckt,
Den, bis an’s hohe Gewölb’ hinauf,
Ein angeraucht Papier umsteckt;
Mit Gläsern, Büchsen rings umstellt,
Mit Instrumenten vollgepfropft,
Urväter Hausrath drein gestopft —
Das ist deine Welt! das heißt eine Welt!
Goethe: “Faust”
Und fragst du noch, warum dein Herz
Sich bang in deinem Busen klemmt?
Warum ein unerklärter Schmerz
Dir alle Lebensregung hemmt?
Statt der lebendigen Natur,
Da Gott die Menschen schuf hinein,
Umgibt in Rauch und Moder nur
Dich Thiergeripp’ und Todtenbein.
Flieh! Auf! Hinaus in’s weite Land!
Und dieß geheimnißvolle Buch,
Von Nostradamus eigner Hand,
Ist dir es nicht Geleit genug?
Erkennest dann der Sterne Lauf,
Und wenn Natur dich unterweis’t,
Dann geht die Seelenkraft dir auf,
Wie spricht ein Geist zum andern Geist.
Umsonst, daß trocknes Sinnen hier
Die heil’gen Zeichen dir erklärt.
Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir;
Antwortet mir, wenn ihr mich hört!
Er schlägt das Buch auf und erblickt das Zeichen des Makrokosmus.
Ha! welche Wonne fließt in diesem Blick
Auf einmal mir durch alle meine Sinnen!
Ich fühle junges heil’ges Lebensglück
Neuglühend mir durch Nerv’ und Adern rinnen.
War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb,
Die mir das innre Toben stillen,
Das arme Herz mit Freude füllen,
Und mit geheimnißvollem Trieb
Die Kräfte der Natur rings um mich her enthüllen?
Bin ich ein Gott? Mir wird so licht!
Ich schau’ in diesen reinen Zügen
Die wirkende Natur vor meiner Seele liegen.
Jetzt erst erkenn’ ich was der Weise spricht:
“Die Geisterwelt ist nicht verschlossen;
“Dein Sinn ist zu, dein Herz ist todt!
“Auf, bade, Schüler, unverdrossen
“Die ird’sche Brust im Morgenroth!”
Goethe: “Faust”
Mephistopheles.
O glaube mir, der manche tausend Jahre
An dieser harten Speise kaut,
Daß von der Wiege bis zur Bahre
Kein Mensch den alten Sauerteig verdaut!
Glaub’ unser einem, dieses Ganze
Ist nur für einen Gott gemacht!
Er findet sich in einem ew’gen Glanze,
Uns hat er in die Finsterniß gebracht,
Und euch taugt einzig Tag und Nacht.
Faust.
Allein ich will!
Mephistopheles.
Das läßt sich hören!
Doch nur vor Einem ist mir bang;
Die Zeit ist kurz, die Kunst ist lang.
Ich dächt’, ihr ließet euch belehren.
Associirt euch mit einem Poeten,
Laßt den Herrn in Gedanken schweifen,
Und alle edlen Qualitäten
Auf euren Ehren-Scheitel häufen,
Des Löwen Muth,
Des Hirsches Schnelligkeit,
Des Italiäners feurig Blut,
Des Nordens Daurbarkeit.
Laßt ihn euch das Geheimniß finden,
Großmuth und Arglist zu verbinden,
Und euch, mit warmen Jugendtrieben,
Nach einem Plane, zu verlieben.
Möchte selbst solch einen Herren kennen,
Würd’ ihn Herrn Mikrokosmus nennen.
Faust.
Was bin ich denn, wenn es nicht möglich ist
Der Menschheit Krone zu erringen,
Goethe: “Faust”
Nach der sich alle Sinne dringen?
Mephistopheles.
Du bist am Ende — was du bist.
Setz’ dir Perrücken auf von Millionen Locken,
Setz’ deinen Fuß auf ellenhohe Socken,
Du bleibst doch immer was du bist.
Faust.
Ich fühl’s, vergebens hab’ ich alle Schätze
Des Menschengeists auf mich herbeigerafft,
Und wenn ich mich am Ende niedersetze,
Quillt innerlich doch keine neue Kraft;
Ich bin nicht um ein Haar breit höher,
Bin dem Unendlichen nicht näher.
Mephistopheles.
Mein guter Herr, ihr seht die Sachen,
Wie man die Sachen eben sieht;
Wir müssen das gescheidter machen,
Eh’ uns des Lebens Freude flieht.
Was Henker! freilich Händ’ und Füße
Und Kopf und H — — die sind dein;
Doch alles, was ich frisch genieße,
Ist das drum weniger mein?
Wenn ich sechs Hengste zahlen kann,
Sind ihre Kräfte nicht die meine?
Ich renne zu und bin ein rechter Mann,
Als hätt’ ich vier und zwanzig Beine.
Drum frisch! Laß alles Sinnen sein,
Und g’rad’ mit in die Welt hinein!
Ich sag’ es dir: ein Kerl, der speculirt,
Ist wie ein Thier, auf dürrer Heide
Von einem bösen Geist im Kreis herum geführt,
Und rings umher liegt schöne grüne Weide.
Faust.
Wie fangen wir das an?
Goethe: “Faust”
Mephistopheles.
Wir gehen eben fort.
Was ist das für ein Marterort?
Was heißt das für ein Leben führen,
Sich und die Jungens ennuyiren?
Laß du das dem Herrn Nachbar Wanst!
Was willst du dich das Stroh zu dreschen plagen?
Das Beste, was du wissen kannst,
Darfst du den Buben doch nicht sagen.
Gleich hör’ ich einen auf dem Gange!
Faust.
Mir ist’s nicht möglich ihn zu sehn.
Mephistopheles.
Der arme Knabe wartet lange,
Der darf nicht ungetröstet gehn.
Komm, gib mir deinen Rock und Mütze;
Die Maske muß mir köstlich stehn.
Er kleidet sich um.
Nun überlaß es meinem Witze!
Ich brauche nur ein Viertelstündchen Zeit;
Indessen mache dich zur schönen Fahrt bereit!
Faust ab.
Mephistopheles
in Fausts langem Kleide.
Verachte nur Vernunft und Wissenschaft,
Des Menschen allerhöchste Kraft,
Laß nur in Blend- und Zauberwerken
Dich von dem Lügengeist bestärken,
So hab’ ich dich schon unbedingt —
Ihm hat das Schicksal einen Geist gegeben,
Goethe: “Faust”
Der ungebändigt immer vorwärts dringt,
Und dessen übereiltes Streben
Der Erde Freuden überspringt.
Den schlepp’ ich durch das wilde Leben,
Durch flache Unbedeutenheit,
Er soll mir zappeln, starren, kleben,
Und seiner Unersättlichkeit
Soll Speis’ und Trank vor gier’gen Lippen schweben;
Er wird Erquickung sich umsonst erflehn,
Und hätt’ er sich auch nicht dem Teufel übergeben,
Er müßte doch zu Grunde gehn!
Ein Schüler tritt auf.
Schüler.
Ich bin allhier erst kurze Zeit,
Und komme voll Ergebenheit,
Einen Mann zu sprechen und zu kennen,
Den alle mir mit Ehrfurcht nennen.
Mephistopheles.
Eure Höflichkeit erfreut mich sehr!
Ihr seht einen Mann wie andre mehr.
Habt ihr euch sonst schon umgethan?
Schüler.
Ich bitt’ euch, nehmt euch meiner an!
Ich komme mit allem guten Muth,
Leidlichem Geld und frischem Blut;
Meine Mutter wollte mich kaum entfernen;
Möchte gern was Rechts hieraußen lernen.
Mephistopheles.
Da seid ihr eben recht am Ort.
Schüler.
Goethe: “Faust”
Aufrichtig, möchte schon wieder fort:
In diesen Mauern, diesen Hallen,
Will es mir keineswegs gefallen.
Es ist ein gar beschränkter Raum,
Man sieht nichts Grünes, keinen Baum,
Und in den Sälen, auf den Bänken,
Vergeht mir Hören, Sehn und Denken.
Mephistopheles.
Das kommt nur auf Gewohnheit an.
So nimmt ein Kind der Mutter Brust
Nicht gleich im Anfang willig an,
Doch bald ernährt es sich mit Lust.
So wird’s euch an der Weisheit Brüsten
Mit jedem Tage mehr gelüsten.
Schüler.
An ihrem Hals will ich mit Freuden hangen;
Doch sagt mir nur, wie kann ich hingelangen?
Mephistopheles.
Erklärt euch, eh’ ihr weiter geht,
Was wählt ihr für eine Facultät?
Schüler.
Ich wünschte recht gelehrt zu werden,
Und möchte gern was auf der Erden
Und in dem Himmel ist erfassen,
Die Wissenschaft und die Natur.
Mephistopheles.
Da seid ihr auf der rechten Spur;
Doch müßt ihr euch nicht zerstreuen lassen.
Schüler.
Goethe: “Faust”
Ich bin dabei mit Seel’ und Leib;
Doch freilich würde mir behagen
Ein wenig Freiheit und Zeitvertreib
An schönen Sommerfeiertagen.
Mephistopheles.
Gebraucht der Zeit, sie geht so schnell von hinnen,
Doch Ordnung lehrt euch Zeit gewinnen.
Mein theurer Freund, ich rath’ euch drum
Zuerst Collegium Logicum.
Da wird der Geist euch wohl dressirt,
In spanische Stiefeln eingeschnürt,
Daß er bedächtiger so fortan
Hinschleiche die Gedankenbahn,
Und nicht etwa, die Kreuz und Quer,
Irrlichtelire hin und her.
Dann lehret man euch manchen Tag,
Daß, was ihr sonst auf einen Schlag
Getrieben, wie Essen und Trinken frei,
Eins! Zwei! Drei! dazu nöthig sei.
Zwar ist’s mit der Gedanken-Fabrik
Wie mit einem Weber-Meisterstück,
Wo Ein Tritt tausend Fäden regt,
Die Schifflein herüber hinüber schießen,
Die Fäden ungesehen fließen,
Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt:
Der Philosoph der tritt herein,
Und beweis’t euch, es müßt’ so sein:
Das Erst’ wär’ so, das Zweite so,
Und drum das Dritt’ und Vierte so;
Und wenn das Erst’ und Zweit’ nicht wär’,
Das Dritt’ und Viert’ wär’ nimmermehr.
Das preisen die Schüler aller Orten,
Sind aber keine Weber geworden.
Wer will was Lebendigs erkennen und beschreiben,
Sucht erst den Geist heraus zu treiben,
Dann hat er die Theile in seiner Hand,
Fehlt leider! nur das geistige Band.
Encheiresin naturae nennt’s die Chemie,
Spottet ihrer selbst und weiß nicht wie.
Goethe: “Faust”
Schüler.
Kann euch nicht eben ganz verstehen.
Mephistopheles.
Das wird nächstens schon besser gehen,
Wenn ihr lernt alles reduciren
Und gehörig classificiren.
Schüler.
Mir wird von alle dem so dumm,
Als ging’ mir ein Mühlrad im Kopf herum.
Mephistopheles.
Nachher, vor allen andern Sachen,
Müßt ihr euch an die Metaphysik machen!
Da seht daß ihr tiefsinnig faßt,
Was in des Menschen Hirn nicht paßt;
Für was drein geht und nicht drein geht,
Ein prächtig Wort zu Diensten steht.
Doch vorerst dieses halbe Jahr
Nehmt ja der besten Ordnung wahr.
Fünf Stunden habt ihr jeden Tag;
Seid drinnen mit dem Glockenschlag!
Habt euch vorher wohl präparirt,
Paragraphos wohl einstudirt,
Damit ihr nachher besser seht,
Daß er nichts sagt, als was im Buche steht;
Doch euch des Schreibens ja befleißt,
Als dictirt’ euch der Heilig’ Geist!
Schüler.
Das sollt ihr mir nicht zweimal sagen!
Ich denke mir wie viel es nützt;
Denn, was man schwarz auf weiß besitzt,
Kann man getrost nach Hause tragen.
Goethe: “Faust”
Mephistopheles.
Doch wählt mir eine Facultät!
Schüler.
Zur Rechtsgelehrsamkeit kann ich mich nicht bequemen.
Mephistopheles.
Ich kann es euch so sehr nicht übel nehmen,
Ich weiß wie es um diese Lehre steht.
Es erben sich Gesetz’ und Rechte
Wie eine ew’ge Krankheit fort;
Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte,
Und rücken sacht von Ort zu Ort.
Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Plage;
Weh dir, daß du ein Enkel bist!
Vom Rechte, das mit uns geboren ist,
Von dem ist leider! nie die Frage.
Schüler.
Mein Abscheu wird durch euch vermehrt.
O glücklich der! den ihr belehrt.
Fast möcht’ ich nun Theologie studiren.
Mephistopheles.
Ich wünschte nicht euch irre zu führen.
Was diese Wissenschaft betrifft,
Es ist so schwer den falschen Weg zu meiden,
Es liegt in ihr so viel verborgnes Gift,
Und von der Arzenei ist’s kaum zu unterscheiden.
Am besten ist’s auch hier, wenn ihr nur Einen hört,
Und auf des Meisters Worte schwört.
Im Ganzen — haltet euch an Worte!
Dann geht ihr durch die sichre Pforte
Zum Tempel der Gewißheit ein.
Schüler.
Goethe: “Faust”
Frosch
gießt ihm ein Glas Wein über den Kopf.
Da hast du beides!
Brander.
Doppelt Schwein!
Frosch.
Ihr wollt es ja, man soll es sein!
Siebel.
Zur Thür hinaus wer sich entzweit!
Mit offner Brust singt Runda, sauft und schreit!
Auf! Holla! Ho!
Altmayer.
Weh mir, ich bin verloren!
Baumwolle her! der Kerl sprengt mir die Ohren.Siebel.
Wenn das Gewölbe widerschallt,
Fühlt man erst recht des Basses Grundgewalt.
Frosch.
So recht, hinaus mit dem der etwas übel nimmt!
A! tara lara da!
Altmayer.
A! tara lara da!
Frosch.
Die Kehlen sind gestimmt.
Goethe: “Faust”
Singt.
Das liebe heil’ge Röm’sche Reich,
Wie hält’s nur noch zusammen?
Brander.
Ein garstig Lied! Pfui! ein politisch Lied
Ein leidig Lied! Dankt Gott mit jedem Morgen,
Daß ihr nicht braucht für’s Röm’sche Reich zu sorgen!
Ich halt’ es wenigstens für reichlichen Gewinn,
Daß ich nicht Kaiser oder Kanzler bin.
Doch muß auch uns ein Oberhaupt nicht fehlen;
Wir wollen einen Papst erwählen.
Ihr wißt, welch eine Qualität
Den Ausschlag gibt, den Mann erhöht.
Frosch
singt.
Schwing’ dich auf, Frau Nachtigall,
Grüß’ mir mein Liebchen zehentausendmal.
Siebel.
Dem Liebchen keinen Gruß! ich will davon nichts hören!
Frosch.
Dem Liebchen Gruß und Kuß! du wirst mir’s nicht verwehren!
Singt.
Riegel auf! in stiller Nacht.
Riegel auf! der Liebste wacht.
Riegel zu! des Morgens früh.
Siebel.
Goethe: “Faust”
Ja, singe, singe nur, und lob’ und rühme sie!
Ich will zu meiner Zeit schon lachen.
Sie hat mich angeführt, dir wird sie’s auch so machen.
Zum Liebsten sei ein Kobold ihr beschert!
Der mag mit ihr auf einem Kreuzweg schäkern;
Ein alter Bock, wenn er vom Blocksberg kehrt,
Mag im Galopp noch gute Nacht ihr meckern!
Ein braver Kerl von echtem Fleisch und Blut
Ist für die Dirne viel zu gut.
Ich will von keinem Gruße wissen,
Als ihr die Fenster eingeschmissen!
Brander
auf den Tisch schlagend.
Paßt auf! paßt auf! Gehorchet mir!
Ihr Herrn gesteht, ich weiß zu leben;
Verliebte Leute sitzen hier,
Und diesen muß, nach Standsgebühr,
Zur guten Nacht ich was zum Besten geben.
Gebt Acht! Ein Lied vom neusten Schnitt!
Und singt den Rundreim kräftig mit!
Er singt.
Es war eine Ratt’ im Kellernest,
Lebte nur von Fett und Butter,
Hatte sich ein Ränzlein angemäst’t,
Als wie der Doctor Luther.
Die Köchin hatt’ ihr Gift gestellt;
Da ward’s so eng ihr in der Welt,
Als hätte sie Lieb’ im Leibe.
Chorus
jauchzend.
Als hätte sie Lieb’ im Leibe.
Goethe: “Faust”
Brander.
Sie fuhr herum, sie fuhr heraus,
Und soff aus allen Pfützen,
Zernagt’, zerkratzt’ das ganze Haus,
Wollte nichts ihr Wüthen nützen;
Sie thät gar manchen Ängstesprung,
Bald hatte das arme Thier genung,
Als hätt’ es Lieb’ im Leibe.
Chorus.
Als hätt’ es Lieb’ im Leibe.
Brander.
Sie kam vor Angst am hellen Tag
Der Küche zugelaufen,
Fiel an den Herd und zuckt’ und lag,
Und thät erbärmlich schnaufen.
Da lachte die Vergifterin noch:
Ha! sie pfeift auf dem letzten Loch,
Als hätte sie Lieb’ im Leibe.
Chorus.
Als hätte sie Lieb’ im Leibe.
Siebel.
Wie sich die platten Bursche freuen!
Es ist mir eine rechte Kunst,
Den armen Ratten Gift zu streuen!
Brander.
Sie stehn wohl sehr in deiner Gunst?
Altmayer.
Der Schmerbauch mit der kahlen Platte!
Goethe: “Faust”
Das Unglück macht ihn zahm und mild;
Er sieht in der geschwollnen Ratte
Sein ganz natürlich Ebenbild.
Faustund Mephistopheles.
Mephistopheles.
Ich muß dich nun vor allen Dingen
In lustige Gesellschaft bringen,
Damit du siehst wie leicht sich’s leben läßt.
Dem Volke hier wird jeder Tag ein Fest.
Mit wenig Witz und viel Behagen
Dreht jeder sich im engen Zirkeltanz,
Wie junge Katzen mit dem Schwanz.
Wenn sie nicht über Kopfweh klagen,
So lang der Wirth nur weiter borgt,
Sind sie vergnügt und unbesorgt.
Brander.
Die kommen eben von der Reise,
Man sieht’s an ihrer wunderlichen Weise;
Sie sind nicht eine Stunde hier.
Frosch.
Wahrhaftig du hast Recht! Mein Leipzig lob’ ich mir!
Es ist ein klein Paris, und bildet seine Leute.
Siebel.
Für was siehst du die Fremden an?
Frosch.
Laßt mich nur gehn! Bei einem vollen Glase,
Zieh’ ich, wie einen Kinderzahn,
Den Burschen leicht die Würmer aus der Nase.
Sie scheinen mir aus einem edlen Haus,
Sie sehen stolz und unzufrieden aus.
Goethe: “Faust”
Brander.
Marktschreier sind’s gewiß, ich wette!
Altmayer.
Vielleicht.
Frosch.
Gib Acht, ich schraube sie!
Mephistopheles
zu Faust.
Den Teufel spürt das Völkchen nie,
Und wenn er sie bei’m Kragen hätte.
Faust.
Seid uns gegrüßt, ihr Herrn!
Siebel.
Viel Dank zum Gegengruß.
Leise, Mephistopheles von der Seite ansehend.
Was hinkt der Kerl auf Einem Fuß?
Mephistopheles.
Ist es erlaubt, uns auch zu euch zu setzen?
Statt eines guten Trunks, den man nicht haben kann,
Soll die Gesellschaft uns ergetzen.
Altmayer.
Ihr scheint ein sehr verwöhnter Mann.
Goethe: “Faust”
Frosch.
Ihr seid wohl spät von Rippach aufgebrochen?
Habt ihr mit Herren Hans noch erst zu Nacht gespeis’t?
Mephistopheles.
Heut sind wir ihn vorbei gereis’t!
Wir haben ihn das letztemal gesprochen.
Von seinen Vettern wußt’ er viel zu sagen,
Viel Grüße hat er uns an jeden aufgetragen.
Er neigt sich gegen Frosch.
Altmayer
leise.
Da hast du’s! der versteht’s!
Siebel.
Ein pfiffiger Patron!
Frosch.
Nun, warte nur, ich krieg’ ihn schon!
Mephistopheles.
Wenn ich nicht irrte, hörten wir
Geübte Stimmen Chorus singen?
Gewiß, Gesang muß trefflich hier
Von dieser Wölbung widerklingen!
Frosch.
Seid ihr wohl gar ein Virtuos?
Mephistopheles.
O nein! die Kraft ist schwach, allein die Lust ist groß.
Goethe: “Faust”
Faust
rings aufschauend.
Willkommen süßer Dämmerschein!
Der du dieß Heiligthum durchwebst.
Ergreif’ mein Herz, du süße Liebespein!
Die du vom Thau der Hoffnung schmachtend lebst
Wie athmet rings Gefühl der Stille,
Der Ordnung, der Zufriedenheit!
In dieser Armuth welche Fülle!
In diesem Kerker welche Seligkeit!
Er wirft sich auf den ledernen Sessel am Bette.
O nimm mich auf! der du die Vorwelt schon
Bei Freud’ und Schmerz im offnen Arm empfangen!
Wie oft, ach! hat an diesem Väter-Thron
Schon eine Schaar von Kindern rings gehangen!
Vielleicht hat, dankbar für den heil’gen Christ,
Mein Liebchen hier, mit vollen Kinderwangen,
Dem Ahnherrn fromm die welke Hand geküßt.
Ich fühl’, o Mädchen, deinen Geist
Der Füll’ und. Ordnung um mich säuseln,
Der mütterlich dich täglich unterweis’t,
Den Teppich auf den Tisch dich reinlich breiten heißt,
Sogar den Sand zu deinen Füßen kräuseln.
O liebe Hand! so göttergleich!
Die Hütte wird durch dich ein Himmelreich.
Und hier!
Er hebt einen Bettvorhang auf.
Was faßt mich für ein Wonnegraus!
Hier möcht’ ich volle Stunden säumen.
Natur! Hier bildetest in leichten Träumen
Den eingebornen Engel aus;
Goethe: “Faust”
Hier lag das Kind! mit warmem Leben
Den zarten Busen angefüllt,
Und hier mit heilig reinem Weben
Entwirkte sich das Götterbild!
Und du! Was hat dich hergeführt?
Wie innig fühl’ ich mich gerührt!
Was willst du hier? Was wird das Herz dir schwer?
Armsel’ger Faust! ich kenne dich nicht mehr.
Umgibt mich hier ein Zauberduft?
Mich drang’s so g’rade zu genießen,
Und fühle mich in Liebestraum zerfließen!
Sind wir ein Spiel von jedem Druck der Luft?
Und träte sie den Augenblick herein,
Wie würdest du für deinen Frevel büßen!
Der große Hans, ach wie so klein!
Läg’, hingeschmolzen, ihr zu Füßen.
Mephistopheleskommt.
Mephistopheles.
Geschwind! ich seh’ sie unten kommen.
Faust.
Fort! Fort! Ich kehre nimmermehr!
Mephistopheles.
Hier ist ein Kästchen leidlich schwer,
Ich hab’s wo anders hergenommen.
Stellt’s hier nur immer in den Schrein,
Ich schwör’ euch, ihr vergehn die Sinnen;
Ich that euch Sächelchen hinein,
Um eine andre zu gewinnen.
Zwar Kind ist Kind und Spiel ist Spiel.
Goethe: “Faust”
Faust.
Ich weiß nicht soll ich?
Mephistopheles.
Fragt ihr viel?
Meint ihr vielleicht den Schatz zu wahren?
Dann rath’ ich eurer Lüsternheit,
Die liebe schöne Tageszeit
Und mir die weitre Müh zu sparen.
Ich hoff’ nicht daß ihr geizig seid!
Ich kratz’ den Kopf, reib’ an den Händen —
Er stellt das Kästchen in den Schrein und drückt das Schloß wieder zu.
Nur fort! geschwind! —
Um euch das süße junge Kind
Nach Herzens Wunsch und Will’ zu wenden;
Und ihr seht drein,
Als solltet ihr in den Hörsaal hinein,
Als stünden grau leibhaftig vor euch da
Physik und Metaphysica!
Nur fort!
Ab.
Margarete mit einer Lampe.
Margarete.
Es ist so schwül, so dumpfig hie
Sie macht das Fenster auf.
Und ist doch eben so warm nicht drauß’.
Es wird mir so, ich weiß nicht wie —
Ich wollt’, die Mutter käm’ nach Haus.
Mir läuft ein Schauer über’n ganzen Leib —
Bin doch ein thöricht furchtsam Weib!
Sie fängt an zu singen, indem sie sich auszieht.
Goethe: “Faust”
Es war ein König in Thule
Gar treu bis an das Grab,
Dem sterbend seine Buhle
Einen goldnen Becher gab.
Es ging ihm nichts darüber,
Er leert’ ihn jeden Schmaus;
Die Augen gingen ihm über,
So oft er trank daraus.
Und als er kam zu sterben,
Zählt’ er seine Städt’ im Reich,
Gönnt’ alles seinem Erben,
Den Becher nicht zugleich.
Er saß bei’m Königsmahle,
Die Ritter um ihn her,
Auf hohem Väter-Saale,
Dort auf dem Schloß am Meer.
Dort stand der alte Zecher,
Trank letzte Lebensgluth,
Und warf den heiligen Becher
Hinunter in die Fluth.
Er sah ihn stürzen, trinken
Und sinken tief in’s Meer,
Die Augen thäten ihm sinken,
Trank nie einen Tropfen mehr.
Sie eröffnet den Schrein, ihre Kleider einzuräumen, und erblickt das Schmuckkästchen.
Wie kommt das schöne Kästchen hier herein?
Ich schloß doch ganz gewiß den Schrein.
Es ist doch wunderbar! Was mag wohl drinne sein?
Vielleicht bracht’s jemand als ein Pfand,
Und meine Mutter lieh darauf.
Da hängt ein Schlüsselchen am Band,
Ich denke wohl ich mach’ es auf!
Goethe: “Faust”
Was ist das? Gott im Himmel! Schau’,
So was hab’ ich mein’ Tage nicht gesehn!
Ein Schmuck! Mit dem könnt’ eine Edelfrau
Am höchsten Feiertage gehn.
Wie sollte mir die Kette stehn?
Wem mag die Herrlichkeit gehören?
Sie putzt sich damit auf und tritt vor den Spiegel.
Wenn nur die Ohrring’ meine wären!
Man sieht doch gleich ganz anders drein.
Was hilft euch Schönheit, junges Blut?
Das ist wohl alles schön und gut,
Allein man läßt’s auch alles sein;
Man lobt euch halb mit Erbarmen.
Nach Golde drängt,
Am Golde hängt
Doch alles. Ach wir Armen!
Spaziergang.
Faust in Gedanken auf und ab gehend. Zu ihm Mephistopheles.
Mephistopheles.
Bei aller verschmähten Liebe! Bei’m höllischen Elemente!
Ich wollt’ ich wüßte was Ärgers, daß ich’s fluchen könnte!
Faust.
Was hast? was kneipt dich denn so sehr?
So kein Gesicht sah ich in meinem Leben!
Mephistopheles.
Ich möcht’ mich gleich dem Teufel übergeben,
Wenn ich nur selbst kein Teufel wär’!
Faust.
Goethe: “Faust”
Hat sich dir was im Kopf verschoben?
Dich kleidet’s, wie ein Rasender zu toben!
Mephistopheles.
Denkt nur, den Schmuck für Gretchen angeschafft,
Den hat ein Pfaff hinweggerafft! —
Die Mutter kriegt das Ding zu schauen,
Gleich fängt’s ihr heimlich an zu grauen:
Die Frau hat gar einen feinen Geruch,
Schnuffelt immer im Gebetbuch,
Und riecht’s einem jeden Möbel an,
Ob das Ding heilig ist oder profan;
Und an dem Schmuck da spürt sie’s klar,
Daß dabei nicht viel Segen war.
Mein Kind, rief sie, ungerechtes Gut.
Befängt die Seele, zehrt auf das Blut.
Wollen’s der Mutter Gottes weihen,
Wird uns mit Himmels-Manna erfreuen!
Margretlein zog ein schiefes Maul,
Ist halt, dacht’ sie, ein geschenkter Gaul,
Und wahrlich! gottlos ist nicht der,
Der ihn so fein gebracht hierher.
Die Mutter ließ einen Pfaffen kommen;
Der hatte kaum den Spaß vernommen,
Ließ sich den Anblick wohl behagen.
Er sprach: So ist man recht gesinnt!
Wer überwindet der gewinnt.
Die Kirche hat einen guten Magen,
Hat ganze Länder aufgefressen,
Und doch noch nie sich übergessen;
Die Kirch’ allein, meine lieben Frauen,
Kann ungerechtes Gut verdauen.
Faust.
Das ist ein allgemeiner Brauch,
Ein Jud’ und König kann es auch.
Mephistopheles.
Goethe: “Faust”
Strich drauf ein Spange, Kett’ und Ring’,
Als wären’s eben Pfifferling’,
Dankt’ nicht weniger und nicht mehr,
Als ob’s ein Korb voll Nüsse wär’,
Versprach ihnen allen himmlischen Lohn —
Und sie waren sehr erbaut davon.
Faust.
Und Gretchen?
Mephistopheles.
Sitzt nun unruhvoll,
Weiß weder was sie will noch soll,
Denkt an’s Geschmeide Tag und Nacht,
Noch mehr an den der’s ihr gebracht.
Faust.
Des Liebchens Kummer thut mir leid.
Schaff’ du ihr gleich ein neu Geschmeid’!
Am ersten war ja so nicht viel.
Mephistopheles.
O ja, dem Herrn ist alles Kinderspiel!
Faust.
Und mach’, und richt’s nach meinem Sinn,
Häng’ dich an ihre Nachbarin!
Sei Teufel doch nur nicht wie Brei,
Und schaff’ einen neuen Schmuck herbei!
Mephistopheles.
Ja, gnäd’ger Herr, von Herzen gerne.
Faustab.
Goethe: “Faust”
Mephistopheles.
So ein verliebter Thor verpufft
Euch Sonne, Mond und alle Sterne
Zum Zeitvertreib dem Liebchen in die Luft.
Ab.
Der Nachbarin Haus.
Martheallein.
Marthe.
Gott verzeih’s meinem lieben Mann,
Er hat an mir nicht wohl gethan!
Geht da stracks in die Welt hinein,
Und läßt mich auf dem Stroh allein.
Thät ihn doch wahrlich nicht betrüben,
Thät ihn, weiß Gott, recht herzlich lieben.
Sie weint.
Vielleicht ist er gar todt! — O Pein! — —
Hätt’ ich nur einen Todtenschein!
Margaretekommt.
Margarete.
Frau Marthe!
Marthe.
Gretelchen, was soll’s?
Margarete.
Fast sinken mir die Kniee nieder!
Goethe: “Faust”
Und kann den Gipfel nicht erreichen.
Ich wäre gern bei Meinesgleichen.
Beide Chöre
Es trägt der Besen, trägt der Stock, Die Gabel trägt, es trägt der Bock; Wer heute sich nicht heben kann, Ist ewig ein verlorner Mann.
Halbhexe
unten.
Ich tripple nach, so lange Zeit;
Wie sind die andern schon so weit!
Ich hab’ zu Hause keine Ruh,
Und komme hier doch nicht dazu.
Chor der Hexen.
Die Salbe gibt den Hexen Muth,
Ein Lumpen ist zum Segel gut,
Ein gutes Schiff ist jeder Trog;
Der flieget nie, der heut nicht flog.
Beide Chöre.
Und wenn wir um den Gipfel ziehn,
So streichet an dem Boden hin.
Und deckt die Heide weit und breit
Mit eurem Schwarm der Hexenheit.
Sie lassen sich nieder.
Mephistopheles.
Das drängt und stößt, das ruscht und klappert!
Das zischt und quirlt, das zieht und plappert!
Das leuchtet, sprüht und stinkt und brennt!
Ein wahres Hexenelement!
Goethe: “Faust”
Nur fest an mir! sonst sind wir gleich getrennt.
Wo bist du?
Faust
in der Ferne.
Hier!
Mephistopheles.
Was! dort schon hingerissen?
Da werd’ ich Hausrecht brauchen müssen.
Platz! Junker Voland kommt. Platz! süßer Pöbel, Platz!
Hier, Doctor, fasse mich! und nun, in Einem Satz,
Laß uns aus dem Gedräng’ entweichen;
Es ist zu toll, sogar für Meinesgleichen.
Dort neben leuchtet was mit ganz besondrem Schein,
Es zieht mich was nach jenen Sträuchen.
Komm, komm! wir schlupfen da hinein.
Faust.
Du Geist des Widerspruchs! Nur zu! du magst mich führen.
Ich denke doch, das war recht klug gemacht;
Zum Brocken wandeln wir in der Walpurgisnacht,
Um uns beliebig nun hieselbst zu isoliren.
Mephistopheles.
Da sieh nur welche bunten Flammen!
Es ist ein muntrer Club beisammen.
Im Kleinen ist man nicht allein.
Faust.
Doch droben möcht’ ich lieber sein!
Schon seh’ ich Gluth und Wirbelrauch.
Dort strömt die Menge zu dem Bösen;
Da muß sich manches Räthsel lösen.
Goethe: “Faust”
Mephistopheles.
Doch manches Räthsel knüpft sich auch.
Laß du die große Welt nur sausen,
Wir wollen hier im Stillen hausen.
Es ist doch lange hergebracht,
Daß in der großen Welt man kleine Welten macht.
Da seh’ ich junge Hexchen nackt und bloß,
Und alte die sich klug verhüllen.
Seid freundlich, nur um meinetwillen;
Die Müh ist klein, der Spaß ist groß.
Ich höre was von Instrumenten tönen!
Verflucht Geschnarr! Man muß sich dran gewöhnen.
Komm mit! Komm mit! Es kann nicht anders sein,
Ich tret’ heran und führe dich herein,
Und ich verbinde dich auf’s neue.
Was sagst du, Freund? das ist kein kleiner Raum.
Da sieh nur hin! du siehst das Ende kaum.
Ein Hundert Feuer brennen in der Reihe;
Man tanzt, man schwatzt, man kocht, man trinkt, man liebt;
Nun sage mir, wo es was Bessers gibt?
Faust.
Willst du dich nun, um uns hier einzuführen,
Als Zaubrer oder Teufel produciren?
Mephistopheles.
Zwar bin ich sehr gewohnt incognito zu gehn,
Doch läßt am Galatag man seinen Orden sehn.
Ein Knieband zeichnet mich nicht aus,
Doch ist der Pferdefuß hier ehrenvoll zu Haus.
Siehst du die Schnecke da? Sie kommt herangekrochen;
Mit ihrem tastenden Gesicht
Hat sie mir schon was abgerochen.
Wenn ich auch will, verläugn’ ich hier mich nicht.
Komm nur! von Feuer gehen wir zu Feuer,
Goethe: “Faust”
Ich bin der Werber und du bist der Freier.
Zu einigen, die um verglimmende Kohlen sitzen.
Ihr alten Herrn, was macht ihr hier am Ende?
Ich lobt’ euch, wenn ich euch hübsch in der Mitte fände,
Von Saus umzirkt und Jugendbraus;
Genug allein ist jeder ja zu Haus.
General.
Wer mag auf Nationen trauen!
Man habe noch so viel für sie gethan;
Denn bei dem Volk, wie bei den Frauen,
Steht immerfort die Jugend oben an.
Minister.
Jetzt ist man von dem Rechten allzuweit,
Ich lobe mir die guten Alten;
Denn freilich, da wir alles galten,
Da war die rechte goldne Zeit.
Parvenu.
Wir waren wahrlich auch nicht dumm,
Und thaten oft was wir nicht sollten;
Doch jetzo kehrt sich alles um und um,
Und eben da wir’s fest erhalten wollten.
Autor.
Wer mag wohl überhaupt jetzt eine Schrift
Von mäßig klugem Inhalt lesen!
Und was das liebe junge Volk betrifft,
Das ist noch nie so naseweis gewesen.
Mephistopheles
der auf einmal sehr alt erscheint.
Zum jüngsten Tag fühl’ ich das Volk gereift,
Goethe: “Faust”
Da ich zum letztenmal den Hexenberg ersteige,
Und, weil mein Fäßchen trübe läuft,
So ist die Welt auch auf der Neige.
Trödelhexe.
Ihr Herren geht nicht so vorbei!
Laßt die Gelegenheit nicht fahren!
Aufmerksam blickt nach meinen Waaren;
Es steht dahier gar mancherlei.
Und doch ist nichts in meinem Laden,
Dem keiner auf der Erde gleicht,
Das nicht einmal zum tücht’gen Schaden
Der Menschen und der Welt gereicht.
Kein Dolch ist hier, von dem nicht Blut geflossen,
Kein Kelch, aus dem sich nicht, in ganz gesunden Leib,
Verzehrend heißes Gift ergossen,
Kein Schmuck, der nicht ein liebenswürdig Weib
Verführt, kein Schwert, das nicht den Bund gebrochen,
Nicht etwa hinterrücks den Gegenmann durchstochen.
Mephistopheles.
Frau Muhme! Sie versteht mir schlecht die Zeiten,
Gethan geschehn! Geschehn gethan!
Verleg’ Sie sich auf Neuigkeiten!
Nur Neuigkeiten ziehn uns an.
Faust.
Daß ich mich nur nicht selbst vergesse!
Heiß’ ich mir das doch eine Messe!
Mephistopheles.
Der ganze Strudel strebt nach oben;
Du glaubst zu schieben und du wirst geschoben.Faust.
Wer ist denn das?
Goethe: “Faust”
Mephistopheles.
Betrachte sie genau!
Lilith ist das.
Faust.
Wer!
Mephistopheles.
Adams erste Frau.
Nimm dich in Acht vor ihren schönen Haaren,
Vor diesem Schmuck, mit dem sie einzig prangt.
Wenn sie damit den jungen Mann erlangt,
So läßt sie ihn sobald nicht wieder fahren.
Faust.
Da sitzen zwei, die Alte mit der Jungen;
Die haben schon was Rechts gesprungen!
Mephistopheles.
Das hat nun heute keine Ruh.
Es geht zum neuen Tanz; nun komm! wir greifen zu.
Faust
mit der Jungen tanzend.
Einst hatt’ ich einen schönen Traum;
Da sah ich einen Apfelbaum,
Zwei schöne Äpfel glänzten dran,
Sie reizten mich, ich stieg hinan.
Die Schöne.
Der Äpfelchen begehrt ihr sehr
Und schon vom Paradiese her.
Goethe: “Faust”
Von Freuden fühl’ ich mich bewegt,
Daß auch mein Garten solche trägt.
Mephistopheles
mit der Alten.
Einst hatt’ ich einen wüsten Traum;
Da sah ich einen gespaltnen Baum,
Der hatt’ ein — —;
So — es war, gefiel mir’s doch.
Die Alte.
Ich biete meinen besten Gruß
Dem Ritter mit dem Pferdefuß!
Halt’ Er einen — — bereit,
Wenn Er — — — nicht scheut.
Proktophantasmist.
Verfluchtes Volk! was untersteht ihr euch?
Hat man euch lange nicht bewiesen,
Ein Geist steht nie auf ordentlichen Füßen?
Nun tanzt ihr gar, uns andern Menschen gleich!
Die Schöne
tanzend.
Was will denn der auf unserm Ball?
Faust
tanzend.
Ei! der ist eben überall.
Was andre tanzen muß er schätzen.
Kann er nicht jeden Schritt beschwätzen,
So ist der Schritt so gut als nicht geschehn.
Am meisten ärgert ihn, sobald wir vorwärts gehn.
Wenn ihr euch so im Kreise drehen wolltet,
Wie er’s in seiner alten Mühle thut,
Das hieß’ er allenfalls noch gut;
Goethe: “Faust”
Besonders wenn ihr ihn darum begrüßen solltet.
Proktophantasmist.
Ihr seid noch immer da! Nein das ist unerhört.
Verschwindet doch! Wir haben ja aufgeklärt!
Das Teufelspack es fragt nach keiner Regel.
Wir sind so klug und dennoch spukt’s in Tegel.
Wie lange hab’ ich nicht am Wahn hinausgekehrt
Und nie wird’s rein, das ist doch unerhört!
Die Schöne.
So hört doch auf uns hier zu ennuyiren!
Proktophantasmist.
Ich sag’s euch Geistern in’s Gesicht,
Den Geistesdespotismus leid’ ich nicht;
Mein Geist kann ihn nicht exerciren.
Es wird fortgetanzt.
Heut, seh’ ich, will mir nichts gelingen;
Doch eine Reise nehm’ ich immer mit
Und hoffe noch, vor meinem letzten Schritt,
Die Teufel und die Dichter zu bezwingen.
Mephistopheles.
Er wird sich gleich in eine Pfütze setzen,
Das ist die Art wie er sich soulagirt,
Und wenn Blutegel sich an seinem Steiß ergetzen,
Ist er von Geistern und von Geist curirt.
Zu Faust, der aus dem Tanz getreten ist.
Was lässest du das schöne Mädchen fahren,
Das dir zum Tanz so lieblich sang?
Faust.
Goethe: “Faust”
Ach! mitten im Gesange sprang
Ein rothes Mäuschen ihr aus dem Munde.
Mephistopheles.
Das ist was Rechts! Das nimmt man nicht genau;
Genug die Maus war doch nicht grau.
Wer fragt darnach in einer Schäferstunde?
Faust.
Dann sah’ ich —
Mephistopheles.
Was?
Faust.
Mephisto, siehst du dort
Ein blasses schönes Kind allein und ferne stehen?
Sie schiebt sich langsam nur vom Ort,
Sie scheint mit geschloss’nen Füßen zu gehen.
Ich muß bekennen, daß mir däucht,
Daß sie dem guten Gretchen gleicht.
Mephistopheles.
Laß das nur stehn! Dabei wird’s niemand wohl.
Es ist ein Zauberbild, ist leblos, ein Idol.
Ihm zu begegnen ist nicht gut;
Vom starren Blick erstarrt des Menschen Blut,
Und er wird fast in Stein verkehrt,
Von der Meduse hast du ja gehört.
Faust.
Fürwahr es sind die Augen einer Todten,
Die eine liebende Hand nicht schloß.
Goethe: “Faust”
Drum sitz’ ich nackt auf meinem Bock
Und zeig’ ein derbes Leibchen.
Matrone.
Wir haben zu viel Lebensart
Um hier mit euch zu maulen;
Doch hoff’ ich, sollt ihr jung und zart,
So wie ihr seid, verfaulen.
Capellmeister.
Fliegenschnauz’ und Mückennas’
Umschwärmt mir nicht die Nackte!
Frosch im Laub und Grill’ im Gras
So bleibt doch auch im Tacte!
Windfahne
nach der einen Seite.
Gesellschaft wie man wünschen kann.
Wahrhaftig lauter Bräute!
Und Junggesellen, Mann für Mann,
Die hoffnungsvollsten Leute.
Windfahne
nach der andern Seite.
Und thut sich nicht der Boden auf
Sie alle zu verschlingen,
So will ich mit behendem Lauf
Gleich in die Hölle springen.
Xenien.
Als Insecten sind wir da,
Mit kleinen scharfen Scheren,
Satan, unsern Herrn Papa,
Nach Würden zu verehren.
Goethe: “Faust”
Hennings.
Seht! wie sie in gedrängter Schaar
Naiv zusammen scherzen.
Am Ende sagen sie noch gar,
Sie hätten gute Herzen.
Musaget.
Ich mag in diesem Hexenheer
Mich gar zu gern verlieren;
Denn freilich diese wüßt’ ich eh’r,
Als Musen anzuführen.
Ci-devant Genius der Zeit.
Mit rechten Leuten wird man was.
Komm, fasse meinen Zipfel!
Der Blocksberg, wie der deutsche Parnaß,
Hat gar einen breiten Gipfel.
Neugieriger Reisender.
Sagt wie heißt der steife Mann?
Er geht mit stolzen Schritten.
Er schnopert was er schnopern kann.
“Er spürt nach Jesuiten.”
Kranich.
In dem Klaren mag ich gern
Und auch im Trüben fischen;
Darum seht ihr den frommen Herrn
Sich auch mit Teufeln mischen.
Weltkind.
Ja für die Frommen, glaubet mir,
Ist alles ein Vehikel;
Sie bilden auf dem Blocksberg hier
Gar manches Conventikel.
Goethe: “Faust”
Tänzer.
Da kommt ja wohl ein neues Chor?
Ich höre ferne Trommeln.
Nur ungestört! es sind im Rohr
Die unisonen Dommeln.
Tanzmeister.
Wie jeder doch die Beine lupft!
Sich wie er kann herauszieht!
Der Krumme springt, der Plumpe hupft
Und fragt nicht wie es aussieht.
Fideler.
Das haßt sich schwer das Lumpenpack
Und gäb’ sich gern das Restchen;
Es eint sie hier der Dudelsack
Wie Orpheus Leier die Bestjen.
Dogmatiker.
Ich lasse mich nicht irre schrein,
Nicht durch Kritik noch Zweifel.
Der Teufel muß doch etwas sein;
Wie gäb’s denn sonst auch Teufel?
Idealist.
Die Phantasie in meinem Sinn
Ist dießmal gar zu herrisch.
Fürwahr, wenn ich das alles bin,
So bin ich heute närrisch.
Realist.
Das Wesen ist mir recht zur Qual
Und muß mich baß verdrießen;
Ich stehe hier zum erstenmal
Nicht fest auf meinen Füßen.
Goethe: “Faust”
Supernaturalist.
Mit viel Vergnügen bin ich da
Und freue mich mit diesen;
Denn von den Teufeln kann ich ja
Auf gute Geister schließen.
Skeptiker.
Sie gehn den Flämmchen auf der Spur,
Und glaub’n sich nah dem Schatze.
Auf Teufel reimt der Zweifel nur;
Da bin ich recht am Platze.
Capellmeister.
Frosch im Laub und Grill’ im Gras
Verfluchte Dilettanten!
Fliegenschnauz’ und Mückennas’
Ihr seid doch Musikanten!
Die Gewandten.
Sanssouci so heißt das Heer
Von lustigen Geschöpfen,
Auf den Füßen geht’s nicht mehr,
Drum gehn wir auf den Köpfen.
Die Unbehülflichen.
Sonst haben wir manchen Bissen erschranzt,
Nun aber Gott befohlen!
Unsere Schuhe sind durchgetanzt,
Wir laufen auf nackten Sohlen.
Irrlichter.
Von dem Sumpfe kommen wir,
Woraus wir erst entstanden;
Doch sind wir gleich im Reihen hier
Goethe: “Faust”
Die glänzenden Galanten.
Sternschnuppe.
Aus der Höhe schoß ich her
Im Stern- und Feuerscheine,
Liege nun im Grase quer,
Wer hilft mir auf die Beine?
Die Massiven.
Platz und Platz! und ringsherum!
So gehn die Gräschen nieder,
Geister kommen, Geister auch
Sie haben plumpe Glieder.
Puck.
Tretet nicht so mastig auf
Wie Elephantenkälber,
Und der plumpst’ an diesem Tag
Sei Puck der derbe selber.
Ariel.
Gab die liebende Natur
Gab der Geist euch Flügel,
Folget meiner leichten Spur,
Auf zum Rosenhügel!
Orchester.
Pianissimo.
Wolkenzug und Nebelflor
Erhellen sich von oben.
Luft im Laub und Wind im Rohr
Und alles ist zerstoben.
Goethe: “Faust”
Trüber Tag.
Feld.
Faust. Mephistopheles.
Faust.
Im Elend! Verzweifelnd! Erbärmlich auf der Erde lange verirrt und nun gefangen! Als Missethäterin
im Kerker zu entsetzlichen Qualen eingesperrt das holde unselige Geschöpf! Bis dahin! dahin! —
Verrätherischer nichtswürdiger Geist, und das hast du mir verheimlicht! — Steh nur, steh! Wälze die
teuflischen Augen ingrimend im Kopf herum! Steh und trutze mir durch deine unerträgliche
Gegenwart! Gefangen! Im unwiederbringlichen Elend! Bösen Geistern übergeben und der richtenden
gefühllosen Menschheit! Und mich wiegst du indeß in abgeschmackten Zerstreuungen, verbirgst mir
ihren wachsenden Jammer und lässest sie hülflos verderben!
Mephistopheles.
Sie ist die Erste nicht.
Faust.
Hund! abscheuliches Unthier! — Wandle ihn, du unendlicher Geist! wandle den Wurm wieder in
seine Hundsgestalt,
wie er sich oft nächtlicher Weile gefiel vor mir herzutrotten, dem harmlosen Wandrer vor die Füße zu
kollern und sich dem niederstürzenden auf die Schultern zu hängen. Wandl’ ihn wieder in seine
Lieblingsbildung, daß er vor mir im Sand auf dem Bauch krieche, ich ihn mit Füßen trete, den
verworfnen! — Die Erste nicht! — Jammer! Jammer! von keiner Menschenseele zu fassen, daß mehr
als ein Geschöpf in die Tiefe dieses Elendes versank, daß nicht das erste genug that für die Schuld
aller übrigen in seiner windenden Todesnoth vor den Augen des ewig Verzeihenden! Mir wühlt es
Mark und Leben durch, das Elend dieser Einzigen; du grinsest gelassen über das Schicksal von
Tausenden hin!
Mephistopheles.
Nun sind wir schon wieder an der Gränze unsres Witzes, da wo euch Menschen der Sinn
überschnappt. Warum machst du Gemeinschaft mit uns, wenn du sie nicht durchführen kannst? Willst
Goethe: “Faust”
fliegen und bist vor’m Schwindel nicht sicher? Drangen wir uns dir auf, oder du dich uns?
Faust.
Fletsche deine gefräßigen Zähne mir nicht so entgegen! Mir ekelt’s! — Großer herrlicher Geist, der du
mir zu erscheinen würdigtest, der du mein Herz kennest und meine Seele, warum an den
Schandgesellen mich schmieden, der sich am Schaden weidet und am Verderben sich letzt?
Mephistopheles.
Endigst du?
Faust.
Rette sie! oder weh dir! Den gräßlichsten Fluch über dich auf Jahrtausende!
Mephistopheles.
Ich kann die Bande des Rächers nicht lösen, seine Riegel nicht öffnen. — Rette sie! — Wer war’s, der
sie in’s Verderben stürzte? Ich oder du?Faust blickt wild umher.
Mephistopheles.
Greifst du nach dem Donner? Wohl, daß er euch elenden Sterblichen nicht gegeben ward! Den
unschuldig Entgegnenden zu zerschmettern, das ist so Tyrannen-Art sich in Verlegenheiten Luft zu
machen.
Faust.
Bringe mich hin! Sie soll frei sein!
Mephistopheles.
Und die Gefahr der du dich aussetzest? Wisse, noch liegt auf der Stadt Blutschuld von deiner Hand.
Goethe: “Faust”
Über des Erschlagenen Stätte schweben rächende Geister und lauern auf den wiederkehrenden
Mörder.
Faust.
Noch das von dir? Mord und Tod einer Welt über dich Ungeheuer! Führe mich hin, sag’ ich, und
befrei’ sie!
Mephistopheles.
Ich führe! dich und was ich thun kann, höre! Habe ich alle Macht im Himmel und auf Erden? Des
Thürners Sinne will ich umnebeln, bemächtige dich der Schlüssel und führe sie heraus mit
Menschenhand. Ich wache! die Zauberpferde sind bereit, ich entführe euch. Das vermag ich.
Faust.
Auf und davon!
Nacht.
Offen Feld.
Faust Mephistopheles, auf schwarzen Pferden daher brausend.
Faust.
Was weben die dort um den Rabenstein?
Mephistopheles.
Weiß nicht was sie kochen und schaffen.
Faust.
Schweben auf, schweben ab, neigen sich, beugen sich.
Goethe: “Faust”
Mephistopheles.
Eine Hexenzunft.
Faust.
Sie streuen und weihen.
Mephistopheles.
Vorbei! Vorbei!
Kerker.
Faust mit einem Bund Schlüssel und einer Lampe, vor einem eisernen Thürchen.
Faust.
Mich faßt ein längst entwohnter Schauer,
Der Menschheit ganzer Jammer Faßt mich an.
Hier wohnt sie hinter dieser feuchten Mauer,
Und ihr Verbrechen war ein guter Wahn!
Du zauderst zu ihr zu gehen!
Du fürchtest sie wieder zu sehen!
Fort! Dein Zagen zögert den Tod heran.
Er ergreift das Schloß. Es singt inwendig.
Meine Mutter, die Hur’,
Die mich umgebracht hat!
Mein Vater, der Schelm,
Der mich gessen hat!
Mein Schwesterlein klein
Hub auf die Bein’,
An einem kühlen Ort;
Da ward ich ein schönes Waldvögelein;
Fliege fort, fliege fort!
Faust
Goethe: “Faust”
aufschließend.
Sie ahnet nicht, daß der Geliebte lauscht,
Die Ketten klirren hört, das Stroh, das rauscht.
Er tritt ein.
Margarete
sich auf dem Lager verbergend.
Weh! Weh! Sie kommen. Bittrer Tod!
Faust
leise.
Still! Still! ich komme dich zu befreien.
Margarete
sich vor ihn hinwälzend.
Bist du ein Mensch, so fühle meine Noth.
Faust.
Du wirst die Wächter aus dem Schlafe schreien!
Er faßt die Ketten, sie aufzuschließen.
Margarete
auf den Knieen.
Wer hat dir Henker diese Macht
Über mich gegeben!
Du holst mich schon um Mitternacht.
Erbarme dich und laß mich leben!
Ist’s morgen früh nicht zeitig genung?
Sie steht auf.
Bin ich doch noch so jung, so jung!
Und soll schon sterben!
Goethe: “Faust”
Schön war ich auch, und das war mein Verderben.
Nah war der Freund, nun ist er weit;
Zerrissen liegt der Kranz, die Blumen zerstreut.
Fasse mich nicht so gewaltsam an!
Schone mich! Was hab’ ich dir gethan?
Laß mich nicht vergebens flehen,
Hab’ ich dich doch mein’ Tage nicht gesehen!
Faust.
Werd’ ich den Jammer überstehen!
Margarete.
Ich bin nun ganz in deiner Macht.
Laß mich nur erst das Kind noch tränken.
Ich herzt’ es diese ganze Nacht;
Sie nahmen mir’s um mich zu kränken
Und sagen nun, ich hätt’ es umgebracht.
Und niemals werd’ ich wieder froh.
Sie singen Lieder auf mich! Es ist bös von den Leuten!
Ein altes Mährchen endigt so,
Wer heißt sie’s deuten?
Faust
wirft sich nieder.
Ein Liebender liegt dir zu Füßen
Die Jammerknechtschaft aufzuschließen.
Margarete
wirft sich zu ihm.
O laß uns knien die Heil’gen anzurufen!
Sieh! unter diesen Stufen,
Unter der Schwelle
Siedet die Hölle!
Der Böse,
Mit furchtbarem Grimme,
Macht ein Getöse!
Goethe: “Faust”
Faust
laut.
Gretchen! Gretchen!
Margarete
aufmerksam.
Das war des Freundes Stimme!
Sie springt auf. Die Ketten fallen ab.
Wo ist er? Ich hab’ ihn rufen hören.
Ich bin frei! Mir soll niemand wehren.
An seinen Hals will ich fliegen,
An seinem Busen liegen!
Er rief Gretchen! Er stand auf der Schwelle.
Mitten durch’s Heulen und Klappen der Hölle,
Durch den grimmigen teuflischen Hohn,
Erkannt’ ich den süßen, den liebenden Ton.
Faust.
Ich bin’s!
Margarete.
Du bist’s! O sag’ es noch einmal!
Ihn fassend.
Er ist’s! Er ist’s! Wohin ist alle Qual?
Wohin die Angst des Kerkers? der Ketten?
Du bist’s! Kommst mich zu retten!
Ich bin gerettet! —
Schon ist die Straße wieder da,
Auf der ich dich zum erstenmale sah.
Und der heitere Garten,
Wo ich und Marthe deiner warten.
Faust
Goethe: “Faust”
fortstrebend.
Komm mit! Komm mit!
Margarete.
O weile!
Weil’ ich doch so gern wo du weilest.
Liebkosend.
Faust.
Eile!
Wenn du nicht eilest,
Werden wir’s theuer büßen müssen.
Margarete.
Wie? du kannst nicht mehr küssen?
Mein Freund, so kurz von mir entfernt,
Und hast’s Küssen verlernt?
Warum wird mir an dienem Halse so bang?
Wenn sonst von deinen Worten, deinen Blicken
Ein ganzer Himmel mich überdrang,
Und du mich küßtest als wolltest du mich ersticken.
Küsse mich!
Sonst küss’ ich dich!
Sie umfaßt ihn.
O weh! deine Lippen sind kalt,
Sind stumm.
Wo ist dein Lieben
Geblieben?
Wer brachte mich drum?
Sie wendet sich von ihm.
Faust.
Goethe: “Faust”
Komm! Folge mir! Liebchen, fasse Muth!
Ich herze dich mit tausendfacher Gluth;
Nur folge mir! Ich bitte dich nur dieß!
Margarete
zu ihm gewendet.
Und bist du’s denn? Und bist du’s auch gewiß?
Faust.
Ich bin’s! Komm mit!
Margarete.
Du machst die Fesseln los,
Nimmst wieder mich in deinen Schoos.
Wie kommt es, daß du dich vor mir nicht scheust? —
Und weißt du denn, mein Freund, wen du befreist?
Faust.
Komm! komm! Schon weicht die tiefe Nacht.Margarete.
Meine Mutter hab’ ich umgebracht,
Mein Kind hab’ ich ertränkt.
War es nicht dir und mir geschenkt?
Dir auch. — Du bist’s! ich glaub’ es kaum.
Gib deine Hand! Es ist kein Traum!
Deine liebe Hand! — Ach aber sie ist feucht!
Wische sie ab! Wie mich däucht
Ist Blut dran.
Ach Gott! Was hast du gethan!
Stecke den Degen ein;
Ich bitte dich drum!
Faust.
Laß das Vergangne vergangen sein,
Goethe: “Faust”
Du bringst mich um.
Margarete.
Nein, du mußt übrig bleiben!
Ich will dir die Gräber beschreiben.
Für die mußt du sorgen
Gleich morgen;
Der Mutter den besten Platz geben,
Meinen Bruder sogleich darneben,
Mich ein wenig bei Seit’,
Nur nicht gar zu weit!
Und das Kleine mir an die rechte Brust.
Niemand wird sonst bei mir liegen! —
Mich an deine Seite zu schmiegen
Das war ein süßes, ein holdes Glück!
Aber es will mir nicht mehr gelingen;
Mir ist’s als müßt’ ich mich zu dir zwingen,
Als stießest du mich von dir zurück;
Und doch bist du’s und blickst so gut, so fromm.Faust.
Fühlst du daß ich es bin, so komm!
Margarete.
Dahinaus?
Faust.
In’s Freie.
Margarete.
Ist das Grab drauß’,
Lauert der Tod, so komm!
Von hier in’s ewige Ruhebett
Und weiter keinen Schritt —
Du gehst nun fort? O Heinrich, könnt’ ich mit!
Goethe: “Faust”
Faust.
Du kannst! So wolle nur! Die Thür steht offen.
Margarete.
Ich darf nicht fort; für mich ist nichts zu hoffen.
Was hilft es fliehn? Sie lauern doch mir auf.
Es ist so elend betteln zu müssen,
Und noch dazu mit bösem Gewissen!
Es ist so elend in der Fremde schweifen,
Und sie werden mich doch ergreifen!
Faust.
Ich bleibe bei dir.
Margarete.
Geschwind! Geschwind!
Rette dein armes Kind.
Fort! Immer den Weg
Am Bach hinauf,
Über den Steg,
In den Wald hinein,
Links wo die Planke steht,
Im Teich.
Faß es nur gleich!
Es will sich heben,
Es zappelt noch!
Rette! rette!
Faust.
Besinne dich doch!
Nur Einen Schritt, so bist du frei!
Margarete.
Wären wir nur den Berg vorbei!
Da sitzt meine Mutter auf einem Stein,
Goethe: “Faust”
Es faßt mich kalt bei’m Schopfe!
Da sitzt meine Mutter auf einem Stein
Und wackelt mit dem Kopfe;
Sie winkt nicht, sie nickt nicht, der Kopf ist ihr schwer,
Sie schlief so lange, sie wacht nicht mehr.
Sie schlief damit wir uns freuten.
Es waren glückliche Zeiten!
Faust.
Hilft hier kein Flehen, hilft kein Sagen;
So wag’ ich’s dich hinweg zu tragen.
Margarete.
Laß mich! Nein, ich leide keine Gewalt!
Fasse mich nicht so mörderisch an!
Sonst hab’ ich dir ja alles zu Lieb’ gethan.
Faust.
Der Tag graut! Liebchen! Liebchen!
Margarete.
Tag! Ja es wird Tag! der letzte Tag dringt herein;
Mein Hochzeittag sollt’ es sein!
Sag’ niemand daß du schon bei Gretchen warst.
Weh meinem Kranze!
Es ist eben geschehn!
Wir werden uns wiedersehn;
Aber nicht bei’m Tanze.
Die Menge drängt sich, man hört sie nicht.
Der Platz, die Gassen
Können sie nicht fassen.
Die Glocke ruft, das Stäbchen bricht.
Wie sie mich binden und packen!
Zum Blutstuhl bin ich schon entrückt.
Schon zuckt nach jedem Nacken
Die Schärfe die nach meinem zückt.
Stumm liegt die Welt wie das Grab!
Goethe: “Faust”
Faust.
O wär’ ich nie geboren!
Mephistopheles erscheint draußen.
Mephistopheles.
Auf! oder ihr seid verloren.
Unnützes Zagen! Zaudern und Plaudern!
Meine Pferde schaudern,
Der Morgen dämmert auf.
Margarete.
Was steigt aus dem Boden herauf?
Der! der! Schick’ ihn fort!
Was will der an dem heiligen Ort?
Er will mich!
Faust.
Du sollst leben!
Margarete.
Gericht Gottes! Dir hab’ ich mich übergeben!
Mephistopheles
zu Faust.
Komm! komm! Ich lasse dich mit ihr im Stich.
Margarete.
Dein bin ich, Vater! Rette mich!
Ihr Engel! Ihr heiligen Schaaren,
Lagert euch umher, mich zu bewahren!
Heinrich! Mir graut’s vor dir.
Mephistopheles.
Goethe: “Faust”
Sie ist gerichtet!
Stimme
von oben.
Ist gerettet!
Mephistopheles
zu Faust.
Her zu mir!
Verschwindet mit Faust.
Stimme
von innen, verhallend.
Heinrich! Heinrich!