Immanuel Kant – Kritik der Urteilskraft (1790)
41. Vom empirischen Interesse am Schönen
Dass das Geschmacksurteil, wodurch etwas für schön erklärt wird, kein Interesse zum Bestimmungsgrunde haben müsse, ist oben hinreichend dargetan worden. Aber daraus folgt nicht, dass, nachdem es, als reines ästhetisches Urteil, gegeben worden, kein Interesse damit verbunden werden könne. Diese Verbindung wird aber immer nur indirekt sein können, d.h. der Geschmack muss allererst mit etwas anderem verbunden vorgestellt werden, um mit dem Wohlgefallen der bloßen Reflexion über einen Gegenstand noch eine Lust an der Existenz desselben (als worin alles Interesse besteht) verknüpfen zu können. Denn es gilt hier im ästhetischen Urteile, was im Erkenntnisurteile (von Dingen überhaupt) gesagt wird: a posse ad esse non valet consequentia. Dieses andere kann nun etwas Empirisches sein, nämlich eine Neigung, die der menschlichen Natur eigen ist; oder etwas Intellektuelles, als Eigenschaft des Willens, a priori durch Vernunft bestimmt werden zu können: welche beide ein Wohlgefallen am Dasein eines Objekts enthalten, und so den Grund zu einem Interesse an demjenigen legen können, was schon für sich und ohne Rücksicht auf irgendein Interesse gefallen hat.
Empirisch interessiert das Schöne nur in der Gesellschaft; und, wenn man den Trieb zur Gesellschaft als dem Menschen natürlich, die Tauglichkeit aber und den Hang dazu, d.h. die Geselligkeit, zur Erfordernis des Menschen, als für die Gesellschaft bestimmten Geschöpfs, also als zur Humanität gehörige Eigenschaft einräumt: so kann es nicht fehlen, dass man nicht auch den Geschmack als ein Beurteilungsvermögen alles dessen, wodurch man sogar sein Gefühl jedem anderen mitteilen kann, mithin als Beförderungsmittel dessen, was eines jeden natürliche Neigung verlangt, ansehen sollte.
Für sich allein würde ein verlassener Mensch auf einer wüsten Insel weder seine Hütte, noch sich selbst ausputzen, oder Blumen aufsuchen, noch weniger sie pflanzen, um sich damit auszuschmücken; sondern nur in Gesellschaft kommt es ihm ein, nicht bloß Mensch, sondern auch nach seiner Art ein feiner Mensch zu sein (der Anfang der Zivilisierung): denn als einen solchen beurteilt man denjenigen, welcher seine Lust anderen mitzuteilen geneigt und geschickt ist, und den ein Objekt nicht befriedigt, wenn er das Wohlgefallen an demselben nicht in Gemeinschaft mit anderen fühlen kann. Auch erwartet und fordert ein jeder die Rücksicht auf allgemeine Mitteilung von jedermann, gleichsam als aus einem ursprünglichen Vertrage, der durch die Menschheit selbst diktiert ist; und so werden freilich anfangs nur Reize, z.B. Farben, um sich zu bemalen (Rocou bei den Karaiben und Zinnober bei den Irokesen), oder Blumen, Muschelschalen, schönfarbige Vogelfedern, mit der Zeit aber auch schöne Formen (als an Kanots, Kleidern, u.s.w.), die gar kein Vergnügen, d.h. Wohlgefallen des Genusses bei sich führen, in der Gesellschaft wichtig und mit großem Interesse verbunden: bis endlich die auf den höchsten Punkt gekommene Zivilisierung daraus beinahe das Hauptwerk der verfeinerten Neigung macht, und Empfindungen nur so viel wert gehalten werden, als sie sich allgemein mitteilen lassen; wo denn, wenn gleich die Lust, die jeder an einem solchen Gegenstande hat, nur unbeträchtlich und für sich ohne merkliches Interesse ist, doch die Idee von ihrer allgemeinen Mitteilbarkeit ihren Wert beinahe unendlich vergrößert.
Dieses indirekt dem Schönen, durch Neigung zur Gesellschaft, angehängte, mithin empirische Interesse ist aber für uns hier von keiner Wichtigkeit, die wir nur darauf zu sehen haben, was auf das Geschmacksurteil a priori, wenn gleich nur indirekt, Beziehung haben mag. Denn, wenn auch in dieser Form sich ein damit verbundenes Interesse entdecken sollte, so würde Geschmack einen Übergang unseres Beurteilungsvermögens von dem Sinnengenuß zum Sittengefühl entdecken; und nicht allein, dass man dadurch den Geschmack zweckmäßig zu beschäftigen besser geleitet werden würde, es würde auch ein Mittelglied der Kette der menschlichen Vermögen a priori, von denen alle Gesetzgebung abhängen muss, als ein solches dargestellt werden. So viel kann man von dem empirischen Interesse an Gegenständen des Geschmacks und am Geschmack selbst wohl sagen, dass es, da dieser der Neigung frönt, obgleich sie noch so verfeinert sein mag, sich doch auch mit allen Neigungen und Leidenschaften, die in der Gesellschaft ihre größte Mannigfaltigkeit und höchste Stufe erreichen, gern zusammenschmelzen lässt, und das Interesse am Schönen, wenn es darauf gegründet ist, einen nur sehr zweideutigen Übergang vom Angenehmen zum Guten abgeben könne. Ob aber dieser nicht etwa doch durch den Geschmack, wenn er in seiner Reinigkeit genommen wird, befördert werden könne, haben wir zu untersuchen Ursache.
42. Vom intellektuellen Interesse am Schönen
Es geschah in gutmütiger Absicht, dass diejenigen, welche alle Beschäftigungen der Menschen, wozu diese die innere Naturanlage antreibt, gerne auf den letzten Zweck der Menschheit, nämlich das Moralisch-Gute richten wollten, es für ein Zeichen eines guten moralischen Charakters hielten, am Schönen überhaupt ein Interesse zu nehmen. Ihnen ist aber nicht ohne Grund von anderen widersprochen worden, die sich auf die Erfahrung berufen, dass Virtuosen des Geschmacks, nicht allein öfter, sondern wohl gar gewöhnlich, eitel, eigensinnig, und verderblichen Leidenschaften ergeben, vielleicht noch weniger wie andere auf den Vorzug der Anhänglichkeit an sittliche Grundsätze Anspruch machen könnten; und so scheint es, dass das Gefühl für das Schöne nicht allein (wie es auch wirklich ist) vom moralischen Gefühl spezifisch unterschieden, sondern auch das Interesse, welches man damit verbinden kann, mit dem moralischen schwer, keinesweges aber durch innere Affinität, vereinbar sei.
Ich räume nun zwar gerne ein, dass das Interesse am Schönen der Kunst (wozu ich auch den künstlichen Gebrauch der Naturschönheiten zum Putze, mithin zur Eitelkeit, rechne) gar keinen Beweis einer dem Moralischguten anhänglichen, oder auch nur dazu geneigten Denkungsart abgebe. Dagegen aber behaupte ich, dass ein unmittelbares Interesse an der Schönheit der Natur zu nehmen (nicht bloß Geschmack haben, um sie zu beurteilen) jederzeit ein Kennzeichen einer guten Seele sei; und dass, wenn dieses Interesse habituell ist, es wenigstens eine dem moralischen Gefühl günstige Gemütsstimmung anzeige, wenn es sich mit der Beschauung der Natur gerne verbindet. Man muss sich aber wohl erinnern, dass ich hier eigentlich die schönen Formen der Natur meine, die Reize dagegen, welche sie so reichlich auch mit jenen zu verbinden pflegt, noch zur Seite setze, weil das Interesse daran zwar auch unmittelbar, aber doch empirisch ist.
Der, welcher einsam (und ohne Absicht, seine Bemerkungen anderen mitteilen zu wollen) die schöne Gestalt einer wilden Blume, eines Vogels, eines Insekts u.s.w. betrachtet, um sie zu bewundern, zu lieben, und sie nicht gerne in der Natur überhaupt vermissen zu wollen, ob ihm gleich dadurch einiger Schaden geschähe, viel weniger ein Nutzen daraus für ihn hervorleuchtete, nimmt ein unmittelbares und zwar intellektuelles Interesse an der Schönheit der Natur. D. i. nicht allein ihr Produkt der Form nach, sondern auch das Dasein desselben gefällt ihm, ohne dass ein Sinnenreiz daran Anteil hätte, oder er auch irgendeinen Zweck damit verbände. Es ist aber hierbei merkwürdig, dass, wenn man diesen Liebhaber des Schönen insgeheim hintergangen, und künstliche Blumen (die man den natürlichen ganz ähnlich verfertigen kann) in die Erde gesteckt, oder künstlich geschnitzte Vögel auf Zweige von Bäumen gesetzt hätte, und er darauf den Betrug entdeckte, das unmittelbare Interesse, was er vorher daran nahm, alsbald verschwinden, vielleicht aber ein anderes, nämlich das Interesse der Eitelkeit, sein Zimmer für fremde Augen damit auszuschmücken, an dessen Stelle sich einfinden würde. Dass die Natur jene Schönheit hervorgebracht hat: dieser Gedanke muss die Anschauung und Reflexion begleiten; und auf diesem gründet sich allein das unmittelbare Interesse, was man daran nimmt. Sonst bleibt entweder ein bloßes Geschmacksurteil ohne alles Interesse, oder nur ein mit einem mittelbaren, nämlich auf die Gesellschaft bezogenen verbundenes übrig: welches letztere keine sichere Anzeige auf moralisch-gute Denkungsart abgibt.
Dieser Vorzug der Naturschönheit vor der Kunstschönheit, wenn jene gleich durch diese der Form nach sogar übertroffen würde, dennoch allein ein unmittelbares Interesse zu erwecken, stimmt mit der geläuterten und gründlichen Denkungsart aller Menschen überein, die ihr sittliches Gefühl kultiviert haben. Wenn ein Mann, der Geschmack genug hat, um über Produkte der schönen Kunst mit der größten Richtigkeit und Feinheit zu urteilen, das Zimmer gern verlässt, in welchem jene, die Eitelkeit und allenfalls gesellschaftlichen Freuden unterhaltenden, Schönheiten anzutreffen sind, und sich zum Schönen der Natur wendet, um hier gleichsam Wollust für seinen Geist in einem Gedankengange zu finden, den er sich nie völlig entwickeln kann: so werden wir diese seine Wahl selber mit Hochachtung betrachten, und in ihm eine schöne Seele voraussetzen, auf die kein Kunstkenner und Liebhaber, um des Interesse willen, das er an seinen Gegenständen nimmt, Anspruch machen kann. Was ist nun der Unterschied der so verschiedenen Schätzung zweierlei Objekte, die im Urteile des bloßen Geschmacks einander kaum den Vorzug streitig machen würden?
Wir haben ein Vermögen der bloß ästhetischen Urteilskraft, ohne Begriffe über Formen zu urteilen, und an der bloßen Beurteilung derselben ein Wohlgefallen zu finden, welches wir zugleich jedermann zur Regel machen, ohne dass dieses Urteil sich auf einem Interesse gründet, noch ein solches hervorbringt. Andererseits haben wir auch ein Vermögen einer intellektuellen Urteilskraft, für bloße Formen praktischer Maximen (sofern sie sich zur allgemeinen Gesetzgebung von selbst qualifizieren) ein Wohlgefallen a priori zu bestimmen, welches wir jedermann zum Gesetze machen, ohne dass unser Urteil sich auf irgendeinem Interesse gründet, aber doch ein solches hervorbringt. Die Lust oder Unlust im ersteren Urteile heißt die des Geschmacks, die zweite des moralischen Gefühls.
Da es aber die Vernunft auch interessiert, dass die Ideen (für die sie im moralischen Gefühle ein unmittelbares Interesse bewirkt) auch objektive Realität haben, d.h. dass die Natur wenigstens eine Spur zeige, oder einen Wink gebe, sie enthalte in sich irgendeinen Grund, eine gesetzmäßige Übereinstimmung ihrer Produkte zu unserm von allem Interesse unabhängigen Wohlgefallen (welches wir a priori für jedermann als Gesetz erkennen, ohne dieses auf Beweisen gründen zu können) anzunehmen: so muss die Vernunft an jeder Äußerung der Natur von einer dieser ähnlichen Übereinstimmung ein Interesse nehmen; folglich kann das Gemüt über die Schönheit der Natur nicht nachdenken, ohne sich dabei zugleich interessiert zu finden. Dieses Interesse aber ist der Verwandtschaft nach moralisch; und der, welcher es am Schönen der Natur nimmt, kann es nur sofern an demselben nehmen, als er vorher schon sein Interesse am Sittlichguten wohlgegründet hat. Wen also die Schönheit der Natur unmittelbar interessiert, bei dem hat man Ursache, wenigstens eine Anlage zu guter moralischer Gesinnung zu vermuten.
Man wird sagen: diese Deutung ästhetischer Urteile auf Verwandtschaft mit dem moralischen Gefühl sehe gar zu studiert aus, um sie für die wahre Auslegung der Chiffreschrift zu halten, wodurch die Natur in ihren schönen Formen figürlich zu uns spricht. Allein erstlich ist dieses unmittelbare Interesse am Schönen der Natur wirklich nicht gemein, sondern nur denen eigen, deren Denkungsart entweder zum Guten schon ausgebildet, oder dieser Ausbildung vorzüglich empfänglich ist, und dann führt die Analogie zwischen dem reinen Geschmacksurteile, welches, ohne von irgendeinem Interesse abzuhängen, ein Wohlgefallen fühlen lässt, und es zugleich a priori als der Menschheit überhaupt anständig vorstellt, mit dem moralischen Urteile, welches eben dasselbe aus Begriffen tut, auch ohne deutliches, subtiles und vorsätzliches Nachdenken, auf ein gleichmäßiges unmittelbares Interesse an dem Gegenstande des ersteren, so wie an dem des letzteren: nur dass jenes ein freies, dieses ein auf objektive Gesetze gegründetes Interesse ist. Dazu kommt noch die Bewunderung der Natur, die sich an ihren schönen Produkten als Kunst, nicht bloß durch Zufall, sondern gleichsam absichtlich, nach gesetzmäßiger Anordnung und als Zweckmäßigkeit ohne Zweck, zeigt: welchen letzteren, da wir ihn äußerlich nirgend antreffen, wir natürlicher Weise in uns selbst, und zwar in demjenigen, was den letzten Zweck unseres Daseins ausmacht, nämlich der moralischen Bestimmung, suchen (von welcher Nachfrage nach dem Grunde der Möglichkeit einer solchen Naturzweckmäßigkeit aber allererst in der Teleologie die Rede sein wird).
Dass das Wohlgefallen an der schönen Kunst im reinen Geschmacksurteile nicht ebenso mit einem unmittelbaren Interesse verbunden ist, als das an der schönen Natur, ist auch leicht zu erklären. Denn jene ist entweder eine solche Nachahmung von dieser, die bis zur Täuschung geht: und alsdann tut sie die Wirkung als (dafür gehaltene) Naturschönheit; oder sie ist eine absichtlich auf unser Wohlgefallen sichtbarlich gerichtete Kunst: alsdann aber würde das Wohlgefallen an diesem Produkte zwar unmittelbar durch Geschmack stattfinden, aber kein anderes als mittelbares Interesse an der zum Grunde liegenden Ursache, nämlich einer Kunst, welche nur durch ihren Zweck, niemals an sich selbst, interessieren kann. Man wird vielleicht sagen, dass dieses auch der Fall sei, wenn ein Objekt der Natur durch seine Schönheit nur in sofern interessiert, als ihr eine moralische Idee beigesellet wird; aber nicht dieses, sondern die Beschaffenheit derselben an sich selbst, dass sie sich zu einer solchen Beigesellung qualifiziert, die ihr also innerlich zukommt, interessiert unmittelbar.
Die Reize in der schönen Natur, welche so häufig mit der schönen Form gleichsam zusammenschmelzend angetroffen werden, sind entweder zu den Modifikationen des Lichts (in der Farbengebung) oder des Schalles (in Tönen) gehörig. Denn diese sind die einzigen Empfindungen, welche nicht bloß Sinnengefühl, sondern auch Reflexion über die Form dieser Modifikationen der Sinne verstatten, und so gleichsam eine Sprache, die die Natur zu uns führt, und die einen höhern Sinn zu haben scheint, in sich enthalten. So scheint die weiße Farbe der Lilie das Gemüt zu Ideen der Unschuld, und nach der Ordnung der sieben Färben, von der roten an bis zur violetten, 1) zur Idee der Erhabenheit, 2) der Kühnheit, 3) der Freimütigkeit, 4) der Freundlichkeit, 5) der Bescheidenheit, 6) der Standhaftigkeit, und 7) der Zärtlichkeit zu stimmen. Der Gesang der Vögel verkündigt Fröhlichkeit und Zufriedenheit mit seiner Existenz. Wenigstens so deuten wir die Natur aus, es mag dergleichen ihre Absicht sein oder nicht. Aber dieses Interesse, welches wir hier an Schönheit nehmen, bedarf durchaus, dass es Schönheit der Natur sei; und es verschwindet ganz, sobald man bemerkt, man sei getäuscht, und es sei nur Kunst: sogar, dass auch der Geschmack alsdann nichts Schönes, oder das Gesicht etwas Reizendes mehr daran finden kann. Was wird von Dichtern höher gepriesen, als der bezaubernd schöne Schlag der Nachtigall, in einsamen Gebüschen, an einem stillen Sommerabende, bei dem sanften Lichte des Mondes? Indessen hat man Beispiele, dass, wo kein solcher Sänger angetroffen wird, irgendein lustiger Wirt seine zum Genuß der Landluft bei ihm eingekehrten Gäste dadurch zu ihrer größten Zufriedenheit hintergangen hatte, dass er einen mutwilligen Burschen, welcher diesen Schlag (mit Schilf oder Rohr im Munde) ganz der Natur ähnlich nachzumachen wußte, in einem Gebüsche verbarg. Sobald man aber inne wird, dass es Betrug sei, so wird niemand es lange aushalten, diesem vorher für so reizend gehaltenen Gesänge zuzuhören; und so ist es mit jedem anderen Singvogel beschaffen. Es muss Natur sein, oder von uns dafür gehalten werden, damit wir an dem Schönen als einem solchen ein unmittelbares Interesse nehmen können; noch mehr aber, wenn wir gar anderen zumuten dürfen, dass sie es daran nehmen sollen, welches in der Tat geschieht, indem wir die Denkungsart derer für grob und unedel halten, die kein Gefühl für die schöne Natur haben (denn so nennen wir die Empfänglichkeit eines Interesse an ihrer Betrachtung), und sich bei der Mahlzeit oder der Bouteille am Genüsse bloßer Sinnesempfindungen halten.
43. Von der Kunst überhaupt
1) Kunst wird von der Natur, wie Tun (facere) vom Handeln oder Wirken überhaupt (agere), und das Produkt, oder die Folge der ersteren, als Werk (opus) von der letzteren als Wirkung (effectus) unterschieden.
Von Rechts wegen sollte man nur die Hervorbringung durch Freiheit, d.i. durch eine Willkür, die ihren Handlungen Vernunft zum Grunde legt, Kunst nennen. Denn, ob man gleich das Produkt der Bienen (die regelmäßig gebaueten Wachsscheiben) ein Kunstwerk zu nennen beliebt, so geschieht dieses doch nur wegen der Analogie mit der letzteren; sobald man sich nämlich besinnt, dass sie ihre Arbeit auf keine eigene Vernunftüberlegung gründen, so sagt man alsbald, es ist ein Produkt ihrer Natur (des Instinkts), und als Kunst wird es nur ihrem Schöpfer zugeschrieben.
Wenn man bei Durchsuchung eines Moorbruches, wie es bisweilen geschehen ist, ein Stück behauenes Holz antrifft, so sagt man nicht, es ist ein Produkt der Natur, sondern der Kunst; die hervorbringende Ursache desselben hat sich einen Zweck gedacht, dem dieses seine Form zu danken hat. Sonst sieht man wohl auch an allem eine Kunst, was so beschaffen ist, dass eine Vorstellung desselben in ihrer Ursache vor ihrer Wirklichkeit vorhergegangen sein muss (wie selbst bei Bienen), ohne dass doch die Wirkung von ihr eben gedacht sein dürfe; wenn man aber etwas schlechthin ein Kunstwerk nennt, um es von einer Naturwirkung zu unterscheiden, so versteht man allemal darunter ein Werk der Menschen.
2) Kunst als Geschicklichkeit des Menschen wird auch von der Wissenschaft unterschieden (Können vom Wissen), als praktisches vom theoretischen Vermögen, als Technik von der Theorie (wie die Feldmesskunst von der Geometrie). Und da wird auch das, was man kann, sobald man nur weiß, was getan werden soll, und also nur die begehrte Wirkung genügsam kennt, nicht eben Kunst genannt. Nur das, was man, wenn man es auch auf das Vollständigste kennt, dennoch darum zu machen noch nicht sofort die Geschicklichkeit hat, gehört in so weit zur Kunst. Camper beschreibt sehr genau, wie der beste Schuh beschaffen sein müßte, aber er konnte gewiss keinen machen [Fußnote].
3) Wird auch Kunst vom Handwerke unterschieden; die erste heißt freie, die andere kann auch Lohnkunst heißen. Man sieht die erste so an, als ob sie nur als Spiel, d.i. Beschäftigung, die für sich selbst angenehm ist, zweckmäßig ausfallen (gelingen) könne; die zweite so, dass sie als Arbeit, d.i. Beschäftigung, die für sich selbst unangenehm (beschwerlich), und nur durch ihre Wirkung (z. B. den Lohn) anlockend ist, mithin zwangsmäßig auferlegt werden kann. Ob in der Rangliste der Zünfte Uhrmacher für Künstler, dagegen Schmiede für Handwerker gelten sollen: das bedarf eines anderen Gesichtspunkts der Beurteilung, als derjenige ist, den wir hier nehmen; nämlich die Proportion der Talente, die dem einen oder anderen dieser Geschäfte zum Grunde liegen müssen. Ob auch unter den sogenannten sieben freien Künsten nicht einige, die den Wissenschaften beizuzählen, manche auch, die mit Handwerken zu vergleichen sind, aufgeführt worden sein möchten: davon will ich hier nicht reden. Dass aber in allen freien Künsten dennoch etwas Zwangsmäßiges, oder, wie man es nennt, ein Mechanismus erforderlich sei, ohne welchen der Geist, der in der Kunst frei sein muss und allein das Werk belebt, gar keinen Körper haben und gänzlich verdunsten würde: ist nicht unratsam zu erinnern (z. B. in der Dichtkunst, die Sprachrichtigkeit und der Sprachreichtum, imgleichen die Prosodie und das Silbenmaß), da manche neuere Erzieher eine freie Kunst im besten zu befördern glauben, wenn sie allen Zwang von ihr wegnehmen, und sie aus Arbeit in bloßes Spiel verwandeln.
44. Von der schönen Kunst
Es gibt weder eine Wissenschaft des Schönen, sondern nur Kritik, noch schöne Wissenschaft, sondern nur schöne Kunst. Denn was die erstere betrifft, so würde in ihr wissenschaftlich, d.h. durch Beweisgründe ausgemacht werden sollen, ob etwas für schön zu halten sei oder nicht; das Urteil über Schönheit würde also, wenn es zur Wissenschaft gehörte, kein Geschmacksurteil sein. Was das zweite anlangt, so ist eine Wissenschaft, die, als solche, schön sein soll, ein Unding. Denn, wenn man in ihr als Wissenschaft nach Gründen und Beweisen fragte, so würde man durch geschmackvolle Aussprüche (Bonmots) abgefertigt. Was den gewöhnlichen Ausdruck, schöne Wissenschaften, veranlasst hat, ist ohne Zweifel nichts anders, als dass man ganz richtig bemerkt hat, es werde zur schönen Kunst in ihrer ganzen Vollkommenheit viel Wissenschaft, als z.B. Kenntnis alter Sprachen, Belesenheit der Autoren die für Klassiker gelten, Geschichte, Kenntnis der Altertümer u.s.w. erfordert, und deshalb diese historischen Wissenschaften, weil sie zur schönen Kunst die notwendige Vorbereitung und Grundlage ausmachen, zum Teil auch, weil darunter selbst die Kenntnis der Produkte der schönen Kunst (Beredsamkeit und Dichtkunst) begriffen worden, durch eine Wortverwechselung, selbst schöne Wissenschaften genannt hat.
Wenn die Kunst, dem Erkenntnisse eines möglichen Gegenstandes angemessen, bloß ihn wirklich zu machen die dazu erforderlichen Handlungen verrichtet, so ist sie mechanische, hat sie aber das Gefühl der Lust zur unmittelbaren Absicht, so heißt sie ästhetische Kunst. Diese ist entweder angenehme oder schöne Kunst. Das erste ist sie, wenn der Zweck derselben ist, dass die Lust die Vorstellungen als bloße Empfindungen, das zweite, dass sie dieselben als Erkenntnisarten begleite.
Angenehme Künste sind die, welche bloß zum Genüsse abgezweckt werden; dergleichen alle die Reize sind, welche die Gesellschaft an einer Tafel vergnügen können: als unterhaltend zu erzählen, die Gesellschaft in freimütige und lebhafte Gesprächigkeit zu versetzen, durch Scherz und Lachen sie zu einem gewissen Tone der Lustigkeit zu stimmen, wo, wie man sagt, manches ins Gelag hinein geschwatzt werden kann, und niemand über das, was er spricht, verantwortlich sein will, weil es nur auf die augenblickliche Unterhaltung, nicht auf einen bleibenden Stoff zum Nachdenken oder Nachsagen, angelegt ist. (Hierzu gehört denn auch die Art, wie der Tisch zum Genüsse ausgerüstet ist, oder wohl gar bei großen Gelagen die Tafelmusik: ein wunderliches Ding, welches nur als ein angenehmes Geräusch die Stimmung der Gemüter zur Fröhlichkeit unterhalten soll, und, ohne dass jemand auf die Komposition derselben die mindeste Aufmerksamkeit verwendet, die freie Gesprächigkeit eines Nachbars mit dem anderen begünstigt.) Dazu gehören ferner alle Spiele, die weiter kein Interesse bei sich führen, als die Zeit unvermerkt verlaufen zu machen.
Schöne Kunst dagegen ist eine Vorstellungsart, die für sich selbst zweckmäßig ist, und, obgleich ohne Zweck, dennoch die Kultur der Gemütskräfte zur geselligen Mitteilung befördert.
Die allgemeine Mitteilbarkeit einer Lust führt es schon in ihrem Begriffe mit sich, dass diese nicht eine Lust des Genusses, aus bloßer Empfindung, sondern der Reflexion sein müsse; und so ist ästhetische Kunst, als schöne Kunst, eine solche, die die reflektierende Urteilskraft und nicht die Sinnenempfindung zum Richtmaße hat.
45. Schöne Kunst ist eine Kunst, sofern sie zugleich Natur zu sein scheint
An einem Produkte der schönen Kunst muss man sich bewusst werden, dass es Kunst sei, und nicht Natur; aber doch muss die Zweckmäßigkeit in der Form desselben von allem Zwange willkürlicher Regeln so frei scheinen, als ob es ein Produkt der bloßen Natur sei. Auf diesem Gefühle der Freiheit im Spiele unserer Erkenntnisvermögen, welches doch zugleich zweckmäßig sein muss, beruht diejenige Lust, welche allein allgemein mitteilbar ist, ohne sich doch auf Begriffe zu gründen. Die Natur war schön, wenn sie zugleich als Kunst aussah; und die Kunst kann nur schön genannt werden, wenn wir uns bewusst sind, sie sei Kunst, und sie uns doch als Natur aussieht.
Denn wir können allgemein sagen, es mag die Natur oder die Kunstschönheit betreffen: schön ist das, was in der bloßen Beurteilung (nicht in der Sinnenempfindung, noch durch einen Begriff) gefällt. Nun hat Kunst jederzeit eine bestimmte Absicht, etwas hervorzubringen. Wenn dieses aber bloße Empfindung (etwas bloß Subjektives) wäre, die mit Lust begleitet sein sollte, so würde dies Produkt, in der Beurteilung, nur vermittelst des Sinnengefühls gefallen. Wäre die Absicht auf die Hervorbringung eines bestimmten Objekts gerichtet, so würde, wenn sie durch die Kunst erreicht wird, das Objekt nur durch Begriffe gefallen. In beiden Fällen aber würde die Kunst nicht in der bloßen Beurteilung, d.h. nicht als schöne, sondern mechanische Kunst gefallen.
Also muss die Zweckmäßigkeit im Produkte der schönen Kunst, ob sie zwar absichtlich ist, doch nicht absichtlich scheinen; d.h. schöne Kunst muss als Natur anzusehen sein, ob man sich ihrer zwar als Kunst bewusst ist. Als Natur aber erscheint ein Produkt der Kunst dadurch, dass zwar alle Pünktlichkeit in der Übereinkunft mit Regeln, nach denen allein das Produkt das werden kann, was es sein soll, angetroffen wird; aber ohne Peinlichkeit, ohne dass die Schulform durchblickt, d.h. ohne eine Spur zu zeigen, dass die Regel dem Künstler vor Augen geschwebt, und seinen Gemütskräften Fesseln angelegt habe.
46. Schöne Kunst ist Kunst des Genies
Genie ist das Talent (Naturgabe), welches der Kunst die Regel gibt. Da das Talent, als angebornes produktives Vermögen des Künstlers, selbst zur Natur gehört, so könnte man sich auch so ausdrücken: Genie ist die angeborne Gemütsanlage (ingenium), durch welche die Natur der Kunst die Regel gibt.
Was es auch mit dieser Definition für eine Bewandtnis habe, und ob sie bloß willkürlich, oder dem Begriffe, welchen man mit dem Worte Genie zu verbinden gewohnt ist, angemessen sei, oder nicht (welches in dem folgenden § erörtert werden soll): so kann man doch schon zum voraus beweisen, dass, nach der hier angenommenen Bedeutung des Worts, schöne Künste notwendig als Künste des Genies betrachtet werden müssen.
Denn eine jede Kunst setzt Regeln voraus, durch deren Grundlegung allererst ein Produkt, wenn es künstlich heißen soll, als möglich vorgestellt wird. Der Begriff der schönen Kunst aber verstattet nicht, dass das Urteil über die Schönheit ihres Produkts von irgendeiner Regel abgeleitet werde, die einen Begriff zum Bestimmungsgrunde habe, mithin einen Begriff von der Art, wie es möglich sei, zum Grunde lege. Also kann die schöne Kunst sich selbst nicht die Regel ausdenken, nach der sie ihr Produkt zu Stande bringen soll. Da nun gleichwohl ohne vorhergehende Regel ein Produkt niemals Kunst heißen kann, so muss die Natur im Subjekte (und durch die Stimmung der Vermögen desselben) der Kunst die Regel geben, d.h. die schöne Kunst ist nur als Produkt des Genies möglich.
Man sieht hieraus, dass Genie 1) ein Talent sei, dasjenige, wozu sich keine bestimmte Regel geben lässt, hervorzubringen: nicht Geschicklichkeitsanlage zu dem, was nach irgendeiner Regel gelernt werden kann; folglich dass Originalität seine erste Eigenschaft sein müsse. 2) dass, da es auch originalen Unsinn geben kann, seine Produkte zugleich Muster, d.h. exemplarisch sein müssen; mithin, selbst nicht durch Nachahmung entsprungen, anderen doch dazu, d.h. zum Richtmaße oder Regel der Beurteilung, dienen müssen. 3) dass es, wie es sein Produkt zu Stande bringe, selbst nicht beschreiben, oder wissenschaftlich anzeigen könne, sondern dass es als Natur die Regel gebe; und daher der Urheber eines Produkts, welches er seinem Genie verdankt, selbst nicht weiß, wie sich in ihm die Ideen dazu herbei finden, auch es nicht in seiner Gewalt hat, dergleichen nach Belieben oder planmäßig auszudenken, und anderen in solchen Vorschriften mitzuteilen, die sie in Stand setzen, gleichmäßige Produkte hervorzubringen. (Daher denn auch vermutlich das Wort Genie von genius, dem eigentümlichen einem Menschen bei der Geburt mitgegebenen schützenden und leitenden Geist, von dessen Eingebung jene originale Ideen herrührten, abgeleitet ist.) 4) dass die Natur durch das Genie nicht der Wissenschaft, sondern der Kunst die Regel vorschreibe; und auch dieses nur, in sofern diese letztere schöne Kunst sein soll.
47. Erläuterung und Bestätigung obiger Erklärung vom Genie
Darin ist jedermann einig, dass Genie dem Nachahmungsgeiste gänzlich entgegen zu setzen sei. Da nun Lernen nichts als Nachahmen ist, so kann die größte Fähigkeit, Gelehrigkeit (Kapazität), als Gelehrigkeit, doch nicht für Genie gelten. Wenn man aber auch selbst denkt oder dichtet, und nicht bloß was andere gedacht haben, auffasst, ja sogar für Kunst und Wissenschaft manches erfindet: so ist doch dieses auch noch nicht der rechte Grund, um einen solchen (oftmals großen) Kopf (im Gegensatze mit dem, welcher, weil er niemals etwas mehr als bloß lernen und nachahmen kann, ein Pinsel heißt) ein Genie zu nennen: weil eben das auch hätte können gelernt werden, also doch auf dem natürlichen Wege des Forschens und Nachdenkens nach Regeln liegt, und von dem, was durch Fleiß vermittelst der Nachahmung erworben werden kann, nicht spezifisch unterschieden ist. So kann man alles, was Newton in seinem unsterblichen Werke der Prinzipien der Naturphilosophie, so ein großer Kopf auch erforderlich war, dergleichen zu erfinden, vorgetragen hat, gar wohl lernen; aber man kann nicht geistreich dichten lernen, so ausführlich auch alle Vorschriften für die Dichtkunst, und so vortrefflich auch die Muster derselben sein mögen. Die Ursache ist, dass Newton alle seine Schritte, die er, von den ersten Elementen der Geometrie an, bis zu seinen großen und tiefen Erfindungen, zu tun hatte, nicht allein sich selbst, sondern jedem anderen, ganz anschaulich und zur Nachfolge bestimmt vormachen könnte; kein Homer aber oder Wieland anzeigen kann, wie sich seine phantasiereichen und doch zugleich gedankenvollen Ideen in seinem Kopfe hervor und zusammen finden, darum weil er es selbst nicht weiß, und es also auch keinen anderen lehren kann. Im Wissenschaftlichen also ist der größte Erfinder vom mühseligsten Nachahmer und Lehrlinge nur dem Grade nach, dagegen von dem, welchen die Natur für die schöne Kunst begabt hat, spezifisch unterschieden. Indes liegt hierin keine Herabsetzung jener großen Männer, denen das menschliche Geschlecht so viel zu verdanken hat, gegen die Günstlinge der Natur in Ansehung ihres Talents für die schöne Kunst. Eben darin, dass jener Talent zur immer fortschreitenden größeren Vollkommenheit der Erkenntnisse und alles Nutzens, der davon abhängig ist, imgleichen zur Belehrung anderer in eben denselben Kenntnissen gemacht ist, besteht ein großer Vorzug derselben vor denen, welche die Ehre verdienen, Genies zu heißen: weil für diese die Kunst irgendwo still steht, indem ihr eine Grenze gesetzt ist, über die sie nicht weiter gehen kann, die vermutlich auch schon seit lange her erreicht ist und nicht mehr erweitert werden kann; und überdem eine solche Geschicklichkeit sich auch nicht mitteilen lässt, sondern jedem unmittelbar von der Hand der Natur erteilt sein will, mit ihm also stirbt, bis die Natur einmal einen anderen wiederum ebenso begabt, der nichts weiter als eines Beispiels bedarf, um das Talent, dessen er sich bewusst ist, auf ähnliche Art wirken zu lassen.
Da die Naturgabe der Kunst (als schönen Kunst) die Regel geben muss: welcherlei Art ist denn diese Regel? Sie kann in keiner Formel abgefasst zur Vorschrift dienen; denn sonst würde das Urteil über das Schöne nach Begriffen bestimmbar sein: sondern die Regel muss von der Tat, d.h. vom Produkt abstrahiert werden, an welchem andere ihr eigenes Talent prüfen mögen, um sich jenes zum Muster, nicht der Nachmachung, sondern der Nachahmung, dienen zu lassen. Wie dieses möglich sei, ist schwer zu erklären. Die Ideen des Künstlers erregen ähnliche Ideen seines Lehrlings, wenn ihn die Natur mit einer ähnlichen Proportion der Gemütskräfte versehen hat. Die Muster der schönen Kunst sind daher die einzigen Leitungsmittel, diese auf die Nachkommenschaft zu bringen: welches durch bloße Beschreibungen nicht geschehen könnte (vornehmlich nicht im Fache der redenden Künste); und auch in diesen können nur die in alten, toten, und jetzt nur als gelehrte aufbehaltenen Sprachen klassisch werden.
Obzwar mechanische und schöne Kunst, die erste als bloße Kunst des Fleißes und der Erlernung, die zweite als die des Genies, sehr voneinander unterschieden sind: so gibt es doch keine schöne Kunst, in welcher nicht etwas Mechanisches, welches nach Regeln gefasst und befolgt werden kann, und also etwas Schulgerechtes die wesentliche Bedingung der Kunst ausmachte. Denn etwas muss dabei als Zweck gedacht werden, sonst kann man ihr Produkt gar keiner Kunst zuschreiben; es wäre ein bloßes Produkt des Zufalls. Um aber einen Zweck ins Werk zu richten, dazu werden bestimmte Regeln erfordert, von denen man sich nicht frei sprechen darf. Da nun die Originalität des Talents ein (aber nicht das einzige) wesentliches Stück vom Charakter des Genies ausmacht: so glauben seichte Köpfe, dass sie nicht besser zeigen können, sie wären aufblühende Genies, als wenn sie sich vom Schulzwange aller Regeln lossagen, und glauben, man paradiere besser auf einem kollerichten Pferde, als auf einem Schulpferde. Das Genie kann nur reichen Stoff zu Produkten der schönen Kunst hergeben; die Verarbeitung desselben und die Form erfordert ein durch die Schule gebildetes Talent, um einen Gebrauch davon zu machen, der vor der Urteilskraft bestehen kann. Wenn aber jemand sogar in Sachen der sorgfältigsten Vernunftuntersuchung wie ein Genie spricht und entscheidet, so ist es vollends lächerlich; man weiß nicht recht, ob man mehr über den Gaukler, der um sich so viel Dunst verbreitet, wobei man nichts deutlich beurteilen, aber desto mehr sich einbilden kann, oder mehr über das Publikum lachen soll, welches sich treuherzig einbildet, dass sein Unvermögen, das Meisterstück der Einsicht deutlich erkennen und fassen zu können, daher komme, weil ihm neue Wahrheiten in ganzen Massen zugeworfen werden, wogegen ihm das Detail (durch abgemessene Erklärungen und schulgerechte Prüfung der Grundsätze) nur Stümperwerk zu sein scheint.
48. Vom Verhältnisse des Genies zum Geschmack
Zur Beurteilung schöner Gegenstände, als solcher, wird Geschmack, zur schönen Kunst selbst aber, d.h. der Hervorbringung solcher Gegenstände, wird Genie erfordert.
Wenn man das Genie als Talent zur schönen Kunst betrachtet (welches die eigentümliche Bedeutung des Worts mit sich bringt), und es in dieser Absicht in die Vermögen zergliedern will, die ein solches Talent auszumachen zusammen kommen müssen: so ist nötig, zuvor den Unterschied zwischen der Naturschönheit, deren Beurteilung nur Geschmack, und der Kunstschönheit, deren Möglichkeit (worauf in der Beurteilung eines dergleichen Gegenstandes auch Rücksicht genommen werden muss) Genie erfordert, genau zu bestimmen.
Eine Naturschönheit ist ein schönes Ding; die Kunstschönheit ist eine schöne Vorstellung von einem Dinge.
Um eine Naturschönheit als eine solche zu beurteilen, brauche ich nicht vorher einen Begriff davon zu haben, was der Gegenstand für ein Ding sein solle; d.h. ich habe nicht nötig, die materiale Zweckmäßigkeit (den Zweck) zu kennen, sondern die bloße Form ohne Kenntnis des Zwecks gefällt in der Beurteilung für sich selbst. Wenn aber der Gegenstand für ein Produkt der Kunst gegeben ist, und als solches für schön erklärt werden soll: so muss, weil Kunst immer einen Zweck in der Ursache (und deren Kausalität) voraussetzt, zuerst ein Begriff von dem zum Grunde gelegt werden, was das Ding sein soll; und, da die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen in einem Dinge, zu einer inneren Bestimmung desselben als Zweck, die Vollkommenheit des Dinges ist, so wird in der Beurteilung der Kunstschönheit zugleich die Vollkommenheit des Dinges in Anschlag gebracht werden müssen, wonach in der Beurteilung einer Naturschönheit (als einer solchen) gar nicht die Frage ist. Zwar wird in der Beurteilung, vornehmlich der belebten Gegenstände der Natur, z.B. des Menschen oder eines Pferdes, auch die objektive Zweckmäßigkeit gemeiniglich mit in Betracht gezogen, um über die Schönheit derselben zu urteilen; alsdann ist aber auch das Urteil nicht mehr rein ästhetisch, d.h. bloßes Geschmacksurteil. Die Natur wird nicht mehr beurteilt, wie sie als Kunst erscheint, sondern sofern sie wirklich (obzwar übermenschliche) Kunst ist; und das teleologische Urteil dient dem ästhetischen zur Grundlage und Bedingung, worauf dieses Rücksicht nehmen muss. In einem solchen Falle denkt man auch, wenn z.B. gesagt wird: »das ist ein schönes Weib«, in der Tat nichts anders, als: die Natur stellt in ihrer Gestalt die Zwecke im weiblichen Baue schön vor; denn man muss noch über die bloße Form auf einen Begriff hinaussehen, damit der Gegenstand auf solche Art durch ein logisch-bedingtes ästhetisches Urteil gedacht werde.
Die schöne Kunst zeigt darin eben ihre Vorzüglichkeit, dass sie Dinge, die in der Natur häßlich oder missfällig sein würden, schön beschreibt. Die Furien, Krankheiten, Verwüstungen des Krieges, u.d.gl. können, als Schädlichkeiten, sehr schön beschrieben, ja sogar im Gemälde vorgestellt werden; nur eine Art Häßlichkeit kann nicht der Natur gemäß vorgestellt werden, ohne alles ästhetische Wohlgefallen, mithin die Kunstschönheit, zu Grunde zu richten: nämlich diejenige, welche Ekel erweckt. Denn, weil in dieser sonderbaren, auf lauter Einbildung beruhenden Empfindung der Gegenstand gleichsam, als ob er sich zum Genüsse aufdränge, wider den wir doch mit Gewalt streben, vorgestellt wird: so wird die künstliche Vorstellung des Gegenstandes von der Natur dieses Gegenstandes selbst in unserer Empfindung nicht mehr unterschieden, und jene kann alsdann unmöglich für schön gehalten werden. Auch hat die Bildhauerkunst, weil an ihren Produkten die Kunst mit der Natur beinahe verwechselt wird, die unmittelbare Vorstellung häßlicher Gegenstände von ihren Bildungen ausgeschlossen, und dafür z.B. den Tod (in einem schönen Genius), den Kriegsmut (am Mars) durch eine Allegorie oder Attribute, die sich gefällig ausnehmen, mithin nur indirekt vermittelst einer Auslegung der Vernunft, und nicht für bloß ästhetische Urteilskraft, vorzustellen erlaubt.
So viel von der schönen Vorstellung eines Gegenstandes, die eigentlich nur die Form der Darstellung eines Begriffs ist, durch welche dieser allgemein mitgeteilt wird. Diese Form aber dem Produkte der schönen Kunst zu geben, dazu wird bloß Geschmack erfordert, an welchem der Künstler, nachdem er ihn durch mancherlei Beispiele der Kunst, oder der Natur, geübt und berichtigt hat, sein Werk hält, und, nach manchen oft mühsamen Versuchen, denselben zu befriedigen, diejenige Form findet, die ihm Genüge tut: daher diese nicht gleichsam eine Sache der Eingebung, oder eines freien Schwunges der Gemütskräfte, sondern einer langsamen und gar peinlichen Nachbesserung ist, um sie dem Gedanken angemessen und doch der Freiheit im Spiele derselben nicht nachteilig werden zu lassen.
Geschmack ist aber bloß ein Beurteilungs- nicht ein produktives Vermögen; und, was ihm gemäß ist, ist darum eben nicht ein Werk der schönen Kunst: es kann ein zur nützlichen und mechanischen Kunst, oder gar zur Wissenschaft gehöriges Produkt nach bestimmten Regeln sein, die gelernt werden können und genau befolgt werden müssen. Die gefällige Form aber, die man ihm gibt, ist nur das Vehikel der Mitteilung und eine Manier gleichsam des Vortrages, in Ansehung dessen man noch in gewissem Maße frei bleibt, wenn er doch übrigens an einen bestimmten Zweck gebunden ist. So verlangt man, dass das Tischgeräte, oder auch eine moralische Abhandlung, sogar eine Predigt diese Form der schönen Kunst, ohne doch gesucht zu scheinen, an sich haben müsse; man wird sie aber darum nicht Werke der schönen Kunst nennen. Zu der letzteren aber wird ein Gedicht, eine Musik, eine Bildergalerie u.d.gl. gezählt; und da kann man an einem seinsollenden Werke der schönen Kunst oftmals Genie ohne Geschmack, an einem anderen Geschmack ohne Genie, wahrnehmen.
49. Von den Vermögen des Gemüts, welche das Genie ausmachen
Man sagt von gewissen Produkten, von welchen man erwartet, dass sie sich, zum Teil wenigstens, als schöne Kunst zeigen sollten: sie sind ohne Geist; ob man gleich an ihnen, was den Geschmack betrifft, nichts zu tadeln findet. Ein Gedicht kann recht nett und elegant sein, aber es ist ohne Geist. Eine Geschichte ist genau und ordentlich, aber ohne Geist. Eine feierliche Rede ist gründlich und zugleich zierlich, aber ohne Geist. Manche Konversation ist nicht ohne Unterhaltung, aber doch ohne Geist; selbst von einem Frauenzimmer sagt man wohl, sie ist hübsch, gesprächig und artig, aber ohne Geist. Was ist denn das, was man hier unter Geist versteht?
Geist, in ästhetischer Bedeutung, heißt das belebende Prinzip im Gemüte. Dasjenige aber, wodurch dieses Prinzip die Seele belebt, der Stoff, den es dazu anwendet, ist das, was die Gemütskräfte zweckmäßig in Schwung versetzt, d.h. in ein solches Spiel, welches sich von selbst erhält und selbst die Kräfte dazu stärkt.
Nun behaupte ich, dieses Prinzip sei nichts anders, als das Vermögen der Darstellung ästhetischer Ideen; unter einer ästhetischen Idee aber verstehe ich diejenige Vorstellung der Einbildungskraft, die viel zu denken veranlasst, ohne dass ihr doch irgendein bestimmter Gedanke, d.h. Begriff adäquat sein kann, die folglich keine Sprache völlig erreicht und verständlich machen kann. Man sieht leicht, dass sie das Gegenstück (Pendant) von einer Vernunftidee sei, welche umgekehrt ein Begriff ist, dem keine Anschauung (Vorstellung der Einbildungskraft) adäquat sein kann.
Die Einbildungskraft (als produktives Erkenntnisvermögen) ist nämlich sehr mächtig in Schaffung gleichsam einer anderen Natur, aus dem Stoffe, den ihr die wirkliche gibt. Wir unterhalten uns mit ihr, wo uns die Erfahrung zu alltäglich vorkommt; bilden diese auch wohl um: zwar noch immer nach analogischen Gesetzen, aber doch auch nach Prinzipien, die höher hinauf in der Vernunft liegen (und die uns eben sowohl natürlich sind, als die, nach welchen der Verstand die empirische Natur auffasst); wobei wir unsere Freiheit vom Gesetze der Assoziation (welches dem empirischen Gebrauche jenes Vermögens anhängt) fühlen, nach welchem uns von der Natur zwar Stoff geliehen, dieser aber von uns zu etwas ganz anderem, nämlich dem, was die Natur übertrifft, verarbeitet werden kann.
Man kann dergleichen Vorstellungen der Einbildungskraft Ideen nennen: eines Teils darum, weil sie zu etwas über die Erfahrungsgrenze hinaus Liegendem wenigstens streben, und so einer Darstellung der Vernunftbegriffe (der intellektuellen Ideen) nahe zu kommen suchen, welches ihnen den Anschein einer objektiven Realität gibt; andrerseits, und zwar hauptsächlich, weil ihnen, als inneren Anschauungen, kein Begriff völlig adäquat sein kann. Der Dichter wagt es. Vernunftideen von unsichtbaren Wesen, das Reich der Seligen, das Höllenreich, die Ewigkeit, die Schöpfung u.d.gl. zu versinnlichen; oder auch das, was zwar Beispiele in der Erfahrung findet, z.B. den Tod, den Neid und alle Laster, imgleichen die Liebe, den Ruhm u.d.gl. über die Schranken der Erfahrung hinaus, vermittelst einer Einbildungskraft, die dem Vernunft-Vorspiele in Erreichung eines Größten nacheifert, in einer Vollständigkeit sinnlich zu machen, für die sich in der Natur kein Beispiel findet; und es ist eigentlich die Dichtkunst, in welcher sich das Vermögen ästhetischer Ideen in seinem ganzen Maße zeigen kann. Dieses Vermögen aber, für sich allein betrachtet, ist eigentlich nur ein Talent (der Einbildungskraft).
Wenn nun einem Begriffe eine Vorstellung der Einbildungskraft untergelegt wird, die zu seiner Darstellung gehört, aber für sich allein so viel zu denken veranlasst, als sich niemals in einem bestimmten Begriff zusammenfassen lässt, mithin den Begriff selbst auf unbegrenzte Art ästhetisch erweitert: so ist die Einbildungskraft hierbei schöpferisch, und bringt das Vermögen intellektueller Ideen (die Vernunft) in Bewegung, mehr nämlich bei Veranlassung einer Vorstellung zu denken (was zwar zu dem Begriffe des Gegenstandes gehört), als in ihr aufgefasst und deutlich gemacht werden kann.
Man nennt diejenigen Formen, welche nicht die Darstellung eines gegebenen Begriffs selber ausmachen, sondern nur, als Nebenvorstellungen der Einbildungskraft, die damit verknüpften Folgen und die Verwandtschaft desselben mit anderen ausdrücken, Attribute (ästhetische) eines Gegenstandes, dessen Begriff, als Vernunftidee, nicht adäquat dargestellt werden kann. So ist der Adler Jupiters mit dem Blitze in den Klauen, ein Attribut des mächtigen Himmelskönigs, und der Pfau der prächtigen Himmelskönigin. Sie stellen nicht, wie die logischen Attribute, das was in unseren Begriffen von der Erhabenheit und Majestät der Schöpfung liegt, sondern etwas anderes vor, was der Einbildungskraft Anlaß gibt, sich über eine Menge von verwandten Vorstellungen zu verbreiten, die mehr denken lassen, als man in einem durch Worte bestimmten Begriff ausdrücken kann; und geben eine ästhetische Idee, die jener Vernunftidee statt logischer Darstellung dient, eigentlich aber um das Gemüt zu beleben, indem sie ihm die Aussicht in ein unabsehliches Feld verwandter Vorstellungen eröffnet. Die schöne Kunst aber tut dieses nicht allein in der Malerei oder Bildhauerkunst (wo der Namen der Attribute gewöhnlich gebraucht wird); sondern die Dichtkunst und Beredsamkeit nehmen den Geist, der ihre Werke belebt, auch lediglich von den ästhetischen Attributen der Gegenstände her, welche den logischen zur Seite gehen, und der Einbildungskraft einen Schwung geben, mehr dabei, obzwar auf unentwickelte Art, zu denken, als sich in einem Begriffe, mithin in einem bestimmten Sprachausdrucke, zusammenfassen lässt. Ich muss mich der Kürze wegen nur auf wenige Beispiele einschränken.
Wenn der Große König sich In einem seiner Gedichte so ausdrückt: »Lasst uns aus dem Leben ohne Murren weichen und ohne etwas zu bedauern, indem wir die Welt noch alsdann mit Wohltaten überhäuft zurücklassen. So verbreitet die Sonne, nachdem sie ihren Tageslauf vollendet hat, noch ein mildes Licht am Himmel; und die letzten Strahlen, die sie in die Lüfte schickt, sind ihre letzten Seufzer für das Wohl der Welt«: so belebt er seine Vernunftidee, von weltbürgerlicher Gesinnung noch am Ende des Lebens, durch ein Attribut, welches die Einbildungskraft (in der Erinnerung an alle Annehmlichkeiten eines vollbrachten schönen Sommertages, die uns ein heiterer Abend ins Gemüt ruft) jener Vorstellung beigesellt, und welches eine Menge von Empfindungen und Nebenvorstellungen rege macht, für die sich kein Ausdruck findet. Andererseits kann sogar ein intellektueller Begriff umgekehrt zum Attribut einer Vorstellung der Sinne dienen, und so diese letzteren durch die Idee des Übersinnlichen beleben; aber nur, indem das Ästhetische, was dem Bewusstsein des letzteren subjektiv anhänglich ist, hierzu gebraucht wird. So sagt z.B. ein gewisser Dichter in der Beschreibung eines schönen Morgens: »Die Sonne quoll hervor, wie Ruh aus Tugend quillt«. Das Bewusstsein der Tugend, wenn man sich auch nur in Gedanken in die Stelle eines Tugendhaften versetzt, verbreitet im Gemüte eine Menge erhabener und beruhigender Gefühle, und eine grenzenlose Aussicht in eine frohe Zukunft, die kein Ausdruck, welcher einem bestimmten Begriffe angemessen ist, völlig erreicht.
Mit einem Worte, die ästhetische Idee ist eine einem gegebenen Begriffe beigesellte Vorstellung der Einbildungskraft, welche mit einer solchen Mannigfaltigkeit der Teilvorstellungen in dem freien Gebrauche derselben verbunden ist, dass für sie kein Ausdruck, der einen bestimmten Begriff bezeichnet, gefunden werden kann, der also zu einem Begriffe viel Unnennbares hinzu denken lässt, dessen Gefühl die Erkenntnisvermögen belebt und mit der Sprache, als bloßem Buchstaben, Geist verbindet.
Die Gemütskräfte also, deren Vereinigung (in gewissem Verhältnisse) das Genie ausmachen, sind Einbildungskraft und Verstand. Nur, da, im Gebrauch der Einbildungskraft zum Erkenntnisse, die Einbildungskraft unter dem Zwange des Verstandes und der Beschränkung unterworfen ist, dem Begriffe desselben angemessen zu sein; in ästhetischer Absicht aber die Einbildungskraft frei ist, um über jene Einstimmung zum Begriffe, doch ungesucht, reichhaltigen unentwickelten Stoff für den Verstand, worauf dieser in seinem Begriffe nicht Rücksicht nahm, zu liefern, welchen dieser aber, nicht sowohl objektiv zum Erkenntnisse, als subjektiv zur Belebung der Erkenntniskräfte, indirekt also doch auch zu Erkenntnissen anwendet: so besteht das Genie eigentlich in dem glücklichen Verhältnisse, welches keine Wissenschaft lehren und kein Fleiß erlernen kann, zu einem gegebenen Begriffe Ideen aufzufinden, und andrerseits zu diesen den Ausdruck zu treffen, durch den die dadurch bewirkte subjektive Gemütsstimmung, als Begleitung eines Begriffs, anderen mitgeteilt werden kann. Das letztere Talent ist eigentlich dasjenige, was man Geist nennt; denn das Unnennbare in dem Gemütszustande bei einer gewissen Vorstellung auszudrücken und allgemein mitteilbar zu machen, der Ausdruck mag nun in Sprache, oder Malerei, oder Plastik bestehen: das erfordert ein Vermögen, das schnell vorübergehende Spiel der Einbildungskraft aufzufassen, und in einen Begriff (der eben darum original ist und zugleich eine neue Regel eröffnet, die aus keinen vorhergehenden Prinzipien oder Beispielen hat gefolgert werden können) zu vereinigen, der sich ohne Zwang der Regeln mitteilen lässt.
Wenn wir nach diesen Zergliederungen auf die oben gegebene Erklärung dessen, was man Genie nennt, zurücksehen, so finden wir: erstlich, dass es ein Talent zur Kunst sei, nicht zur Wissenschaft, in welcher deutlich gekannte Regeln vorangehen und das Verfahren in derselben bestimmen müssen; zweitens, dass es, als Kunsttalent, einen bestimmten Begriff von dem Produkte, als Zweck, mithin Verstand, aber auch eine (wenn gleich unbestimmte) Vorstellung von dem Stoff, d.h. der Anschauung, zur Darstellung dieses Begriffs, mithin ein Verhältnis der Einbildungskraft um Verstande voraussetze; dass es sich drittens nicht sowohl in der Ausführung des vorgesetzten Zwecks in Darstellung eines bestimmten Begriffs, als vielmehr im Vortrage, oder dem Ausdrucke ästhetischer Ideen, welche zu jener Absicht reichen Stoff enthalten, zeige, mithin die Einbildungskraft, in ihrer Freiheit von aller Anleitung der Regeln, dennoch als zweckmäßig zur Darstellung des gegebenen Begriffs vorstellig mache; dass endlich viertens die ungesuchte unabsichtliche subjektive Zweckmäßigkeit in der freien Übereinstimmung der Einbildungskraft zur Gesetzlichkeit des Verstandes eine solche Proportion und Stimmung dieser Vermögen voraussetze, als keine Befolgung von Regeln, es sei der Wissenschaft oder mechanischen Nachahmung, bewirken, sondern bloß die Natur des Subjekts hervorbringen kann.
Nach diesen Voraussetzungen ist Genie: die musterhafte Originalität der Naturgabe eines Subjekts im freien Gebrauche seiner Erkenntnisvermögen. Auf solche Weise ist das Produkt eines Genies (nach demjenigen, was in demselben dem Genie, nicht der möglichen Erlernung oder der Schule, zuzuschreiben ist) ein Beispiel nicht der Nachahmung (denn da würde das, was daran Genie ist und den Geist des Werks ausmacht, verloren gehen), sondern der Nachfolge für ein anderes Genie, welches dadurch zum Gefühl seiner eigenen Originalität aufgeweckt wird. Zwangsfreiheit von Regeln so in der Kunst auszuüben, dass diese dadurch selbst eine neue Regel bekommt, wodurch das Talent sich als musterhaft zeigt. Weil aber das Genie ein Günstling der Natur ist, dergleichen man nur als seltene Erscheinung anzusehen hat: so bringt sein Beispiel für andere gute Köpfe eine Schule hervor, d.h. eine methodische Unterweisung nach Regeln, soweit man sie aus jenen Geistesprodukten und ihrer Eigentümlichkeit hat ziehen können: und für diese ist die schöne Kunst sofern Nachahmung, der die Natur durch ein Genie die Regel gab.
Aber diese Nachahmung wird Nachäffung, wenn der Schüler alles nachmacht, bis auf das, was das Genie als Missgestalt nur hat zulassen müssen, weil es sich, ohne die Idee zu schwächen, nicht wohl wegschaffen ließ. Dieser Mut ist an einem Genie allein Verdienst; und eine gewisse Kühnheit im Ausdrucke und überhaupt manche Abweichung von der gemeinen Regel steht demselben wohl an, ist aber keinesweges nachahmungswürdig, sondern bleibt immer an sich ein Fehler, den man wegzuschaffen suchen muss, für welchen aber das Genie gleichsam privilegiert ist, da das Unnachahmliche seines Geistesschwunges durch ängstliche Behutsamkeit leiden würde. Das Manierieren ist eine andere Art von Nachäffung, nämlich der bloßen Eigentümlichkeit (Originalität) überhaupt, um sich ja von Nachahmern so weit als möglich zu entfernen, ohne doch das Talent zu besitzen, dabei zugleich musterhaft zu sein. Zwar gibt es zweierlei Art (modus) überhaupt der Zusammenstellung seiner Gedanken des Vertrages, deren die eine Manier (modus aestheticus), die andere Methode (modus logicus) heißt, die sich darin von einander unterscheiden: dass die erstere kein anderes Richtmaß hat, als das Gefühl der Einheit in der Darstellung, die andere aber hierin bestimmte Prinzipien befolgt; für die schöne Kunst gilt also nur die erstere. Allein manieriert heißt ein Kunstprodukt nur alsdann, wenn der Vortrag seiner Idee in demselben auf die Sonderbarkeit angelegt und nicht der Idee angemessen gemacht wird. Das Prangende (Preziöse), das Geschrobene und Affektierte, um sich nur vom Gemeinen (aber ohne Geist) zu unterscheiden, sind dem Benehmen desjenigen ähnlich, von dem man sagt, dass er sich sprechen höre, oder welcher steht und geht, als ob er auf einer Bühne wäre, um angegafft zu werden, welches jederzeit einen Stümper verrät.
50. Von der Verbindung des Geschmacks mit Genie in Produkten der schönen Kunst
Wenn die Frage ist, woran in Sachen der schönen Kunst mehr gelegen sei, ob daran, dass sich an ihnen Genie, oder ob, dass sich Geschmack zeige, so ist das ebenso viel, als wenn gefragt würde, ob es darin mehr auf Einbildung, als auf Urteilskraft ankomme. Da nun eine Kunst in Ansehung des ersteren eher eine geistreiche, in Ansehung des zweiten aber allein eine schöne Kunst genannt zu werden verdient: so ist das letztere wenigstens als unumgängliche Bedingung (conditio sine qua non) das Vornehmste, worauf man in Beurteilung der Kunst als schöne Kunst zusehen hat. Reich und original an Ideen zu sein, bedarf es nicht so notwendig zum Behuf der Schönheit, aber wohl der Angemessenheit jener Einbildungskraft in ihrer Freiheit zu der Gesetzmäßigkeit des Verstandes. Denn aller Reichtum der ersteren bringt in ihrer gesetzlosen Freiheit nichts als Unsinn hervor; die Urteilskraft ist aber das Vermögen, sie dem Verstande anzupassen.
Der Geschmack ist, so wie die Urteilskraft überhaupt, die Disziplin (oder Zucht) des Genies, beschneidet diesem sehr die Flügel und macht es gesittet oder geschliffen; zugleich aber gibt er diesem eine Leitung, worüber und bis wie weit es sich verbreiten soll, um zweckmäßig zu bleiben; und, indem er Klarheit und Ordnung in die Gedankenfülle hineinbringt, macht er die Ideen haltbar, eines dauernden zugleich auch allgemeinen Beifalls, der Nachfolge anderer, und einer immer fortschreitenden Kultur, fähig. Wenn also im Widerstreite beiderlei Eigenschaften an einem Produkte etwas aufgeopfert werden soll, so müsste es eher auf der Seite des Genies geschehen: und die Urteilskraft, welche in Sachen der schönen Kunst aus eigenen Prinzipien den Ausspruch tut, wird eher der Freiheit und dem Reichtum der Einbildungskraft, als dem Verstande Abbruch zu tun erlauben.
Zur schönen Kunst würden also Einbildungskraft, Verstand, Geist und Geschmack erforderlich sein.
51. Von der Einteilung der schönen Künste
Man kann überhaupt Schönheit (sie mag Natur- oder Kunstschönheit sein) den Ausdruck ästhetischer Ideen nennen: nur dass in der schönen Kunst diese Idee durch einen Begriff vom Objekt veranlasst werden muss, in der schönen Natur aber die bloße Reflexion über eine gegebene Anschauung, ohne Begriff von dem was der Gegenstand sein soll, zur Erweckung und Mitteilung der Idee, von welcher jenes Objekt als der Ausdruck betrachtet wird, hinreichend ist.
Wenn wir also die schönen Künste einteilen wollen: so können wir, wenigstens zum Versuche, kein bequemeres Prinzip dazu wählen, als die Analogie der Kunst mit der Art des Ausdrucks, dessen sich Menschen im Sprechen bedienen, um sich, so vollkommen als möglich ist, einander, d.h. nicht bloß ihren Begriffen, sondern auch Empfindungen nach, mitzuteilen.
Dieser besteht in dem Worte, der Gebärdung, und dem Tone (Artikulation, Gestikulation, und Modulation). Nur die Verbindung dieser drei Arten des Ausdrucks macht die vollständige Mitteilung des Sprechenden aus. Denn Gedanke, Anschauung und Empfindung werden dadurch zugleich und vereinigt auf den anderen übergetragen.
Es gibt also nur dreierlei Arten schöner Künste: die redende, die bildende, und die Kunst des Spiels der Empfindungen (als äußerer Sinneneindrücke). Man könnte diese Einteilung auch dichotomisch einrichten, so dass die schöne Kunst in die des Ausdrucks der Gedanken, oder der Anschauungen, diese wiederum bloß nach ihrer Form, oder ihrer Materie (der Empfindung), eingeteilt würde. Allein sie würde alsdann zu abstrakt und nicht so angemessen den gemeinen Begriffen aussehen.
1) Die redenden Künste sind Beredsamkeit und Dichtkunst. Beredsamkeit ist die Kunst, ein Geschäft des Verstandes als ein freies Spiel der Einbildungskraft zu betreiben; Dichtkunst, ein freies Spiel der Einbildungskraft als ein Geschäft des Verstandes auszuführen.
Der Redner also kündigt ein Geschäft an und führt es so aus, als ob es bloß ein Spiel mit Ideen sei, um die Zuschauer zu unterhalten. Der Dichter kündigt bloß ein unterhaltendes Spiel mit Ideen an, und es kommt doch so viel für den Verstand heraus, als ob er bloß dessen Geschäft zu treiben die Absicht gehabt hätte. Die Verbindung und Harmonie beider Erkenntnisvermögen, der Sinnlichkeit und des Verstandes, die einander zwar nicht entbehren, aber doch auch ohne Zwang und wechselseitigen Abbruch sich nicht wohl vereinigen lassen, muss unabsichtlich zu sein, und sich von selbst so zu fügen scheinen; sonst ist es nicht schöne Kunst. Daher alles Gesuchte und Peinliche darin vermieden werden muss; denn schöne Kunst muss in doppelter Bedeutung freie Kunst sein; sowohl dass sie nicht, als Lohngeschäft, eine Arbeit sei, deren Größe sich nach einem bestimmten Maßstabe beurteilen, erzwingen oder bezahlen lässt; sondern auch, dass das Gemüt sich zwar beschäftigt, aber dabei doch, ohne auf einen anderen Zweck hinauszusehen (unabhängig vom Lohne), befriedigt und erweckt fühlt.
Der Redner gibt also zwar etwas, was er nicht verspricht, nämlich ein unterhaltendes Spiel der Einbildungskraft; aber er bricht auch dem etwas ab, was er verspricht, und was doch sein angekündigtes Geschäft ist, nämlich den Verstand zweckmäßig zu beschäftigen. Der Dichter dagegen verspricht wenig und kündigt ein bloßes Spiel mit Ideen an, leistet aber etwas, was eines Geschäftes würdig ist, nämlich dem Verstande spielend Nahrung zu verschaffen, und seinen Begriffen durch Einbildungskraft Leben zu geben: mithin jener im Grunde weniger, dieser mehr, als er verspricht.
2) Die bildenden Künste, oder die des Ausdrucks für Ideen in der Sinnenanschauung (nicht durch Vorstellungen der bloßen Einbildungskraft, die durch Worte aufgeregt werden) sind entweder die der Sinnenwahrheit oder des Sinnenscheins. Die erste heißt die Plastik, die zweite die Malerei. Beide machen Gestalten im Raume zum Ausdrucke für Ideen: jene macht Gestalten für zwei Sinne kennbar, dem Gesichte und Gefühl (obzwar dem letzteren nicht in Absicht auf Schönheit), diese nur für den ersteren. Die ästhetische Idee (Archetypon, Urbild) liegt zu beiden in der Einbildungskraft zum Grunde; die Gestalt aber, welche den Ausdruck derselben ausmacht (Ektypon, Nachbild), wird entweder in ihrer körperlichen Ausdehnung (wie der Gegenstand selbst existiert) oder nach der Art, wie diese sich im Auge malt (nach ihrer Apparenz in einer Fläche), gegeben; oder, wenn auch das erstere ist, entweder die Beziehung auf einen wirklichen Zweck, oder nur der Anschein desselben, der Reflexion zur Bedingung gemacht.
Zur Plastik, als der ersten Art schöner bildender Künste, gehört die Bildhauerkunst und Baukunst. Die erste ist diejenige, welche Begriffe von Dingen sowie sie in der Natur existieren könnten, körperlich darstellt (doch als schöne Kunst mit Rücksicht auf ästhetische Zweckmäßigkeit); die zweite ist die Kunst, Begriffe von Dingen, die nur durch Kunst möglich sind, und deren Form nicht die Natur, sondern einen willkürlichen Zweck zum Bestimmungsgrunde hat, zu dieser Absicht, doch auch zugleich ästhetisch-zweckmäßig, darzustellen. Bei der letzteren ist ein gewisser Gebrauch des künstlichen Gegenstandes die Hauptsache, worauf, als Bedingung, die ästhetischen Ideen eingeschränkt werden. Bei der ersteren ist der bloße Ausdruck ästhetischer Ideen die Hauptabsicht. So sind Bildsäulen von Menschen, Göttern, Tieren u.d.gl. von der ersteren Art, aber Tempel, oder Prachtgebäude zum Behuf öffentlicher Versammlungen, oder auch Wohnungen, Ehrenbogen, Säulen, Kenotaphien u.d.gl., zum Ehrengedächtnis errichtet, zur Baukunst gehörig. Ja alles Hausgeräte (die Arbeit des Tischlers u.d.gl. Dinge zum Gebrauche) können dazu gewählt werden: weil die Angemessenheit des Produkts zu einem gewissen Gebrauche das Wesentliche eines Bauwerks ausmacht, dagegen ein bloßes Bildwerk, das lediglich zum Anschauen gemacht ist und für sich selbst gefallen soll, als körperliche Darstellung bloße Nachahmung der Natur ist, doch mit Rücksicht auf ästhetische Ideen: wobei denn die Sinnenwahrheit nicht so weit gehen darf, dass es aufhöre, als Kunst und Produkt der Willkür zu erscheinen.
Die Malerkunst, als die zweite Art bildender Künste, welche den Sinnenschein künstlich mit Ideen verbunden darstellt, würde ich in die der schönen Schilderung der Natur, und in die der schönen Zusammenstellung ihrer Produkte einteilen. Die erste wäre die eigentliche Malerei, die zweite die Lustgärtnerei. Denn die erste gibt nur den Schein der körperlichen Ausdehnung; die zweite zwar diese nach der Wahrheit, aber nur den Schein von Benutzung und Gebrauch zu anderen Zwecken, als bloß für das Spiel der Einbildung in Beschauung ihrer Formen. Die letztere ist nichts anders, als die Schmückung des Bodens mit derselben Mannigfaltigkeit (Gräsern, Blumen, Sträuchen und Bäumen, selbst Gewässern, Hügeln und Tälern), womit ihn die Natur dem Anschauen darstellt, nur anders, und angemessen gewissen Ideen, zusammengestellt. Die schöne Zusammenstellung aber körperlicher Dinge ist auch nur für das Auge gegeben, wie die Malerei; der Sinn des Gefühls aber kann keine anschauliche Vorstellung von einer solchen Form verschaffen. Zu der Malerei im weiten Sinne würde ich noch die Verzierung der Zimmer durch Tapeten, Aufsätze und alles schöne Ameublement, welches bloß zur Ansicht dient, zählen; imgleichen die Kunst der Kleidung nach Geschmack (Ringe, Dosen, u.s.w.). Denn ein Parterre von allerlei Blumen, ein Zimmer mit allerlei Zieraten (selbst den Putz der Damen darunter begriffen) machen an einem Prachtfeste eine Art von Gemälde aus, welches, so wie die eigentlich sogenannten (die nicht etwa Geschichte, oder Naturkenntnis zu lehren die Absicht haben), bloß zum Ansehen da ist, um die Einbildungskraft im freien Spiele mit Ideen zu unterhalten, und ohne bestimmten Zweck die ästhetische Urteilskraft zu beschäftigen. Das Machwerk an allem diesen Schmucke mag immer, mechanisch, sehr unterschieden sein, und ganz verschiedene Künstler erfordern: das Geschmacksurteil ist doch über das, was in dieser Kunst schön ist, sofern auf einerlei Art bestimmt: nämlich nur die Formen (ohne Rücksicht auf einen Zweck) so, wie sie sich dem Auge darbieten, einzeln oder in ihrer Zusammensetzung, nach der Wirkung, die sie auf die Einbildungskraft tun, zu beurteilen. Wie aber bildende Kunst zur Gebärdung in einer Sprache (der Analogie nach) gezählt werden könne, wird dadurch gerechtfertigt, dass der Geist des Künstlers durch diese Gestalten von dem, was und wie er gedacht hat, einen körperlichen Ausdruck gibt, und die Sache selbst gleichsam mimisch sprechen macht: ein sehr gewöhnliches Spiel unserer Phantasie, welche leblosen Dingen, ihrer Form gemäß, einen Geist unterlegt, der aus ihnen spricht.
3) Die Kunst des schönen Spiels der Empfindungen (die von außen erzeugt werden), und das sich gleichwohl doch muss allgemein mitteilen lassen, kann nicht anders, als die Proportion der verschiedenen Grade der Stimmung (Spannung) des Sinns, dem die Empfindung angehört, d.h. den Ton desselben, betreffen; und in dieser weitläuftigen Bedeutung des Worts kann sie in das künstliche Spiel der Empfindungen des Gehörs und der des Gesichts, mithin in Musik und Farbenkunst, eingeteilt werden. Es ist merkwürdig: dass diese zwei Sinne, außer der Empfänglichkeit für Eindrücke, so viel davon erforderlich ist, um von äußern Gegenständen, vermittelst ihrer, Begriffe zu bekommen, noch einer besonderen damit verbundenen Empfindung fähig sind, von welcher man nicht recht ausmachen kann, ob sie den Sinn, oder die Reflexion zum Grunde habe; und dass diese Affektibilität doch bisweilen mangeln kann, obgleich der Sinn übrigens, was seinen Gebrauch zum Erkenntnis der Objekte betrifft, gar nicht mangelhaft, sondern wohl gar vorzüglich fein ist. Das heißt, man kann nicht mit Gewissheit sagen: ob eine Farbe oder ein Ton (Klang) bloß angenehme Empfindungen, oder an sich schon ein schönes Spiel von Empfindungen sei, und als ein solches ein Wohlgefallen an der Form in der ästhetischen Beurteilung bei sich führe. Wenn man die Schnelligkeit der Licht- oder, in der zweiten Art, der Luftbebungen, die alles unser Vermögen, die Proportion der Zeiteinteilung durch dieselbe unmittelbar bei der Wahrnehmung zu beurteilen, wahrscheinlicherweise bei weitem übertrifft, bedenkt: so sollte man glauben, nur die Wirkung dieser Zitterungen auf die elastischen Teile unsers Körpers werde empfunden, die Zeiteinteilung durch dieselbe aber nicht bemerkt und in Beurteilung gezogen, mithin mit Farben und Tönen nur Annehmlichkeit, nicht Schönheit ihrer Komposition, verbunden. Bedenkt man aber dagegen erstlich das Mathematische, welches sich über die Proportion dieser Schwingungen in der Musik und ihre Beurteilung sagen lässt, und beurteilt die Farbenabstechung, wie billig, nach der Analogie mit der letzteren; zieht man zweitens die, obzwar seltenen Beispiele von Menschen, die mit dem besten Gesichte von der Welt nicht haben Farben, und mit dem schärfsten Gehöre nicht Töne unterscheiden können, zu Rat, imgleichen für die, welche dieses können, die Wahrnehmung einer veränderten Qualität (nicht bloß des Grades der Empfindung) bei den verschiedenen Anspannungen auf der Farbenoder Tonleiter, imgleichen dass die Zahl derselben für begreifliche Unterschiede bestimmt ist: so möchte man sich genötigt sehen, die Empfindungen von beiden nicht als bloßen Sinneneindruck, sondern als die Wirkung einer Beurteilung der Form im Spiele vieler Empfindungen anzusehen. Der Unterschied, den die eine oder die andere Meinung in der Beurteilung des Grundes der Musik gibt, würde aber nur die Definition dahin verändern, dass man sie entweder, wie wir getan haben, für das schöne Spiel der Empfindungen (durch das Gehör), oder angenehmer Empfindungen, erklärte. Nur nach der ersteren Erklärungsart wird Musik gänzlich als schöne, nach der zweiten aber als angenehme Kunst (wenigstens zum Teil) vorgestellt werden.
52. Von der Verbindung der schönen Künste in einem und demselben Produkte
Die Beredsamkeit kann mit einer malerischen Darstellung ihrer Subjekte sowohl, als Gegenstände, in einem Schauspiele; die Poesie mit Musik, im Gesange; dieser aber zugleich mit malerischer (theatralischer) Darstellung, in einer Oper; das Spiel der Empfindungen in einer Musik mit dem Spiele der Gestalten, im Tanz u.s.w. verbunden werden. Auch kann die Darstellung des Erhabenen, sofern sie zur schönen Kunst gehört, in einem gereimten Trauerspiele, einem Lehrgedichte, einem Oratorium sich mit der Schönheit vereinigen; und in diesen Verbindungen ist die schöne Kunst noch künstlicher: ob aber auch schöner (da sich so mannigfaltige verschiedene Arten des Wohlgefallens einander durchkreuzen), kann in einigen dieser Fälle bezweifelt werden. Doch in aller schönen Kunst besteht das Wesentliche in der Form, welche für die Beobachtung und Beurteilung zweckmäßig ist, wo die Lust zugleich Kultur ist und den Geist zu Ideen stimmt, mithin ihn mehrerer solcher Lust und Unterhaltung empfänglich macht; nicht in der Materie der Empfindung (dem Reize oder der Rührung), wo es bloß auf Genuß angelegt ist, welcher nichts in der Idee zurücklässt, den Geist stumpf, den Gegenstand nach und nach anekelnd, und das Gemüt, durch das Bewusstsein seiner im Urteile der Vernunft zweckwidrigen Stimmung, mit sich selbst unzufrieden und launisch macht.
Wenn die schönen Künste nicht, nahe oder fern, mit moralischen Ideen in Verbindung gebracht werden, die allein ein selbständiges Wohlgefallen bei sich führen, so ist das letztere ihr endliches Schicksal. Sie dienen alsdann nur zur Zerstreuung, deren man immer desto mehr bedürftig wird, als man sich ihrer bedient, um die Unzufriedenheit des Gemüts mit sich selbst dadurch zu vertreiben, dass man sich immer noch unnützlicher und mit sich selbst unzufriedener macht. Überhaupt sind die Schönheiten der Natur zu der ersteren Absicht am zuträglichsten, wenn man früh dazu gewöhnt wird, sie zu beobachten, zu beurteilen, und zu bewundern.
53. Vergleichung des ästhetischen Werts der schönen Künste untereinander
Unter allen behauptet die Dichtkunst (die fast gänzlich dem Genie ihren Ursprung verdankt, und am wenigsten durch Vorschrift, oder durch Beispiele geleitet sein will) den obersten Rang. Sie erweitert das Gemüt dadurch, dass sie die Einbildungskraft in Freiheit setzt und innerhalb den Schranken eines gegebenen Begriffs, unter der unbegrenzten Mannigfaltigkeit möglicher damit zusammenstimmender Formen, diejenige darbietet, welche die Darstellung desselben mit einer Gedankenfülle verknüpft, der kein Sprachausdruck völlig adäquat ist, und sich also ästhetisch zu Ideen erhebt. Sie stärkt das Gemüt, indem sie es sein freies, selbsttätiges und von der Naturbestimmung unabhängiges Vermögen fühlen lässt, die Natur, als Erscheinung, nach Ansichten zu betrachten und zu beurteilen, die sie nicht von selbst, weder für den Sinn noch den Verstand in der Erfahrung darbietet, und sie also zum Behuf und gleichsam zum Schema des Übersinnlichen zu gebrauchen. Sie spielt mit dem Schein, den sie nach Belieben bewirkt, ohne doch dadurch zu betrügen; denn sie erklärt ihre Beschäftigung selbst für bloßes Spiel, welches gleichwohl vom Verstande und zu dessen Geschäfte zweckmäßig gebraucht werden kann. Die Beredsamkeit, sofern darunter die Kunst zu überreden, d.h. durch den schönen Schein zu hintergehen (als ars oratoria), und nicht bloße Wohlredenheit (Eloquenz und Stil) verstanden wird, ist eine Dialektik, die von der Dichtkunst nur so viel entlehnt, als nötig ist, die Gemüter, vor der Beurteilung, für den Redner zu dessen Vorteil zu gewinnen, und dieser die Freiheit zu benehmen; kann also weder für die Gerichtsschranken, noch für die Kanzeln angeraten werden. Denn wenn es um bürgerliche Gesetze, um das Recht einzelner Personen, oder um dauerhafte Belehrung und Bestimmung der Gemüter zur richtigen Kenntnis und gewissenhaften Beobachtung ihrer Pflicht, zu tun ist: so ist es unter der Würde eines so wichtigen Geschäftes, auch nur eine Spur von Üppigkeit des Witzes und der Einbildungskraft, noch mehr aber von der Kunst, zu überreden und zu irgend jemandes Vorteil einzunehmen, blicken zu lassen. Denn, wenn sie gleich bisweilen zu an sich rechtmäßigen und lobenswürdigen Absichten angewandt werden kann, so wird sie doch dadurch verwerflich, dass auf diese Art die Maximen und Gesinnungen subjektiv verderbt werden, wenn gleich die Tat objektiv gesetzmäßig ist: indem es nicht genug ist, das, was Recht ist, zu tun, sondern es auch aus dem Grunde allein, weil es Recht ist, auszuüben. Auch hat der bloße deutliche Begriff dieser Arten von menschlicher Angelegenheit, mit einer lebhaften Darstellung in Beispielen verbunden, und ohne Verstoß wider die Regeln des Wohllauts der Sprache, oder der Wohlanständigkeit des Ausdrucks, für Ideen der Vernunft (die zusammen die Wohlredenheit ausmachen) schon an sich hinreichenden Einfluss auf menschliche Gemüter, als dass es nötig wäre, noch die Maschinen der Überredung hierbei anzulegen; welche, da sie eben sowohl auch zur Beschönigung oder Verdeckung des Lasters und Irrtums gebraucht werden können, den geheimen Verdacht wegen einer künstlichen Überlistung nicht ganz vertilgen können. In der Dichtkunst geht alles ehrlich und aufrichtig zu. Sie erklärt sich: ein bloßes unterhaltendes Spiel mit der Einbildungskraft, und zwar der Form nach, einstimmig mit Verstandesgesetzen treiben zu wollen; und verlangt nicht, den Verstand durch sinnliche Darstellung zu überschleichen und zu verstricken.
Nach der Dichtkunst würde ich, wenn es um Reiz und Bewegung des Gemüts zu tun ist, diejenige, welche ihr unter den redenden am nächsten kommt und sich damit auch sehr natürlich vereinigen lässt, nämlich die Tonkunst, setzen. Denn, ob sie zwar durch lauter Empfindungen ohne Begriffe spricht, mithin nicht, wie die Poesie, etwas zum Nachdenken übrig bleiben lässt, so bewegt sie doch das Gemüt mannigfaltiger, und, obgleich bloß vorübergehend, doch inniglicher; ist aber freilich mehr Genuß als Kultur (das Gedankenspiel, was nebenbei dadurch erregt wird, ist bloß die Wirkung einer gleichsam mechanischen Assoziation); und hat, durch Vernunft beurteilt, weniger Wert, als jede andere der schönen Künste. Daher verlangt sie, wie jeder Genuß, öfteren Wechsel, und hält die mehrmalige Wiederholung nicht aus ohne Überdruß zu erzeugen. Der Reiz derselben, der sich so allgemein mitteilen lässt, scheint darauf zu beruhen: dass jeder Ausdruck der Sprache im Zusammenhange einen Ton hat, der dem Sinne desselben angemessen ist; dass dieser Ton mehr oder weniger einen Affekt des Sprechenden bezeichnet und gegenseitig auch im Hörenden hervorbringt, der denn in diesem umgekehrt auch die Idee erregt, die in der Sprache mit solchem Tone ausgedrückt wird; und dass, so wie die Modulation gleichsam eine allgemeine jedem Menschen verständliche Sprache der Empfindungen ist, die Tonkunst diese für sich allein in ihrem ganzen Nachdrucke, nämlich als Sprache der Affekten ausübe, und so, nach dem Gesetze der Assoziation, die damit natürlicher Weise verbundenen ästhetischen Ideen allgemein mitteile; dass aber, weil jene ästhetischen Ideen keine Begriffe und bestimmte Gedanken sind, die Form der Zusammensetzung dieser Empfindungen (Harmonie und Melodie) nur, statt der Form einer Sprache, dazu diene vermittelst einer proportionierten Stimmung derselben (welche, weil sie bei Tönen auf dem Verhältnis der Zahl der Luftbebungen in derselben Zeit, sofern die Töne zugleich oder auch nach einander verbunden werden, beruht, mathematisch unter gewisse Regeln gebracht werden kann), die ästhetische Idee eines zusammenhangenden Ganzen einer unnennbaren Gedankenfülle, einem gewissen Thema gemäß, welches den in dem Stücke herrschenden Affekt ausmacht, auszudrücken. An dieser mathematischen Form, obgleich nicht durch beistimmte Begriffe vorgestellt, hängt allein das Wohlgefallen, welches die bloße Reflexion über eine solche Menge einander begleitender oder folgender Empfindungen mit diesem Spiele derselben als für jedermann gültige Bedingung seiner Schönheit verknüpft; und sie ist es allein, nach welcher der Geschmack sich ein Recht, über das Urteil von jedermann zum voraus auszusprechen, anmaßen darf.
Aber an dem Reize und der Gemütsbewegung, welche die Musik hervorbringt, hat die Mathematik sicherlich nicht den mindesten Anteil; sondern sie ist nur die unumgängliche Bedingung (conditio sine qua non) derjenigen Proportion der Eindrücke, in ihrer Verbindung sowohl als ihrem Wechsel, wodurch es möglich wird, sie zusammen zu fassen, und zu verhindern, dass diese einander nicht zerstören, sondern zu einer kontinuierlichen Bewegung und Belebung des Gemüts durch damit konsonierende Affekte und hiermit zu einem behaglichen Selbstgenusse zusammenstimmen.
Wenn man dagegen den Wert der schönen Künste nach der Kultur schätzt, die sie dem Gemüt verschaffen, und die Erweiterung der Vermögen, welche in der Urteilskraft zum Erkenntnisse zusammen kommen müssen, zum Maßstabe nimmt: so hat Musik unter den schönen Künsten sofern den untersten (so wie unter denen, die zugleich nach ihrer Annehmlichkeit geschätzt werden, vielleicht den obersten) Platz, weil sie bloß mit Empfindungen spielt. Die bildenden Künste gehen ihr also in diesem Betracht weit vor; denn, indem sie die Einbildungskraft in ein freies und doch zugleich dem Verstande angemessenes Spiel versetzen, so treiben sie zugleich ein Geschäft, indem sie ein Produkt zu Stande bringen, welches den Verstandesbegriffen zu einem dauerhaften und für sich selbst sich empfehlenden Vehikel dient, die Vereinigung derselben mit der Sinnlichkeit und so gleichsam die Urbanität der obern Erkenntniskräfte zu befördern. Beiderlei Art Künste nehmen einen ganz verschiedenen Gang: die erstere von Empfindungen zu unbestimmten Ideen; die zweite Art aber von bestimmten Ideen zu Empfindungen. Die letzteren sind von bleibendem, die ersteren nur von transitorischem Eindrucke. Die Einbildungskraft kann jene zurückrufen und sich damit angenehm unterhalten; diese aber erlöschen entweder gänzlich, oder, wenn sie unwillkürlich von der Einbildungskraft wiederholt werden, sind sie uns eher lästig als angenehm. Außerdem hängt der Musik ein gewisser Mangel der Urbanität an, dass sie, vornehmlich nach Beschaffenheit ihrer Instrumente, ihren Einfluss weiter, als man ihn verlangt (auf die Nachbarschaft), ausbreitet, und so sich gleichsam aufdringt, mithin der Freiheit andrer, außer der musikalischen Gesellschaft, Abbruch tut; welches die Künste, die zu den Augen reden, nicht tun, indem man seine Augen nur wegwenden darf, wenn man ihren Eindruck nicht einlassen will. Es ist hiermit fast so, wie mit der Ergötzung durch einen sich weit ausbreitenden Geruch bewandt. Der, welcher sein parfümiertes Schnupftuch aus der Tasche zieht, traktiert alle um und neben sich wider ihren Willen und nötigt sie, wenn sie atmen wollen, zugleich zu genießen; daher es auch aus der Mode gekommen ist.
Unter den bildenden Künsten würde ich der Malerei den Vorzug geben: teils weil sie, als Zeichnungskunst, allen übrigen bildenden zum Grunde liegt; teils weil sie weit mehr in die Region der Ideen eindringen, und auch das Feld der Anschauung, diesen gemäß, mehr erweitern kann, als es den übrigen verstattet ist.
Anmerkung
Zwischen dem, was bloß in der Beurteilung gefällt, und dem, was vergnügt (in der Empfindung gefällt), ist, wie wir oft gezeigt haben, ein wesentlicher Unterschied. Das letztere ist etwas, welches man nicht so, wie das erstere, jedermann ansinnen kann. Vergnügen (die Ursache desselben mag immerhin auch in Ideen liegen) scheint jederzeit in einem Gefühl der Beförderung des gesamten Lebens des Menschen, mithin auch des körperlichen Wohlbefindens, d.h. der Gesundheit, zu bestehen; so dass Epikur, der alles Vergnügen im Grunde für körperliche Empfindung ausgab, sofern vielleicht nicht Unrecht haben mag, und sich nur selbst missverstand, wenn er das intellektuelle und selbst praktische Wohlgefallen zu den Vergnügen zählte. Wenn man den letzteren Unterschied vor Augen hat, so kann man sich erklären, wie ein Vergnügen dem, der es empfindet, selbst missfallen könne (wie die Freude eines dürftigen aber wohldenkenden Menschen über die Erbschaft von seinem ihn liebenden aber kargen Vater), oder wie ein tiefer Schmerz dem, der ihn leidet, doch gefallen könne (die Traurigkeit einer Witwe über ihres verdienstvollen Mannes Tod), oder wie ein Vergnügen oben ein noch gefallen könne (wie das an Wissenschaften, die wir treiben), oder ein Schmerz (z.B. Hass, Neid und Rachgierde) uns noch dazu missfallen könne. Das Wohlgefallen oder Missfallen beruht hier auf der Vernunft, und ist mit der Billigung oder Missbilligung einerlei; Vergnügen und Schmerz aber können nur auf dem Gefühl oder der Aussicht auf ein (aus welchem Grunde es auch sei) mögliches Wohl- oder Übelbefinden beruhen.
Alles wechselnde freie Spiel der Empfindungen (die keine Absicht zum Grunde haben) vergnügt, weil es das Gefühl der Gesundheit befördert: wir mögen nun in der Vernunftbeurteilung an seinem Gegenstande und selbst an diesem Vergnügen ein Wohlgefallen haben oder nicht; und dieses Vergnügen kann bis zum Affekt steigen, obgleich wir an dem Gegenstande selbst kein Interesse, wenigstens kein solches nehmen, was dem Grad des letzteren proportioniert wäre. Wir können sie ins Glücksspiel, Tonspiel und Gedankenspiel einteilen. Das erste fordert ein Interesse, es sei der Eitelkeit oder des Eigennutzes, welches aber bei weitem nicht so groß ist, als das Interesse an der Art, wie wir es uns zu verschaffen suchen; das zweite bloß den Wechsel der Empfindungen, deren jede ihre Beziehung auf Affekt, aber ohne den Grad eines Affekts hat, und ästhetische Ideen rege macht; das dritte entspringt bloß aus dem Wechsel der Vorstellungen, in der Urteilskraft, wodurch zwar kein Gedanke, der irgendein Interesse bei sich führte, erzeugt, das Gemüt aber doch belebt wird.
Wie vergnügend die Spiele sein müssen, ohne dass man nötig hätte, interessierte Absicht dabei zum Grunde zu legen, zeigen alle unsere Abendgesellschaften; denn ohne Spiel kann sich beinahe keine unterhalten. Aber die Affekten der Hoffnung, der Furcht, der Freude, des Zorns, des Hohns spielen dabei, indem sie jeden Augenblick ihre Rolle wechseln, und sind so lebhaft, dass dadurch, als eine innere Motion, das ganze Lebensgeschäft im Körper befördert zu sein scheint, wie eine dadurch erzeugte Munterkeit des Gemüts es beweist, obgleich weder etwas gewonnen noch gelernt worden. Aber da das Glücksspiel kein schönes Spiel ist, so wollen wir es hier bei Seite setzen. Hingegen Musik und Stoff zum Lachen sind zweierlei Arten des Spiels mit ästhetischen Ideen, oder auch Verstandesvorstellungen, wodurch am Ende nichts gedacht wird, und die bloß durch ihren Wechsel, und dennoch lebhaft vergnügen können; wodurch sie ziemlich klar zu erkennen geben, dass die Belebung in beiden bloß körperlich sei, ob sie gleich von Ideen des Gemüts erregt wird, und dass das Gefühl der Gesundheit, durch eine jenem Spiele korrespondierende Bewegung der Eingeweide, das ganze, für so fein und geistvoll gepriesene, Vergnügen einer aufgeweckten Gesellschaft ausmacht. Nicht die Beurteilung der Harmonie in Tönen oder Witzeinfällen, die mit ihrer Schönheit nur zum notwendigen Vehikel dient, sondern das beförderte Lebensgeschäft im Körper, der Affekt, der die Eingeweide und das Zwerchfell bewegt, mit einem Worte das Gefühl der Gesundheit (welche sich ohne solche Veranlassung sonst nicht fühlen lässt) machen das Vergnügen aus, welches man daran findet, dass man dem Körper auch durch die Seele beikommen und diese zum Arzt von jenem brauchen kann.
In der Musik geht dieses Spiel von der Empfindung des Körpers zu ästhetischen Ideen (der Objekte für Affekten), von diesen alsdann wieder zurück, aber mit vereinigter Kraft, auf den Körper. Im Scherze (der eben sowohl wie jene eher zur angenehmen, als schönen Kunst gezählt zu werden verdient) hebt das Spiel von Gedanken an, die insgesamt, sofern sie sich sinnlich ausdrücken wollen, auch den Körper beschäftigen; und, indem der Verstand in dieser Darstellung, worin er das Erwartete nicht findet, plötzlich nachlässt, so fühlt man die Wirkung dieser Nachlassung im Körper durch die Schwingung der Organen, welche die Herstellung ihres Gleichgewichts befördert und auf die Gesundheit einen wohltätigen Einfluss hat.
Es muss in allem, was ein lebhaftes erschütterndes Lachen erregen soll, etwas Widersinniges sein (woran also der Verstand an sich kein Wohlgefallen finden kann). Das Lachen ist ein Affekt aus der plötzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung in nichts. Eben diese Verwandlung, die für den Verstand gewiss nicht erfreulich ist, erfreuet doch indirekt auf einen Augenblick sehr lebhaft. Also muss die Ursache in dem Einflusse der Vorstellung auf den Körper und dessen Wechselwirkung auf das Gemüt bestehen; und zwar nicht, sofern die Vorstellung objektiv ein Gegenstand des Vergnügens ist (denn wie kann eine getäuschte Erwartung vergnügen?), sondern lediglich dadurch, dass sie, als bloßes Spiel der Vorstellungen, ein Gleichgewicht der Lebenskräfte im Körper hervorbringt.
Wenn jemand erzählt: dass ein Indianer, der an der Tafel eines Engländers in Surate eine Bouteille mit Ale öffnen und alles dies Bier, in Schaum verwandelt, herausdringen sah, mit vielen Ausrufungen seine große Verwunderung anzeigte, und auf die Frage des Engländers: was ist denn hier sich so sehr zu verwundern, antwortete: Ich wundere mich auch nicht darüber, dass es herausgeht, sondern wie ihr’s habt herein kriegen können: so lachen wir, und es macht uns eine herzliche Lust: nicht, weil wir uns etwa klüger finden als diesen Unwissenden, oder sonst über etwas, was uns der Verstand hierin Wohlgefälliges bemerken ließe; sondern unsere Erwartung war gespannt, und verschwindet plötzlich in nichts. Oder wenn der Erbe eines reichen Verwandten diesem sein Leichenbegängnis recht feierlich veranstalten will, aber klagt, dass es ihm hiermit nicht recht gelingen wolle; denn (sagt er): je mehr ich meinen Trauerleuten Geld gebe, betrübt auszusehen, desto lustiger sehen sie aus: so lachen wir laut, und der Grund liegt darin, dass eine Erwartung sich plötzlich in nichts verwandelt. Man muss wohl bemerken: dass sie sich nicht in das positive Gegenteil eines erwarteten Gegenstandes, denn das ist immer etwas, und kann oft betrüben, sondern in nichts verwandeln müsse. Denn wenn jemand uns mit der Erzählung einer Geschichte große Erwartung erregt, und wir beim Schlüsse die Unwahrheit derselben sofort einsehen, so macht es uns Missfallen; wie z.B. die von Leuten, welche vor großem Gram in einer Nacht graue Haare bekommen haben sollen. Dagegen, wenn auf eine dergleichen Erzählung, zur Erwiderung, ein anderer Schalk sehr umständlich den Gram eines Kaufmanns erzählt, der, aus Indien mit allem seinen Vermögen in Waren nach Europa zurückkehrend, in einem schweren Sturm alles über Bord zu werfen genötigt wurde, und sich dermaßen grämte, dass ihm darüber in derselben Nacht die Perücke grau ward: so lachen wir, und es macht uns Vergnügen, weil wir unseren eignen Missgriff nach einem für uns übrigens gleichgültigen Gegenstande, oder vielmehr unsere verfolgte Idee, wie einen Ball, noch eine Zeitlang hinund herschlagen, indem wir bloß gemeint sind, ihn zu greifen und fest zu halten. Es ist hier nicht die Abfertigung eines Lügners oder Dummkopfs, welche das Vergnügen erweckt: denn auch für sich würde die letztere mit angenommenem Ernst erzählte Geschichte eine Gesellschaft in ein helles Lachen versetzen; und jenes wäre gewöhnlichermaßen auch der Aufmerksamkeit nicht wert.
Merkwürdig ist: dass in allen solchen Fällen der Spaß immer etwas in sich enthalten muss, welches auf feinen Augenblick täuschen kann; daher, wenn der Schein in nichts verschwindet, das Gemüt wieder zurücksieht, um es mit ihm noch einmal zu versuchen, und so durch schnell hintereinander folgende Anspannung und Abspannung hin- und zurückgeschnellt und in Schwankung gesetzt wird: die, weil der Absprung von dem, was gleichsam die Saite anzog, plötzlich (nicht durch ein allmähliches Nachlassen) geschah eine Gemütsbewegung und mit ihr harmonierende inwendige körperliche Bewegung verursachen muss, die unwillkürlich fortdauert, und Ermüdung dabei aber auch Aufheiterung (die Wirkungen einer zur Gesundheit gereichenden Motion) hervorbringt.
Denn, wenn man annimmt, dass mit allen unseren Gedanken zugleich irgendeine Bewegung in den Organen des Körpers harmonisch verbunden sei: so wird man so ziemlich begreifen, wie jener plötzlichen Versetzung des Gemüts bald in einen bald in den anderen Standpunkt, um seinen Gegenstand zu betrachten, eine wechselseitige Anspannung und Loslassung der elastischen Teile unserer Eingeweide, die sich dem Zwerchfell mitteilt, korrespondieren könne (gleich derjenigen, welche kitzlige Leute fühlen): wobei die Lunge die Luft mit schnell einander folgenden Absätzen ausstößt, und so eine der Gesundheit zuträgliche Bewegung bewirkt, welche allein und nicht das, was im Gemüte vorgeht, die eigentliche Ursache des Vergnügens an einem Gedanken ist, der im Grunde nichts vorstellt. Voltaire sagte, der Himmel habe uns zum Gegengewicht gegen die vielen Mühseligkeiten des Lebens zwei Dinge gegeben: die Hoffnung, und den Schlaf. Er hätte noch das Lachen dazu rechnen können; wenn die Mittel, es bei Vernünftigen zu erregen, nur so leicht bei der Hand wären, und der Witz oder die Originalität der Laune, die dazu erforderlich sind, nicht ebenso selten wären, als häufig das Talent ist, kopfbrechend, wie mystische Grübler, halsbrechend, wie Genies, oder herzbrechend, wie empfindsame Romanschreiber (auch wohl dergleichen Moralisten), zu dichten.
Man kann also, wie mich dünkt, dem Epikur wohl einräumen: dass alles Vergnügen, wenn es gleich durch Begriffe veranlasst wird, welche ästhetische Ideen erwecken, animalische, d.h. körperliche Empfindung sei; ohne dadurch dem geistigen Gefühl der Achtung für moralische Ideen, welches kein Vergnügen ist, sondern eine Selbstschätzung (der Menschheit in uns), die uns über das Bedürfnis desselben erhebt, ja selbst nicht einmal dem minder edlen des Geschmacks, im mindesten Abbruch zu tun.
Etwas aus beiden Zusammengesetztes findet sich in der Naivität, die der Ausbruch der der Menschheit ursprünglich natürlichen Aufrichtigkeit wider die zur anderen Natur gewordenen Verstellungskunst ist. Man lacht über die Einfalt, die es noch nicht versteht, sich zu verstellen; und erfreut sich doch auch über die Einfalt der Natur, die jener Kunst hier einen Querstrich spielt. Man erwartete die alltägliche Sitte der gekünstelten und auf den schönen Schein vorsichtig angelegten Äußerung; und siehe! es ist die unverdorbene schuldlose Natur, die man anzutreffen gar nicht gewärtig, und die der, welcher sie blicken ließ, zu entblößen auch nicht gemeinet war. Dass der schöne, aber falsche Schein, der gewöhnlich in unserm Urteile sehr viel bedeutet, sich hier plötzlich in nichts verwandelt, dass gleichsam der Schalk in uns selbst bloßgestellt wird, bringt die Bewegung des Gemüts nach zwei entgegengesetzten Richtungen nacheinander hervor, die zugleich den Körper heilsam schüttelt. Dass aber etwas, was unendlich besser als alle angenommene Sitte ist, die Lauterkeit der Denkungsart (wenigstens die Anlage dazu) doch nicht ganz in der menschlichen Natur erloschen ist, mischt Ernst und Hochschätzung in dieses Spiel der Urteilskraft. Weil es aber nur eine auf kurze Zeit sich hervortuende Erscheinung ist, und die Decke der Verstellungskunst bald wieder vorgezogen wird: so mengt sich zugleich ein Bedauren darunter, welches eine Rührung der Zärtlichkeit ist, die sich als Spiel mit einem solchen gutherzigen Lachen sehr wohl verbinden lässt, und auch wirklich damit gewöhnlich verbindet, zugleich auch demjenigen, der den Stoff dazu hergibt, die Verlegenheit darüber, dass er noch nicht nach Menschenweise gewitzigt ist, zu vergüten pflegt. Eine Kunst, naiv zu sein, ist daher ein Widerspruch; allein die Naivität in einer erdichteten Person vorzustellen, ist wohl möglich, und schöne obzwar auch seltene Kunst. Mit der Naivität muss offenherzige Einfalt, welche die Natur nur darum nicht verkünstelt, weil sie sich darauf nicht versteht, was Kunst des Umganges sei, nicht verwechselt werden.
Zu dem, was aufmunternd, mit dem Vergnügen aus dem Lachen nahe verwandt, und zur Originalität des Geistes, aber eben nicht zum Talent der schönen Kunst gehörig ist, kann auch die launichte Manier gezählt werden. Laune im guten Verstande bedeutet nämlich das Talent, sich willkürlich in eine gewisse Gemütsdisposition versetzen zu können, in der alle Dinge ganz anders als gewöhnlich (sogar umgekehrt), und doch gewissen Vernunftprinzipien in einer solchen Gemütsstimmung gemäß, beurteilt werden. Wer solchen Veränderungen unwillkürlich unterworfen ist, ist launisch; wer sie aber willkürlich und zweckmäßig (zum Behuf einer lebhaften Darstellung vermittelst eines Lachen erregenden Kontrastes) anzunehmen vermag, der und sein Vortrag heißt launicht. Diese Manier gehört indes mehr zur angenehmen als schönen Kunst, weil der Gegenstand der letzteren immer einige Würde an sich zeigen muss, und daher einen gewissen Ernst in der Darstellung, so wie der Geschmack in der Beurteilung, erfordert.
Der Kritik der ästhetischen Urteilskraft
Zweiter Abschnitt.
Die Dialektik der ästhetischen Urteilskraft
55
Eine Urteilskraft, die dialektisch sein soll, muss zuvörderst vernünftelnd sein; d.h. die Urteile derselben müssen auf Allgemeinheit, und zwar a priori, Anspruch machen; denn in solcher Urteile Entgegensetzung besteht die Dialektik. Daher ist die Unvereinbarkeit ästhetischer Sinnesurteile (über das Angenehme und Unangenehme) nicht dialektisch. Auch der Widerstreit der Geschmacksurteile, sofern sich ein jeder bloß auf seinen eigenen Geschmack beruft, macht keine Dialektik des Geschmacks aus; weil niemand sein Urteil zur allgemeinen Regel zu machen gedenkt. Es bleibt also kein Begriff von einer Dialektik übrig, welche den Geschmack angehen könnte, als der einer Dialektik der Kritik des Geschmacks (nicht des Geschmacks selbst) in Ansehung ihrer Prinzipien: da nämlich über den Grund der Möglichkeit der Geschmacksurteile überhaupt einander widerstreitende Begriffe natürlicher und unvermeidlicher Weise auftreten. Transzendentale Kritik des Geschmacks wird also nur sofern einen Teil enthalten, der den Namen einer Dialektik der ästhetischen Urteilskraft führen kann, wenn sich eine Antinomie der Prinzipien dieses Vermögens findet, welche die Gesetzmäßigkeit desselben, mithin auch seine innere Möglichkeit, zweifelhaft macht.
56. Vorstellung der Antinomie des Geschmacks
Der erste Gemeinort des Geschmacks ist in dem Satze, womit sich jeder Geschmacklose gegen Tadel zu verwahren denkt, enthalten: Ein jeder hat seinen eignen Geschmack. Das heißt so viel, als: der Bestimmungsgrund dieses Urteils ist bloß subjektiv (Vergnügen oder Schmerz); und das Urteil hat kein Recht auf die notwendige Beistimmung anderer.
Der zweite Gemeinort desselben, der auch von denen sogar gebraucht wird, die dem Geschmacksurteile das Recht einräumen, für jedermann gültig auszusprechen, ist: über den Geschmack lässt sich nicht disputieren. Das heißt soviel, als: der Bestimmungsgrund eines Geschmacksurteils mag zwar auch objektiv sein, aber er lässt sich nicht auf bestimmte Begriffe bringen; mithin kann über das Urteil selbst durch Beweise nichts entschieden werden, obgleich darüber gar wohl und mit Recht gestritten werden kann. Denn Streiten und Disputieren sind zwar darin einerlei, dass sie durch wechselseitigen Widerstand der Urteile Einhelligkeit derselben hervorzubringen suchen, darin aber verschieden, dass das letztere dieses nach bestimmten Begriffen als Beweisgründen zu bewirken hofft, mithin objektive Begriffe als Gründe des Urteils annimmt. Wo dieses aber als untunlich betrachtet wird, da wird das Disputieren eben sowohl als untunlich beurteilt.
Man sieht leicht, dass zwischen diesen zweien Gemeinörtern ein Satz fehlt, der zwar nicht sprichwörtlich im Umlaufe, aber doch in jedermanns Sinne enthalten ist, nämlich: über den Geschmack lässt sich streiten (obgleich nicht disputieren). Dieser Satz aber enthält das Gegenteil des obersten Satzes. Denn worüber es erlaubt sein soll zu streiten, da muss Hoffnung sein, untereinander überein zu kommen; mithin muss man auf Gründe des Urteils, die nicht bloß Privatgültigkeit haben und also nicht bloß subjektiv sind, rechnen können; welchem gleichwohl jener Grundsatz: ein jeder hat seinen eignen Geschmack, gerade entgegen ist.
Es zeigt sich also in Ansehung des Prinzips des Geschmacks folgende Antinomie:
1) Thesis. Das Geschmacksurteil gründet sich nicht auf Begriffen; denn sonst ließe sich darüber disputieren (durch Beweise entscheiden).
2) Antithesis. Das Geschmacksurteil gründet sich auf Begriffen; denn sonst ließe sich, ungeachtet der Verschiedenheit desselben, darüber auch nicht einmal streiten (auf die notwendige Einstimmung anderer mit diesem Urteile Anspruch machen).
57. Auflösung der Antinomie des Geschmacks
Es ist keine Möglichkeit, den Widerstreit jener jedem Geschmacksurteile untergelegten Prinzipien (welche nichts anderes sind, als die oben in der Analytik vorgestellten zwei Eigentümlichkeiten des Geschmacksurteils) zu heben, als dass man zeigt: der Begriff, worauf man das Objekt in dieser Art Urteile bezieht, werde in beiden Maximen der ästhetischen Urteilskraft nicht in einerlei Sinn genommen; dieser zwiefache Sinn, oder Gesichtspunkt, der Beurteilung sei unserer transzendentalen Urteilskraft notwendig; aber auch der Schein, in der Vermengung des einen mit dem anderen, als natürliche Illusion, unvermeidlich.
Auf irgendeinen Begriff muss sich das Geschmacksurteil beziehen; denn sonst könnte es schlechterdings nicht auf notwendige Gültigkeit für jedermann Anspruch machen. Aber aus einem Begriffe darf es darum eben nicht erweislich sein, weil ein Begriff entweder bestimmbar, oder auch an sich unbestimmt und zugleich unbestimmbar, sein kann. Von der ersteren Art ist der Verstandesbegriff, der durch Prädikate der sinnlichen Anschauung, die ihm korrespondieren kann, bestimmbar ist; von der zweiten aber der transzendentale Vernunftbegriff von dem Übersinnlichen, was aller jener Anschauung zum Grunde liegt, der also weiter nicht theoretisch bestimmt werden kann.
Nun geht das Geschmacksurteil auf Gegenstände der Sinne, aber nicht um einen Begriff derselben für den Verstand zu bestimmen; denn es ist kein Erkenntnisurteil. Es ist daher, als auf das Gefühl der Lust bezogene anschauliche einzelne Vorstellung, nur ein Privaturteil: und sofern würde es seiner Gültigkeit nach auf das urteilende Individuum allein beschränkt sein; der Gegenstand ist für mich ein Gegenstand des Wohlgefallens, für andre mag es sich anders verhalten; ein jeder hat seinen Geschmack.
Gleichwohl ist ohne Zweifel im Geschmacksurteile eine erweiterte Beziehung der Vorstellung des Objekts (zugleich auch des Subjekts) enthalten, worauf wir eine Ausdehnung dieser Art Urteile, als notwendig für jedermann, gründen: welcher daher notwendig irgendein Begriff zum Grunde liegen muss; aber ein Begriff, der sich gar nicht durch Anschauung bestimmen, durch den sich nichts erkennen, mithin auch kein Beweis für das Geschmacksurteil führen lässt. Ein dergleichen Begriff aber ist der bloße reine Vernunftbegriff von dem Übersinnlichen, was dem Gegenstande (und auch dem urteilenden Subjekte) als Sinnenobjekte, mithin als Erscheinung, zum Grunde liegt. Denn nähme man eine solche Rücksicht nicht an, so wäre der Anspruch des Geschmacksurteils auf allgemeine Gültigkeit nicht zu retten; wäre der Begriff, worauf es sich gründet, ein nur bloß verworrener Verstandesbegriff, etwa von Vollkommenheit, dem man korrespondierend die sinnliche Anschauung des Schönen beigeben könnte: so würde es wenigstens an sich möglich sein, das Geschmacksurteil auf Beweise zu gründen; welches der Thesis widerspricht.
Nun fällt aber aller Widerspruch weg, wenn ich sage: das Geschmacksurteil gründet sich auf einem Begriffe (eines Grundes überhaupt von der subjektiven Zweckmäßigkeit der Natur für die Urteilskraft), aus dem aber nichts in Ansehung des Objekts erkannt und bewiesen werden kann, weil er an sich unbestimmbar und zum Erkenntnis untauglich ist; es bekommt aber durch eben denselben doch zugleich Gültigkeit für jedermann (bei jedem zwar als einzelnes, die Anschauung unmittelbar begleitendes, Urteil): weil der Bestimmungsgrund desselben vielleicht im Begriffe von demjenigen liegt, was als das übersinnliche Substrat der Menschheit angesehen werden kann.
Es kommt bei der Auflösung einer Antinomie nur auf die Möglichkeit an, dass zwei einander dem Scheine nach widerstreitende Sätze einander in der Tat nicht widersprechen, sondern neben einander bestehen können, wenn gleich die Erklärung der Möglichkeit ihres Begriffs unser Erkenntnisvermögen übersteigt. Dass dieser Schein auch natürlich und der menschlichen Vernunft unvermeidlich sei, imgleichen warum er es sei und bleibe, ob er gleich nach der Auflösung des Scheinwiderspruchs nicht betrügt, kann hieraus auch begreiflich gemacht werden.
Wir nehmen nämlich den Begriff, worauf die Allgemeingültigkeit eines Urteils sich gründen muss, in beiden widerstreitenden Urteilen in einerlei Bedeutung, und sagen doch von ihm zwei entgegengesetzte Prädikate aus. In der Thesis sollte es daher heißen: Das Geschmacksurteil gründet sich nicht auf bestimmten Begriffen; in der Antithesis aber: Das Geschmacksurteil gründet sich doch auf einem, obzwar unbestimmten, Begriffe (nämlich vom übersinnlichen Substrat der Erscheinungen); und alsdann wäre zwischen ihnen kein Widerstreit.
Mehr, als diesen Widerstreit in den Ansprüchen und Gegenansprüchen des Geschmacks zu heben, können wir nicht leisten. Ein bestimmtes objektives Prinzip des Geschmacks, wonach die Urteile desselben geleitet, geprüft und bewiesen werden könnten, zu geben, ist schlechterdings unmöglich; denn es wäre alsdenn kein Geschmacksurteil. Das subjektive Prinzip, nämlich die unbestimmte Idee des Übersinnlichen in uns, kann nur als der einzige Schlüssel der Enträtselung dieses uns selbst seinen Quellen nach verborgenen Vermögens angezeigt, aber durch nichts weiter begreiflich gemacht werden.
Der hier aufgestellten und ausgeglichenen Antinomie liegt der richtige Begriff des Geschmacks, nämlich als einer bloß reflektierenden ästhetischen Urteilskraft, zum Grunde; und da wurden beide dem Scheine nach widerstreitende Grundsätze mit einander vereinigt, indem beide wahr sein können, welches auch genug ist. Würde dagegen zum Bestimmungsgrunde des Geschmacks (wegen der Einzelheit der Vorstellung, die dem Geschmacksurteil zum Grunde liegt), wie von einigen geschieht, die Annehmlichkeit, oder, wie andere (wegen der Allgemeingültigkeit desselben) wollen, das Prinzip der Vollkommenheit angenommen, und die Definition des Geschmacks darnach eingerichtet: so entspringt daraus eine Antinomie, die schlechterdings nicht auszugleichen ist, als so, dass man zeigt, dass beide einander (aber nicht bloß kontradiktorisch) entgegenstehende Sätze falsch sind: welches dann beweiset, dass der Begriff, worauf ein jeder gegründet ist, sich selbst widerspreche. Man sieht also, dass die Hebung der Antinomie der ästhetischen Urteilskraft einen ähnlichen Gang nehme mit dem, welchen die Kritik in Auflösung der Antinomien der reinen theoretischen Vernunft befolgte; und dass, ebenso hier und auch in der Kritik der praktischen Vernunft, die Antinomien wider Willen nötigen, über das Sinnliche hinaus zu sehen, und im Übersinnlichen den Vereinigungspunkt aller unserer Vermögen a priori zu suchen: weil kein anderer Ausweg übrig bleibt, die Vernunft mit sich selbst einstimmig zu machen.
Anmerkung I
Da wir in der Transzendental-Philosophie so oft Veranlassung finden, Ideen von Verstandesbegriffen zu unterscheiden, so kann es von Nutzen sein, ihrem Unterschiede angemessene Kunstausdrücke einzuführen. Ich glaube, man werde nichts dawider haben, wenn ich einige in Vorschlag bringe. Ideen in der allgemeinsten Bedeutung sind, nach einem gewissen (subjektiven oder objektiven) Prinzip, auf einen Gegenstand bezogene Vorstellungen, sofern sie doch nie eine Erkenntnis desselben werden können. Sie sind entweder nach einem bloß subjektiven Prinzip der Übereinstimmung der Erkenntnisvermögen untereinander (der Einbildungskraft und des Verstandes) auf eine Anschauung bezogen: und heißen alsdann ästhetische, oder nach einem objektiven Prinzip auf einen Begriff bezogen, können aber doch nie eine Erkenntnis des Gegenstandes abgeben: und heißen Vernunftideen; in welchem Falle der Begriff ein transzendenter Begriff ist, welcher vom Verstandesbegriffe, dem jederzeit eine adäquat korrespondierende Erfahrung untergelegt werden kann, und der darum immanent heißt, unterschieden ist.
Eine ästhetische Idee kann keine Erkenntnis werden, weil sie eine Anschauung (der Einbildungskraft) ist, der niemals ein Begriff adäquat gefunden werden kann. Eine Vernunftidee kann nie Erkenntnis werden, weil sie einen Begriff (vom Übersinnlichen) enthält, dem niemals eine Anschauung angemessen gegeben werden kann.
Nun glaube ich, man könne die ästhetische Idee eine inexponible Vorstellung der Einbildungskraft, die Vernunftidee aber einen indemonstrabeln Begriff der Vernunft nennen. Von beiden wird vorausgesetzt, dass sie nicht etwa gar grundlos, sondern (nach der obigen Erklärung einer Idee überhaupt) gewissen Prinzipen der Erkenntnisvermögen, wozu sie gehören, (jene den subjektiven, diese objektiven Prinzipien) gemäß erzeugt seien.
Verstandesbegriffe müssen, als solche, jederzeit demonstrabel sein (wenn unter Demonstrieren, wie in der Anatomie, bloß das Darstellen verstanden wird); d.h. der ihnen korrespondierende Gegenstand muss jederzeit in der Anschauung (reinen oder empirischen) gegeben werden können: denn dadurch allein können sie Erkenntnisse werden. Der Begriff der Größe kann in der Raumesanschauung a priori, z.B. einer geraden Linie u.s.w., gegeben werden; der Begriff der Ursache an der Undurchdringlichkeit, dem Stoße der Körper, u.s.w. Mithin können beide durch eine empirische Anschauung belegt, d.h. der Gedanken davon an einem Beispiele gewiesen (demonstriert, aufgezeigt) werden; und dieses muss geschehen können: widrigenfalls man nicht gewiss ist, ob der Gedanken nicht leer, d.h. ohne alles Objekt sei.
Man bedient sich in der Logik der Ausdrücke des Demonstrabeln oder Indemonstrabeln gemeiniglich nur in Ansehung der Sätze; da die ersteren besser durch die Benennung der nur mittelbar, die zweiten der unmittelbar gewissen Sätze könnten bezeichnet werden: denn die reine Philosophie hat auch Sätze von beiden Arten, wenn darunter beweisfähige und beweisunfähige wahre Sätze verstanden werden. Allein aus Gründen a priori kann sie, als Philosophie, zwar beweisen, aber nicht demonstrieren; wenn man nicht ganz und gar von der Wortbedeutung abgehen will, nach welcher demonstrieren (ostendere, exhibere) so viel heißt, als (es sei in Beweisen oder auch bloß im Definieren) seinen Begriff zugleich in der Anschauung darstellen: welche, wenn sie Anschauung a priori ist, das Konstruieren desselben heißt, wenn sie aber auch empirisch ist, gleichwohl die Vorzeigung des Objekts bleibt, durch welche dem Begriffe die objektive Realität gesichert wird. So sagt man von einem Anatomiker: er demonstriere das menschliche Auge, wenn er den Begriff, den er vorher diskursiv vorgetragen hat, vermittelst der Zergliederung dieses Organs anschaulich macht.
Diesem zufolge ist der Vernunftbegriff vom übersinnlichen Substrat aller Erscheinungen überhaupt, oder auch von dem, was unserer Willkür in Beziehung auf moralische Gesetze zum Grunde gelegt werden muss, nämlich von der transzendentalen Freiheit, schon der Spezies nach ein indemonstrabler Begriff und Vernunftidee, Tugend aber ist dies dem Grade nach: weil dem ersteren an sich gar nichts der Qualität nach in der Erfahrung Korrespondierendes gegeben werden kann, in der zweiten aber kein Erfahrungsprodukt jener Kausalität den Grad erreicht, den die Vernunftidee zur Regel vorschreibt.
So wie an einer Vernunftidee die Einbildungskraft, mit ihren Anschauungen, den gegebenen Begriff nicht erreicht: so erreicht bei einer ästhetischen Idee der Verstand, durch seine Begriffe, nie die ganze innere Anschauung der Einbildungskraft, welche sie mit einer gegebenen Vorstellung verbindet. Da nun eine Vorstellung der Einbildungskraft auf Begriffe bringen so viel heißt, als sie exponieren: so kann die ästhetische Idee eine inexponible Vorstellung derselben (in ihrem freien Spiele) genannt werden. Ich werde von dieser Art Ideen in der Folge noch einiges auszuführen Gelegenheit haben; jetzt bemerke ich nur: dass beide Arten von Ideen, die Vernunftideen sowohl als die ästhetischen, ihre Prinzipien haben müssen; und zwar beide in der Vernunft, jene in den objektiven, diese in den subjektiven Prinzipien ihres Gebrauchs.
Man kann diesem zufolge Genie auch durch das Vermögen ästhetischer Ideen erklären: wodurch zugleich der Grund angezeigt wird, warum in Produkten des Genies die Natur (des Subjekts), nicht ein überlegter Zweck, der Kunst (der Hervorbringung des Schönen) die Regel gibt. Denn da das Schöne nicht nach Begriffen beurteilt werden muss, sondern nach der zweckmäßigen Stimmung der Einbildungskraft zur Übereinstimmung mit dem Vermögen der Begriffe überhaupt: so kann nicht Regel und Vorschrift, sondern nur das, was bloß Natur im Subjekte ist, aber nicht unter Regeln oder Begriffe gefasst werden kann, d.h. das übersinnliche Substrat aller seiner Vermögen (welches kein Verstandesbegriff erreicht), folglich das, auf welches in Beziehung alle unsere Erkenntnisvermögen zusammenstimmend zu machen der letzte durch das Intelligible unserer Natur gegebene Zweck ist, jener ästhetischen, aber unbedingten Zweckmäßigkeit in der schönen Kunst, die jedermann gefallen zu müssen rechtmäßigen Anspruch machen soll, zum subjektiven Richtmaße dienen. So ist es auch allein möglich, dass dieser, der man kein objektives Prinzip vorschreiben kann, ein subjektives und doch allgemeingültiges Prinzip a priori zum Grunde liege.
Anmerkung II
Folgende wichtige Bemerkung bietet sich hier von selbst dar: dass es nämlich dreierlei Arten der Antinomie der reinen Vernunft gebe, die aber alle darin übereinkommen, dass sie dieselbe zwingen, von der sonst sehr natürlichen Voraussetzung, die Gegenstände der Sinne für die Dinge an sich selbst zu halten, abzugehen, sie vielmehr bloß für Erscheinungen gelten zu lassen, und ihnen ein intelligibles Substrat (etwas Übersinnliches, wovon der Begriff nur Idee ist und keine eigentliche Erkenntnis zulässt) unterzulegen. Ohne eine solche Antinomie würde die Vernunft sich niemals zu Annehmung eines solchen das Feld ihrer Spekulation so sehr verengenden Prinzips, und zu Aufopferungen, wobei so viele sonst sehr schimmernde Hoffnungen gänzlich verschwinden müssen, entschließen können; denn selbst jetzt, da sich ihr zur Vergütung dieser Einbuße ein um desto größerer Gebrauch in praktischer Rücksicht eröffnet, scheint sie sich nicht ohne Schmerz von jenen Hoffnungen trennen und von der alten Anhänglichkeit losmachen zu können.
Dass es drei Arten der Antinomie gibt, hat seinen Grund darin, dass es drei Erkenntnisvermögen: Verstand, Urteilskraft und Vernunft gibt, deren jedes (als oberes Erkenntnisvermögen) seine Prinzipien a priori haben muss; da denn die Vernunft, sofern sie über diese Prinzipien selbst und ihren Gebrauch urteilt, in Ansehung ihrer aller zu dem gegebenen Bedingten unnachlaßlich das Unbedingte fordert, welches sich doch nie finden lässt, wenn man das Sinnliche, als zu den Dingen an sich selbst gehörig betrachtet, und ihm nicht vielmehr, als bloßer Erscheinung, etwas Übersinnliches (das intelligible Substrat der Natur außer uns und in uns) als Sache an sich selbst unterlegt. Da gibt es dann 1) eine Antinomie der Vernunft in Ansehung des theoretischen Gebrauchs des Verstandes bis zum Unbedingten hinauf für das Erkenntnisvermögen; 2) eine Antinomie der Vernunft in Ansehung des ästhetischen Gebrauchs der Urteilskraft für das Gefühl der Lust und Unlust; 3) eine Antinomie in Ansehung des praktischen Gebrauchs der an sich selbst gesetzgebenden Vernunft für das Begehrungsvermögen: sofern alle diese Vermögen ihre obere Prinzipien a priori haben, und, gemäß einer unumgänglichen Forderung der Vernunft, nach diesen Prinzipien auch unbedingt müssen urteilen und ihr Objekt bestimmen können.
In Ansehung zweier Antinomien, der des theoretischen und der des praktischen Gebrauchs, jener obern Erkenntnisvermögen haben wir die Unvermeidlichkeit derselben, wenn dergleichen Urteile nicht auf ein übersinnliches Substrat der gegebenen Objekte, als Erscheinungen, zurücksehen, dagegen aber auch die Auflöslichkeit derselben, sobald das letztere geschieht, schon anderwärts gezeigt. Was nun die Antinomie im Gebrauch der Urteilskraft, gemäß der Forderung der Vernunft, und deren hier gegebene Auflösung betrifft: so gibt es kein anderes Mittel, derselben auszuweichen, als entweder zu leugnen, dass dem ästhetischen Geschmacksurteile irgendein Prinzip a priori zum Grunde liege, dass aller Anspruch auf Notwendigkeit allgemeiner Beistimmung grundloser leerer Wahn sei, und ein Geschmacksurteil nur sofern für richtig gehalten zu werden verdiene, weil es sich trifft, dass viele in Ansehung desselben übereinkommen, und auch dieses eigentlich nicht um deswillen, weil man hinter dieser Einstimmung ein Prinzip a priori vermutet, sondern (wie im Gaumengeschmack), weil die Subjekte zufälliger Weise gleichförmig organisiert seien; oder man müsste annehmen, dass das Geschmacksurteil eigentlich ein verstecktes Vernunfturteil über die an einem Dinge und die Beziehung des Mannigfaltigen in ihm zu einem Zwecke entdeckte Vollkommenheit sei, mithin nur um der Verworrenheit willen, die dieser unserer Reflexion anhängt, ästhetisch genannt werde, ob es gleich im Grunde teleologisch sei: in welchem Falle man die Auflösung der Antinomie durch transzendentale Ideen für unnötig und nichtig erklären, und so mit den Objekten der Sinne nicht als bloßen Erscheinungen, sondern auch als Dingen an sich selbst, jene Geschmacksgesetze vereinigen könnte. Wie wenig aber die eine sowohl als die andere Ausflucht verschlage, ist an mehrern Orten in der Exposition der Geschmacksurteile gezeigt worden.
Räumt man aber unserer Deduktion wenigstens so viel ein, dass sie auf dem rechten Wege geschehe, wenn gleich noch nicht in allen Stücken hell genug gemacht sei, so zeigen sich drei Ideen: erstlich des Übersinnlichen überhaupt, ohne weitere Bestimmung, als Substrats der Natur; zweitens eben desselben, als Prinzips der subjektiven Zweckmäßigkeit der Natur für unser Erkenntnisvermögen; drittens eben desselben, als Prinzips der Zwecke der Freiheit und Prinzips der Übereinstimmung derselben mit jener im Sittlichen.
58. Vom Idealismus der Zweckmässigkeit der Natur sowohl als Kunst, als dem alleinigen Prinzip der ästhetischen Urteilskraft
Man kann zuvörderst das Prinzip des Geschmacks entweder darin setzen, dass dieser jederzeit nach empirischen Bestimmungsgründen, und also nach solchen, die nur a posteriori durch Sinne gegeben werden, oder man kann einräumen, dass er aus einem Grunde a priori urteile. Das erstere wäre der Empirismus der Kritik des Geschmacks, das zweite der Rationalismus derselben. Nach dem ersten wäre das Objekt unseres Wohlgefallens nicht vom Angenehmen, nach dem zweiten, wenn das Urteil auf bestimmten Begriffen beruhete, nicht vom Guten unterschieden; und so würde alle Schönheit aus der Welt weggeleugnet, und nur ein besonderer Namen, vielleicht für eine gewisse Mischung von beiden vorgenannten Arten des Wohlgefallens, an dessen statt übrig bleiben. Allein wir haben gezeigt, dass es auch Gründe des Wohlgefallens a priori gebe, die also mit dem Prinzip des Rationalisms zusammen bestehen können, ungeachtet sie nicht in bestimmte Begriffe gefasst werden können.
Der Rationalismus des Prinzips des Geschmacks ist dagegen entweder der des Realismus der Zweckmäßigkeit, oder des Idealismus derselben. Weil nun ein Geschmacksurteil kein Erkenntnisurteil, und Schönheit keine Beschaffenheit des Objekts, für sich betrachtet, ist: so kann der Rationalismus des Prinzips des Geschmacks niemals darin gesetzt werden, dass die Zweckmäßigkeit in diesem Urteile als objektiv gedacht werde, d.h. dass das Urteil theoretisch, mithin auch logisch (wenn gleich nur in einer verworrenen Beurteilung), auf die Vollkommenheit des Objekts, sondern nur ästhetisch, auf die Übereinstimmung seiner Vorstellung in der Einbildungskraft mit den wesentlichen Prinzipien der Urteilskraft überhaupt, im Subjekte, gehe. Folglich kann, selbst nach dem Prinzip des Rationalisms, das Geschmacksurteil und der Unterschied des Realismus und Idealismus desselben nur darin gesetzt werden, dass entweder jene subjektive Zweckmäßigkeit im ersteren Falle als wirklicher (absichtlicher) Zweck der Natur (oder der Kunst), mit unserer Urteilskraft übereinzustimmen, oder im zweiten Falle nur als eine, ohne Zweck, von selbst und zufälliger Weise sich hervortuende zweckmäßige Übereinstimmung zu dem Bedürfnis der Urteilskraft, in Ansehung der Natur und ihrer nach besonderen Gesetzen erzeugten Formen, angenommen werde.
Dem Realismus der ästhetischen Zweckmäßigkeit der Natur, da man nämlich annehmen möchte: dass der Hervorbringung des Schönen eine Idee desselben in der hervorbringenden Ursache, nämlich ein Zweck zu Gunsten unserer Einbildungskraft, zum Grunde gelegen habe, reden die schönen Bildungen im Reiche der organisierten Natur gar sehr das Wort. Die Blumen, Blüten, ja die Gestalten ganzer Gewächse, die für ihren eigenen Gebrauch unnötige, aber für unseren Geschmack gleichsam ausgewählte Zierlichkeit der tierischen Bildungen von allerlei Gattungen; vornehmlich die unseren Augen so wohlgefällige und reizende Mannigfaltigkeit und harmonische Zusammensetzung der Farben (am Fasan, an Schaltieren, Insekten, bis zu den gemeinsten Blumen), die, indem sie bloß die Oberfläche, und auch an dieser nicht einmal die Figur der Geschöpfe, welche doch noch zu den inneren Zwecken derselben erforderlich sein könnte, betreffen, gänzlich auf äußere Beschauung abgezweckt zu sein scheinen: geben der Erklärungsart durch Annehmung wirklicher Zwecke der Natur für unsere ästhetische Urteilskraft ein großes Gewicht.
Dagegen widersetzt sich dieser Annahme nicht allein die Vernunft durch ihre Maximen, allerwärts die unnötige Vervielfältigung der Prinzipien nach aller Möglichkeit zu verhüten; sondern die Natur zeigt in ihren freien Bildungen überall so viel mechanischen Hang zu Erzeugung von Formen, die für den ästhetischen Gebrauch unserer Urteilskraft gleichsam gemacht zu sein scheinen, ohne den geringsten Grund zur Vermutung an die Hand zu geben, dass es dazu noch etwas mehr, als ihres Mechanismus, bloß als Natur, bedürfe, wonach sie, auch ohne alle ihnen zum Grunde liegende Idee, für unsere Beurteilung zweckmäßig sein können. Ich verstehe aber unter einer freien Bildung der Natur diejenige, wodurch aus einem Flüssigen in Ruhe, durch Verflüchtigung oder Absonderung eines Teils desselben (bisweilen bloß der Wärmmaterie) das übrige bei dem Festwerden eine bestimmte Gestalt, oder Gewebe (Figur oder Textur) annimmt, die, nach der spezifischen Verschiedenheit der Materien, verschieden, in eben derselben aber genau dieselbe ist. Hierzu aber wird, was man unter einer wahren Flüssigkeit jederzeit versteht, nämlich dass die Materie in ihr völlig aufgelöset, d.h. nicht als ein bloßes Gemenge fester und darin bloß schwebender Teile anzusehen sei, vorausgesetzt.
Die Bildung geschieht alsdann durch Anschießen, d.h. durch ein plötzliches Festwerden, nicht durch einen allmählichen Übergang aus dem flüssigen in den festen Zustand, sondern gleichsam durch einen Sprung, welcher Übergang auch das Kristallisieren genannt wird. Das gemeinste Beispiel von dieser Art Bildung ist das gefrierende Wasser, in welchem sich zuerst gerade Eisstrählchen erzeugen, die in Winkeln von 60 Grad sich zusammenfügen, indes sich andere an jedem Punkt derselben ebenso ansetzen, bis alles zu Eis geworden ist: so dass, während dieser Zeit, das Wasser zwischen den Eisstrählchen nicht allmählich zäher wird, sondern so vollkommen flüssig ist, als es bei weit größerer Wärme sein würde, und doch die völlige Eiskälte hat. Die sich absondernde Materie, die im Augenblicke des Festwerdens plötzlich entwischt, ist ein ansehnliches Quantum von Wärmestoff, dessen Abgang, da es bloß zum Flüssigsein erfordert ward, dieses nunmehrige Eis nicht im mindesten kälter, als das kurz vorher in ihm flüssige Wasser, zurücklässt.
Viele Salze, imgleichen Steine, die eine kristallinische Figur haben, werden ebenso von einer im Wasser, wer weiß durch was für Vermittelung, aufgelöseten Erdart erzeugt. Ebenso bilden sich die drusichten Konfigurationen vieler Minern, des würflichten Bleiglanzes, des Rotgüldenerzes, u.d.gl., allem Vermuten nach auch im Wasser, und durch Anschießen der Teile: indem sie durch irgendeine Ursache genötigt werden, dieses Vehikel zu verlassen, und sich untereinander in bestimmte äußere Gestalten zu vereinigen.
Aber auch innerlich zeigen alle Materien, welche bloß durch Hitze flüssig waren und durch Erkalten Festigkeit angenommen haben, im Bruche eine bestimmte Textur, und lassen daraus urteilen, dass, wenn nicht ihr eigenes Gewicht oder die Luftberührung es gehindert hätte, sie auch äußerlich ihre spezifisch eigentümliche Gestalt würden gewiesen haben: dergleichen man an einigen Metallen, die nach der Schmelzung äußerlich erhärtet, inwendig aber noch flüssig waren, durch Abzapfen des inneren noch flüssigen Teils und nunmehrigen ruhigen Anschießen des übrigen inwendig zurückgebliebenen, beobachtet hat. Viele von jenen mineralischen Kristallisationen, als die Spatdrusen, der Glaskopf, die Eisenblüte, geben oft überaus schöne Gestalten, wie sie die Kunst nur immer ausdenken möchte; und die Glorie in der Höhle von Antiparos ist bloß das Produkt eines sich durch Gipslager durchsickernden Wassers.
Das Flüssige ist, allem Ansehen nach, überhaupt älter als das Feste, und sowohl die Pflanzen als tierische Körper werden aus flüssiger Nahrungsmaterie gebildet, sofern sie sich in Ruhe formt: freilich zwar in der letzteren zuvörderst nach einer gewissen ursprünglichen auf Zwecke gerichteten Anlage (die, wie im zweiten Teile gewiesen werden wird, nicht ästhetisch, sondern teleologisch, nach dem Prinzip des Realismus beurteilt werden muss); aber nebenbei doch auch vielleicht als, dem allgemeinen Gesetze der Verwandtschaft der Materien gemäß, anschießend und sich in Freiheit bildend. So wie nun die in einer Atmosphäre, welche ein Gemisch verschiedener Luftarten ist, aufgelöseten wäßrigen Flüssigkeiten, wenn sich die letzteren, durch Abgang der Wärme von jener scheidet, Schneefiguren erzeugen, die nach Verschiedenheit der dermaligen Luftmischung von oft sehr künstlich scheinender und überaus schöner Figur sind: so lässt sich, ohne dem teleologischen Prinzip der Beurteilung der Organisation etwas zu entziehen, wohl denken: dass, was die Schönheit der Blumen, der Vogelfedern, der Muscheln, ihrer Gestalt sowohl als Farbe nach, betrifft, diese der Natur und ihrem Vermögen, sich in ihrer Freiheit, ohne besondere darauf gerichtete Zwecke, nach chemischen Gesetzen, durch Absetzung der zur Organisation erforderlichen Materie, auch ästhetisch-zweckmäßig zu bilden, zugeschrieben werden könne.
Was aber das Prinzip der Idealität der Zweckmäßigkeit im Schönen der Natur, als dasjenige, welches wir im ästhetischen Urteile selbst jederzeit zum Grunde legen, und welches uns keinen Realismus eines Zwecks derselben für unsere Vorstellungskraft zum Erklärungsgrunde zu brauchen erlaubt, geradezu beweiset: ist, dass wir in der Beurteilung der Schönheit überhaupt das Richtmaß derselben a priori in uns selbst suchen, und die ästhetische Urteilskraft in Ansehung des Urteils, ob etwas schön sei oder nicht, selbst gesetzgebend ist, welches bei Annehmung des Realismus der Zweckmäßigkeit der Natur nicht stattfinden kann; weil wir da von der Natur lernen müssten, was wir schön zu finden hätten, und das Geschmacksurteil empirischen Prinzipien unterworfen sein würde. Denn in einer solchen Beurteilung kommt es nicht darauf an, was die Natur ist, oder auch für uns als Zweck ist, sondern wie wir sie aufnehmen. Es würde immer eine objektive Zweckmäßigkeit der Natur sein, wenn sie für unser Wohlgefallen ihre Formen gebildet hätte; und nicht eine subjektive Zweckmäßigkeit, welche auf dem Spiele der Einbildungskraft in ihrer Freiheit beruhete, wo es Gunst ist, womit wir die Natur aufnehmen, nicht Gunst, die sie uns erzeigt. Die Eigenschaft der Natur, dass sie für uns Gelegenheit enthält, die innere Zweckmäßigkeit in dem Verhältnisse unserer Gemütskräfte in Beurteilung gewisser Produkte derselben wahrzunehmen, und zwar als eine solche, die aus einem übersinnlichen Grunde für notwendig und allgemeingültig erklärt werden soll, kann nicht Naturzweck sein, oder vielmehr von uns als ein solcher beurteilt werden; weil sonst das Urteil, das dadurch bestimmt wurde, Heteronomie, aber nicht, wie es einem Geschmacksurteile geziemt, frei sein, und Autonomie zum Grunde haben würde.
In der schönen Kunst ist das Prinzip des Idealismus der Zweckmäßigkeit noch deutlicher zu erkennen. Denn, dass hier nicht ein ästhetischer Realismus derselben, durch Empfindungen (wobei sie statt schöner bloß angenehme Kunst sein würde), angenommen werden könne: das hat sie mit der schönen Natur gemein. Allein dass das Wohlgefallen durch ästhetische Ideen nicht von der Erreichung bestimmter Zwecke (als mechanisch absichtliche Kunst) abhängen müsse, folglich, selbst im Rationalismus des Prinzips, Idealität der Zwecke, nicht Realität derselben, zum Grunde liege: leuchtet auch schon dadurch ein, dass schöne Kunst, als solche, nicht als ein Produkt des Verstandes und der Wissenschaft, sondern des Genies betrachtet werden muss, und also durch ästhetische Ideen, welche von Vernunftideen bestimmter Zwecke wesentlich unterschieden sind, ihre Regel bekomme.
So wie die Idealität der Gegenstände der Sinne als Erscheinungen die einzige Art ist, die Möglichkeit zu erklären, dass ihre Formen a priori bestimmt werden können: so ist auch der Idealismus der Zweckmäßigkeit, in Beurteilung des Schönen der Natur und der Kunst, die einzige Voraussetzung, unter der allein die Kritik die Möglichkeit eines Geschmacksurteils, welches a priori Gültigkeit für jedermann fordert (ohne doch die Zweckmäßigkeit, die am Objekte vorgestellt wird, auf Begriffe zu gründen), erklären kann.
59. Von der Schönheit als Symbol der Sittlichkeit
Die Realität unserer Begriffe darzutun werden immer Anschauungen erfordert. Sind es empirische Begriffe, so heißen die letzteren Beispiele. Sind jene reine Verstandesbegriffe, so werden die letzteren Schemate genannt. Verlangt man gar, dass die objektive Realität der Vernunftbegriffe, d.h. der Ideen, und zwar zum Behuf des theoretischen Erkenntnisses derselben dargetan werde, so begehrt man etwas Unmögliches, weil ihnen schlechterdings keine Anschauung angemessen gegeben werden kann.
Alle Hypotypose (Darstellung, subiectio sub adspectum), als Versinnlichung, ist zwiefach: entweder schematisch, da einem Begriffe, den der Verstand fasst, die korrespondierende Anschauung a priori gegeben wird; oder symbolisch, da einem Begriffe, den nur die Vernunft denken, und dem keine sinnliche Anschauung angemessen sein kann, eine solche untergelegt wird, mit welcher das Verfahren der Urteilskraft demjenigen, was sie im Schematisieren beobachtet, bloß analogisch, d.h. mit ihm bloß der Regel dieses Verfahrens, nicht der Anschauung selbst, mithin bloß der Form der Reflexion, nicht dem Inhalte nach, übereinkommt.
Es ist ein von den neuen Logikern zwar angenommener, aber sinnverkehrender, unrechter Gebrauch des Worts symbolisch, wenn man es der intuitiven Vorstellungsart entgegensetzt; denn die symbolische ist nur eine Art der intuitiven. Die letztere (die intuitive) kann nämlich in die schematische und in die symbolische Vorstellungsart eingeteilt werden. Beide sind Hypotyposen, d.h. Darstellungen (exhibitiones): nicht bloße Charakterismen, d.h. Bezeichnungen der Begriffe durch begleitende sinnliche Zeichen, die gar nichts zu der Anschauung des Objekts Gehöriges enthalten, sondern nur jenen, nach dem Gesetze der Assoziation der Einbildungskraft, mithin in subjektiver Absicht, zum Mittel der Reproduktion dienen; dergleichen sind entweder Worte, oder sichtbare (algebraische, selbst mimische) Zeichen, als bloße Ausdrücke für Begriffe.
Alle Anschauungen, die man Begriffen a priori unterlegt, sind also entweder Schemate oder Symbole, wovon die ersteren direkte, die zweiten indirekten Darstellungen des Begriffs enthalten. Die ersteren tun dieses demonstrativ, die zweiten vermittelst einer Analogie (zu welcher man sich auch empirischer Anschauungen bedient), in welcher die Urteilskraft ein doppeltes Geschäft verrichtet, erstlich den Begriff auf den Gegenstand einer sinnlichen Anschauung, und dann zweitens die bloße Regel der Reflexion über jene Anschauung auf einen ganz anderen Gegenstand, von dem der erstere nur das Symbol ist, anzuwenden. So wird ein monarchischer Staat durch einen beseelten Körper, wenn er nach inneren Volksgesetzen, durch eine bloße Maschine aber (wie etwa eine Handmühle), wenn er durch einen einzelnen absoluten Willen beherrscht wird, in beiden Fällen aber nur symbolisch vorgestellt. Denn, zwischen einem despotischen Staate und einer Handmühle ist zwar keine Ähnlichkeit, wohl aber zwischen der Regel, über beide und ihre Kausalität zu reflektieren. Dies Geschäft ist bis jetzt noch wenig auseinander gesetzt worden, so sehr es auch eine tiefere Untersuchung verdient; allein hier ist nicht der Ort, sich dabei aufzuhalten. Unsere Sprache ist voll von dergleichen indirekten Darstellungen, nach einer Analogie, wodurch der Ausdruck nicht das eigentliche Schema für den Begriff, sondern bloß ein Symbol für die Reflexion enthält. So sind die Wörter Grund (Stütze, Basis), abhängen (von oben gehalten werden), woraus fließen (statt folgen), Substanz (wie Locke sich ausdrückt: der Träger der Akzidenzen), und unzählige andere nicht schematische, sondern symbolische Hypotyposen, und Ausdrücke für Begriffe nicht vermittelst einer direkten Anschauung, sondern nur nach einer Analogie mit derselben, d.h. der Übertragung der Reflexion über einen Gegenstand der Anschauung auf einen ganz anderen Begriff, dem vielleicht nie eine Anschauung direkt korrespondieren kann. Wenn man eine bloße Vorstellungsart schon Erkenntnis nennen darf (welches, wenn sie ein Prinzip nicht der theoretischen Bestimmung des Gegenstandes ist, was er an sich, sondern der praktischen, was die Idee von ihm für uns und den zweckmäßigen Gebrauch derselben werden soll, wohl erlaubt ist): so ist alle unsere Erkenntnis von Gott bloß symbolisch; und der, welcher sie mit den Eigenschaften Verstand, Wille, u.s.w., die allein an Weltwesen ihre objektive Realität beweisen, für schematisch nimmt, gerät in den Anthropomorphismus, so wie, wenn er alles Intuitive weglässt, in den Deismus, wodurch überall nichts, auch nicht in praktischer Absicht, erkannt wird.
Nun sage ich: das Schöne ist das Symbol des Sittlichguten; und auch nur in dieser Rücksicht (einer Beziehung, die Jedermann natürlich ist, und die auch jedermann anderen als Pflicht zumutet) gefällt es, mit einem Ansprüche auf jedes anderen Bestimmung, wobei sich das Gemüt zugleich einer gewissen Veredlung und Erhebung über die bloße Empfänglichkeit einer Lust durch Sinneneindrücke bewusst ist, und anderer Wert auch nach einer ähnlichen Maxime ihrer Urteilskraft schätzet. Das ist das Intelligibele, worauf, wie der vorige Paragraph Anzeige tat, der Geschmack hinaussieht, wozu nämlich selbst unsere oberen Erkenntnisvermögen zusammenstimmen, und ohne welches zwischen ihrer Natur, verglichen mit den Ansprüchen, die der Geschmack macht, lauter Widersprüche erwachsen würden. In diesem Vermögen sieht sich die Urteilskraft nicht, wie sonst in empirischer Beurteilung, einer Heteronomie der Erfahrungsgesetze unterworfen: sie gibt in Ansehung der Gegenstände eines so reinen Wohlgefallens ihr selbst das Gesetz, so wie die Vernunft es in Ansehung des Begehrungsvermögens tut; und sieht sich, sowohl wegen dieser inneren Möglichkeit im Subjekte, als wegen der äußern Möglichkeit einer damit übereinstimmenden Natur, auf etwas im Subjekte selbst und außer ihm, was nicht Natur, auch nicht Freiheit, doch aber mit dem Grunde der letzteren, nämlich dem Übersinnlichen verknüpft ist, bezogen, in welchem das theoretische Vermögen mit dem praktischen, auf gemeinschaftliche und unbekannte Art, zur Einheit verbunden wird. Wir wollen einige Stücke dieser Analogie anführen, indem wir zugleich die Verschiedenheit derselben nicht unbemerkt lassen.
1) Das Schöne gefällt unmittelbar (aber nur in der reflektierenden Anschauung, nicht, wie Sittlichkeit, im Begriffe). 2) Es gefällt ohne alles Interesse (das Sittlichgute zwar notwendig mit einem Interesse, aber nicht einem solchen, was vor dem Urteile über das Wohlgefallen vorhergeht, verbunden, sondern was dadurch allererst bewirkt wird). 3) Die Freiheit der Einbildungskraft (also der Sinnlichkeit unseres Vermögens) wird in der Beurteilung des Schönen mit der Gesetzmäßigkeit des Verstandes als einstimmig vorgestellt (im moralischen Urteile wird die Freiheit des Willens als Zusammenstimmung des letzteren mit sich selbst nach allgemeinen Vernunftgesetzen gedacht). 4) Das subjektive Prinzip der Beurteilung des Schönen wird als allgemein, d.h. für jedermann gültig, aber durch keinen allgemeinen Begriff kenntlich, vorgestellt (das objektive Prinzip der Moralität wird auch für allgemein, d.h. für alle Subjekte, zugleich auch für alle Handlungen desselben Subjekts, und dabei durch einen allgemeinen Begriff kenntlich, erklärt). Daher ist das moralische Urteil nicht allein bestimmter konstitutiver Prinzipien fähig, sondern ist nur durch Gründung der Maximen auf dieselben und ihre Allgemeinheit möglich.
Die Rücksicht auf diese Analogie ist auch dem gemeinen Verstande gewöhnlich; und wir benennen schöne Gegenstände der Natur, oder der Kunst, oft mit Namen, die eine sittliche Beurteilung zum Grunde zu legen scheinen. Wir nennen Gebäude oder Bäume majestätisch und prächtig, oder Gefilde lachend und fröhlich; selbst Farben werden unschuldig, bescheiden, zärtlich genannt, weil sie Empfindungen erregen, die etwas mit dem Bewusstsein eines durch moralische Urteile bewirkten Gemütszustandes Analogisches enthalten. Der Geschmack macht gleichsam den Übergang vom Sinnenreiz zum habituellen moralischen Interesse, ohne einen zu gewaltsamen Sprung, möglich, indem er die Einbildungskraft auch in ihrer Freiheit als zweckmäßig für den Verstand bestimmbar vorstellt, und sogar an Gegenständen der Sinne auch ohne Sinnenreiz ein freies Wohlgefallen finden lehrt.
60. Anhang. Von der Methodenlehre des Geschmacks
Die Einteilung einer Kritik in Elementarlehre und Methodenlehre, welche vor der Wissenschaft vorhergeht, lässt sich auf die Geschmackskritik nicht anwenden: weil es keine Wissenschaft des Schönen gibt noch geben kann, und das Urteil des Geschmacks nicht durch Prinzipien bestimmbar ist. Denn was das Wissenschaftliche in jeder Kunst anlangt, welches auf Wahrheit in der Darstellung ihres Objekts geht, so ist dieses zwar die unumgängliche Bedingung (conditio sine qua non) der schönen Kunst, aber diese nicht selber. Es gibt also für die schöne Kunst nur eine Manier (modus), nicht Lehrart (methodus). Der Meister muss es vormachen, was und wie es der Schüler zu Stande bringen soll; und die allgemeinen Regeln, worunter er zuletzt sein Verfahren bringt, können eher dienen, die Hauptmomente desselben gelegentlich in Erinnerung zu bringen, als sie ihm vorzuschreiben. Hierbei muss dennoch auf ein gewisses Ideal Rücksicht genommen werden, welches die Kunst vor Augen haben muss, ob sie es gleich in ihrer Ausübung nie völlig erreicht. Nur durch die Aufweckung der Einbildungskraft des Schülers zur Angemessenheit mit einem gegebenen Begriffe, durch die angemerkte Unzulänglichkeit des Ausdrucks für die Idee, welche der Begriff selbst nicht erreicht, weil sie ästhetisch ist, und durch scharfe Kritik, kann verhütet werden, dass die Beispiele, die ihm vorgelegt werden, von ihm nicht sofort für Urbilder und etwa keiner noch hohem Norm und eigener Beurteilung unterworfene Muster der Nachahmung gehalten, und so das Genie, mit ihm aber auch die Freiheit der Einbildungskraft selbst in ihrer Gesetzmäßigkeit erstickt werde, ohne welche keine schöne Kunst, selbst nicht einmal ein richtiger sie beurteilender eigener Geschmack, möglich ist.
Die Propädeutik zu aller schönen Kunst, sofern es auf den höchsten Grad ihrer Vollkommenheit angelegt ist, scheint nicht in Vorschriften, sondern in der Kultur der Gemütskräfte durch diejenigen Vorkenntnisse zu liegen, welche man Humaniora nennt: vermutlich, weil Humanität einerseits das allgemeine Teilnehmungsgefühl, andererseits das Vermögen, sich innigst und allgemein mitteilen zu können, bedeutet; welche Eigenschaften zusammen verbunden die der Menschheit angemessene Glückseligkeit ausmachen, wodurch sie sich von der tierischen Eingeschränktheit unterscheidet. Das Zeitalter sowohl, als die Völker, in welchen der rege Trieb zur gesetzlichen Geselligkeit, wodurch ein Volk ein dauerndes gemeines Wesen ausmacht, mit den großen Schwierigkeiten rang, welche die schwere Aufgabe, Freiheit (und also auch Gleichheit) mit einem Zwange (mehr der Achtung und Unterwerfung aus Pflicht, als Furcht) zu vereinigen, umgeben: ein solches Zeitalter und ein solches Volk musste die Kunst der wechselseitigen Mitteilung der Ideen des ausgebildetsten Teils mit dem roheren, die Abstimmung der Erweiterung und Verfeinerung der ersteren zur natürlichen Einfalt und Originalität der letzteren, und auf diese Art dasjenige Mittel zwischen der höheren Kultur und der genügsamen Natur zuerst erfinden, welches den richtigen, nach keinen allgemeinen Regeln anzugebenden Maßstab auch für den Geschmack, als allgemeinen Menschensinn, ausmacht.
Schwerlich wird ein späteres Zeitalter jene Muster entbehrlich machen; weil es der Natur immer weniger nahe sein wird, und sich zuletzt, ohne bleibende Beispiele von ihr zu haben, kaum einen Begriff von der glücklichen Vereinigung des gesetzlichen Zwanges der höchsten Kultur mit der Kraft und Richtigkeit der ihren eigenen Wert fühlenden freien Natur in einem und demselben Volke zu machen im Stande sein möchte. Da aber der Geschmack im Grunde ein Beurteilungsvermögen der Versinnlichung sittlicher Ideen (vermittelst einer gewissen Analogie der Reflexion über beide) ist, wovon auch, und von der darauf zu gründenden größeren Empfänglichkeit für das Gefühl aus den letzteren (welches das moralische heißt) diejenige Lust sich ableitet, welche der Geschmack, als für die Menschheit überhaupt, nicht bloß für eines jeden Privatgefühl, gültig erklärt: so leuchtet ein, dass die wahre Propädeutik zur Gründung des Geschmacks die Entwickelung sittlicher Ideen und die Kultur des moralischen Gefühls sei; da, nur wenn mit diesem die Sinnlichkeit in Einstimmung gebracht wird, der echte Geschmack eine bestimmte unveränderliche Form annehmen kann.